Neue Zürcher Zeitung
15. April 2005
Yerevan rejects history commission
Erewan lehnt Historikerkommission ab
AUTOR: van Gent A.
"Versuch Ankaras, Zeit zu gewinnen"
Armenien hat Ankaras Vorschlag einer gemeinsamen Historikerkommission
zur Untersuchung der Vorwürfe eines türkischen Genozids an den
Armeniern abgelehnt. In Erewan glaubt man nicht, dass die Türkei ihre
Militärarchive wirklich öffnet. Das türkische Militär hat unterdessen
angekündigt, Dokumente zu der Frage zu veröffentlichen.
Der armenische Aussenminister Oskanjan hat den Vorschlag des
türkischen Parlaments abgelehnt, eine gemeinsame Historikerkommission
zu bilden. Es handle sich um einen Versuch Ankaras, Zeit zu gewinnen,
sagte er. Die Türkei fordere ohne Scham, die Geschichte nach ihren
Vorstellungen neu zu schreiben. Am Mittwoch hatte Ankara an das
östliche Nachbarland Armenien appelliert, alte "Tabus zu brechen" und
eine gemeinsame Expertenkommission einzurichten. Diese solle den
Vorwurf des türkischen Völkermords an den Armeniern Anfang des
letzten Jahrhunderts untersuchen und "unbegrenzten" Zugang zu den
nationalen Archiven haben. Nur auf diese Weise könne verhindert
werden, dass "unsere Vergangenheit unsere Gegenwart und Zukunft
verdunkelt", hiess es in einer Erklärung, welche von den Vorsitzenden
aller Parlamentsparteien unterzeichnet worden war.
Expertenkommission eine Totgeburt?
Zugleich hatte der türkische Aussenminister Gül vor dem Parlament
erklärt, Ministerpräsident Erdogan habe seinem armenischen
Amtskollegen Kotscharjan den Vorschlag einer gemeinsamen
Expertenkommission in einem Brief unterbreitet. Die Parlamente
europäischer Länder forderte er hingegen auf, von einer Wertung der
blutigen Ereignisse in Ostanatolien während des Ersten Weltkriegs als
Völkermord Abstand zu nehmen. "Alle diese Anträge verletzen uns und
führen in der türkischen Öffentlichkeit dazu, die Absichten von
verbündeten Ländern mit Fragezeichen zu versehen", sagte der
Aussenminister. Die Geschichte könne nicht von Parlamenten, sondern
nur von Historikern beurteilt werden.
Kurz bevor sich der Startschuss für die Zwangsdeportationen und
Todesmärsche der armenischen Bevölkerung Ostanatoliens zum 90. Mal
jährt, wird die Türkei von ihrer Geschichte eingeholt. Aus
armenischer Sicht sind damals über eine Million Menschen ums Leben
gekommen - Erewan spricht von einem zentral organisierten und
ausgeführten Völkermord und fordert die Anerkennung der Ereignisse
als Genozid durch die internationale Gemeinschaft. Die Türkei
akzeptiert seit kurzem, dass damals im Krieg Hunderttausende von
Türken und Armeniern umgekommen waren - von einem Völkermord will sie
aber nichts wissen. In der Geschichte der Türkei gebe es kein
Kapitel, "dessen wir uns schämen, das wir verdrängen, vergessen oder
vertuschen müssten", wiederholte Regierungschef Erdogan am Mittwoch.
Noch ist in der türkischen Staatsspitze ein Umdenken in der
Armenierfrage nicht auszumachen. Auch bleibt unklar, inwiefern die
türkische Armee überhaupt bereit ist, der von der Regierung
vorgeschlagenen Kommission ihre aufschlussreichen Archive zu öffnen.
Armee veröffentlicht Dokumente
(afp) Unterdessen hat die türkische Armee aus ihren Archivbeständen
mehrere hundert Dokumente zu den Ereignissen freigegeben. Nach einem
Bericht der Zeitung "Vatan" will das Militär innerhalb der nächsten
Monate vier Bände mit insgesamt etwa 1000 Dokumenten publizieren. Die
ersten beiden Bände zum Zeitraum zwischen 1914 und 1918 sollten noch
in dieser Woche in den Handel kommen, schrieb die Zeitung am
Donnerstag. Die Veröffentlichung bietet erstmals einer breiteren
Öffentlichkeit die Möglichkeit, Quellen des türkischen Militärarchivs
zu studieren. Nach Angaben der Armee erhielten seit 1984 lediglich 21
Forscher die Genehmigung, Dokumente im Archiv der Generalstabs
einzusehen.
Weiterer Bericht im Inlandteil
15. April 2005
Yerevan rejects history commission
Erewan lehnt Historikerkommission ab
AUTOR: van Gent A.
"Versuch Ankaras, Zeit zu gewinnen"
Armenien hat Ankaras Vorschlag einer gemeinsamen Historikerkommission
zur Untersuchung der Vorwürfe eines türkischen Genozids an den
Armeniern abgelehnt. In Erewan glaubt man nicht, dass die Türkei ihre
Militärarchive wirklich öffnet. Das türkische Militär hat unterdessen
angekündigt, Dokumente zu der Frage zu veröffentlichen.
Der armenische Aussenminister Oskanjan hat den Vorschlag des
türkischen Parlaments abgelehnt, eine gemeinsame Historikerkommission
zu bilden. Es handle sich um einen Versuch Ankaras, Zeit zu gewinnen,
sagte er. Die Türkei fordere ohne Scham, die Geschichte nach ihren
Vorstellungen neu zu schreiben. Am Mittwoch hatte Ankara an das
östliche Nachbarland Armenien appelliert, alte "Tabus zu brechen" und
eine gemeinsame Expertenkommission einzurichten. Diese solle den
Vorwurf des türkischen Völkermords an den Armeniern Anfang des
letzten Jahrhunderts untersuchen und "unbegrenzten" Zugang zu den
nationalen Archiven haben. Nur auf diese Weise könne verhindert
werden, dass "unsere Vergangenheit unsere Gegenwart und Zukunft
verdunkelt", hiess es in einer Erklärung, welche von den Vorsitzenden
aller Parlamentsparteien unterzeichnet worden war.
Expertenkommission eine Totgeburt?
Zugleich hatte der türkische Aussenminister Gül vor dem Parlament
erklärt, Ministerpräsident Erdogan habe seinem armenischen
Amtskollegen Kotscharjan den Vorschlag einer gemeinsamen
Expertenkommission in einem Brief unterbreitet. Die Parlamente
europäischer Länder forderte er hingegen auf, von einer Wertung der
blutigen Ereignisse in Ostanatolien während des Ersten Weltkriegs als
Völkermord Abstand zu nehmen. "Alle diese Anträge verletzen uns und
führen in der türkischen Öffentlichkeit dazu, die Absichten von
verbündeten Ländern mit Fragezeichen zu versehen", sagte der
Aussenminister. Die Geschichte könne nicht von Parlamenten, sondern
nur von Historikern beurteilt werden.
Kurz bevor sich der Startschuss für die Zwangsdeportationen und
Todesmärsche der armenischen Bevölkerung Ostanatoliens zum 90. Mal
jährt, wird die Türkei von ihrer Geschichte eingeholt. Aus
armenischer Sicht sind damals über eine Million Menschen ums Leben
gekommen - Erewan spricht von einem zentral organisierten und
ausgeführten Völkermord und fordert die Anerkennung der Ereignisse
als Genozid durch die internationale Gemeinschaft. Die Türkei
akzeptiert seit kurzem, dass damals im Krieg Hunderttausende von
Türken und Armeniern umgekommen waren - von einem Völkermord will sie
aber nichts wissen. In der Geschichte der Türkei gebe es kein
Kapitel, "dessen wir uns schämen, das wir verdrängen, vergessen oder
vertuschen müssten", wiederholte Regierungschef Erdogan am Mittwoch.
Noch ist in der türkischen Staatsspitze ein Umdenken in der
Armenierfrage nicht auszumachen. Auch bleibt unklar, inwiefern die
türkische Armee überhaupt bereit ist, der von der Regierung
vorgeschlagenen Kommission ihre aufschlussreichen Archive zu öffnen.
Armee veröffentlicht Dokumente
(afp) Unterdessen hat die türkische Armee aus ihren Archivbeständen
mehrere hundert Dokumente zu den Ereignissen freigegeben. Nach einem
Bericht der Zeitung "Vatan" will das Militär innerhalb der nächsten
Monate vier Bände mit insgesamt etwa 1000 Dokumenten publizieren. Die
ersten beiden Bände zum Zeitraum zwischen 1914 und 1918 sollten noch
in dieser Woche in den Handel kommen, schrieb die Zeitung am
Donnerstag. Die Veröffentlichung bietet erstmals einer breiteren
Öffentlichkeit die Möglichkeit, Quellen des türkischen Militärarchivs
zu studieren. Nach Angaben der Armee erhielten seit 1984 lediglich 21
Forscher die Genehmigung, Dokumente im Archiv der Generalstabs
einzusehen.
Weiterer Bericht im Inlandteil