Financial Times - Deutschland
15. April 2005
Türkei stellt sich dem Genozid-Vorwurf widerwillig;
Premier Erdogan bietet geschichtliche Aufklärung nur bei Kooperation
Armeniens an · Türkischer Botschafter bestreitet Völkermord
AUTOR: Marina Zapf
Von Marina Zapf, Berlin
Die Türkei fordert 90 Jahre nach den Massakern an der armenischen
Minderheit im Osmanischen Reich die Regierung von Armenien auf, einer
gemeinsamen Aufarbeitung der Geschichte zuzustimmen. Premierminister
Recep Tayyip Erdogan schlug Präsident Robert Kotscharian vor, die
historischen Tatsachen durch eine gemeinsame wissenschaftliche
Untersuchung aufklären zu lassen. Die Archive beider Seiten sollten
dafür geöffnet werden.
Schon zuvor hatte die Türkei dem Nachbarn gemeinsame Forschungen
angeboten, nie aber schriftlich und mit Zustimmung des Parlaments.
Ankara reagiert damit auf wachsenden Druck aus Europa, die 1915 bis
1917 verübten Gräueltaten als Genozid anzuerkennen. Eine
entsprechende Resolution hatte das Europaparlament verabschiedet.
Kommende Woche berät der Bundestag über einen Antrag der
CDU/CSU-Fraktion, in dem der Vorwurf einer geplanten Vernichtung
enthalten ist. Der Antrag geht von 1,2 bis 1,5 Millionen Opfern von
Deportationen aus. Die Türkei weist die Zahl wie auch den Vorwurf des
Genozids zurück.
Das türkische Parlament appellierte an "ausländische Parlamente", von
einer politischen Wertung der Geschehnisse Abstand zu nehmen. Es sei
"unpassend, sinnlos, willkürlich und ungerecht", zu einem unter
internationalen Historikern umstrittenen Kapitel der Geschichte "aus
politischen Gründen Beschlüsse zu fassen" und "über die Richtigkeit
einer Seite zu entscheiden". Ob Armeniens Regierung auf die
Versöhnungsgeste Erdogans reagiert, ist fraglich. Erst im Februar
hatte sie weitere Untersuchungen für unnötig erklärt. Der Botschafter
Ankaras in Berlin, Mehmet Ali Irtemcelik, erklärt dies mit der Furcht
vor unbequemen Wahrheiten. "Für die Umsetzung ist die Mitarbeit der
Regierung erforderlich", sagte er der FTD.
"Sie wollen nicht darüber diskutieren, Historiker forschen zu lassen,
was wirklich passierte, weil sie wissen, dass die Geschichte sich
nicht so abspielte, wie sie es die Welt glauben machen wollen", sagte
er. "Sie wissen, dass es keinen Völkermord gab." Die Türkei werde
keine verzerrte Version der Geschichte akzeptieren. "In der Natur der
Wahrheit liegt es, dass sie sich über kurz oder lang durchsetzt",
beharrte er. "Wir haben diesbezüglich keine Scheu. Wir sind es, die
herausfordern, damit die Wahrheit ans Licht kommt."
Erste Versuche der gemeinsamen Aufklärung durch Vertreter staatlich
geförderter Institutionen gibt es schon. Die in Wien initiierte
"Armenisch-Türkische Plattform" geriet aber wieder ins Stocken.
15. April 2005
Türkei stellt sich dem Genozid-Vorwurf widerwillig;
Premier Erdogan bietet geschichtliche Aufklärung nur bei Kooperation
Armeniens an · Türkischer Botschafter bestreitet Völkermord
AUTOR: Marina Zapf
Von Marina Zapf, Berlin
Die Türkei fordert 90 Jahre nach den Massakern an der armenischen
Minderheit im Osmanischen Reich die Regierung von Armenien auf, einer
gemeinsamen Aufarbeitung der Geschichte zuzustimmen. Premierminister
Recep Tayyip Erdogan schlug Präsident Robert Kotscharian vor, die
historischen Tatsachen durch eine gemeinsame wissenschaftliche
Untersuchung aufklären zu lassen. Die Archive beider Seiten sollten
dafür geöffnet werden.
Schon zuvor hatte die Türkei dem Nachbarn gemeinsame Forschungen
angeboten, nie aber schriftlich und mit Zustimmung des Parlaments.
Ankara reagiert damit auf wachsenden Druck aus Europa, die 1915 bis
1917 verübten Gräueltaten als Genozid anzuerkennen. Eine
entsprechende Resolution hatte das Europaparlament verabschiedet.
Kommende Woche berät der Bundestag über einen Antrag der
CDU/CSU-Fraktion, in dem der Vorwurf einer geplanten Vernichtung
enthalten ist. Der Antrag geht von 1,2 bis 1,5 Millionen Opfern von
Deportationen aus. Die Türkei weist die Zahl wie auch den Vorwurf des
Genozids zurück.
Das türkische Parlament appellierte an "ausländische Parlamente", von
einer politischen Wertung der Geschehnisse Abstand zu nehmen. Es sei
"unpassend, sinnlos, willkürlich und ungerecht", zu einem unter
internationalen Historikern umstrittenen Kapitel der Geschichte "aus
politischen Gründen Beschlüsse zu fassen" und "über die Richtigkeit
einer Seite zu entscheiden". Ob Armeniens Regierung auf die
Versöhnungsgeste Erdogans reagiert, ist fraglich. Erst im Februar
hatte sie weitere Untersuchungen für unnötig erklärt. Der Botschafter
Ankaras in Berlin, Mehmet Ali Irtemcelik, erklärt dies mit der Furcht
vor unbequemen Wahrheiten. "Für die Umsetzung ist die Mitarbeit der
Regierung erforderlich", sagte er der FTD.
"Sie wollen nicht darüber diskutieren, Historiker forschen zu lassen,
was wirklich passierte, weil sie wissen, dass die Geschichte sich
nicht so abspielte, wie sie es die Welt glauben machen wollen", sagte
er. "Sie wissen, dass es keinen Völkermord gab." Die Türkei werde
keine verzerrte Version der Geschichte akzeptieren. "In der Natur der
Wahrheit liegt es, dass sie sich über kurz oder lang durchsetzt",
beharrte er. "Wir haben diesbezüglich keine Scheu. Wir sind es, die
herausfordern, damit die Wahrheit ans Licht kommt."
Erste Versuche der gemeinsamen Aufklärung durch Vertreter staatlich
geförderter Institutionen gibt es schon. Die in Wien initiierte
"Armenisch-Türkische Plattform" geriet aber wieder ins Stocken.