Der Tagesspiegel, Deutschland
18 April 2005
"Armenian Tsunami"
90 years of silence: A book about life after Genocide
`Armenischer Tsunami`
90 Jahre Schweigen: Ein Buch über das Leben nach dem Völkermord
Von Matthias Meisner
Nicht alle haben die Lektion über den Völkermord an den Armeniern
gelernt. Am kommenden Sonntag jährt sich sein Beginn zum 90. Mal, und
lange schien es so, als sei das Thema vor allem mit Rücksicht auf die
Türkei hier zu Lande tabu. Wohl deshalb kommt ein neues Buch über das
kleine Land zwischen Kaukasus und Ararat und seine Leute nicht ohne
ein paar Vorbemerkungen aus: Huberta von Voss, die das `Porträt einer
Hoffnung` als Herausgeberin verantwortet, will vorab gleich so viel
erklärt haben, dass man ein fast ein Viertel des ganzen Bandes lesen
muss, bis man dann tatsächlich beim ersten Porträt eines Armeniers
anlangt. Wobei es doch hauptsächlich darum gehen soll, den Alltag der
Menschen in Armenien und den der Armenier im Exil vorzustellen -
Lebensbilder sollen von der Hoffnung sprechen, als Volk in der
Diaspora zu überleben und Frieden mit der eigenen Geschichte zu
finden.
Zum Thema
Tagesspiegel Online: Literatur Spezial
Wobei Geleitwort, Einleitung, Einführung und die Interpretationen
durchaus lesenswert sind. Sie bieten eine Grundlage für das Verstehen
eines Volkes, das einst, im vierten Jahrhundert, als erstes Land der
Welt das Christentum zur Staatsreligion erhob. Heute ist die
ehemalige Sowjetrepublik - klein wie Brandenburg - arm und isoliert.
Unversöhnlich und kompromisslos steht die Regierung in Eriwan mit dem
Nachbarland Aserbaidschan im Konflikt um die Enklave Berg-Karabach.
Vor allem aber hat sich Armenien seit 1915 nie mit seinem Nachbarn
Türkei versöhnt: Die Grenzen sind geschlossen, Handel, wenn
überhaupt, läuft nur über das Transitland Georgien. Als absurd
beschreibt Huberta von Voss die Situation: In Deutschland steht die
Leugnung des Holocausts unter Strafe, wohingegen in der Türkei die
Benutzung des Terminus Genozid für die Ereignisse vor 90 Jahren
geahndet wird - obwohl auf den im damaligen Osmanischen Reich
angeordneten Todesmärschen nach Schätzungen 1,5 Millionen Armenier
ums Leben kamen.
`Porträt einer Hoffnung` kommt rechtzeitig, um der Diskussion über
das Massaker eine Basis zu geben. Denn dass es eine neue Debatte
gibt, daran besteht kein Zweifel mehr. Erst wurde wochenlang
gestritten, weil Brandenburg das Thema Armenien vom Lehrplan in den
Schulen nahm. Jetzt wirft der türkische Botschafter in Berlin der
Unionsfraktion im Bundestag vor, sich zum Sprecher des `fanatischen
armenischen Nationalismus` zu machen, weil sie der Vertreibung der
Armenier gedenken will. Der angesehene türkische Kolumnist Mehmet Ali
Birand warnte dieser Tage gar vor einem `riesigen Tsunami, dem
armenischen Tsunami`. Birand ist sicher, dass die Türkei im Recht sei
und niemand von einem Völkermord sprechen kann.
Das Buch bietet zu dieser Debatte jede Menge Informationen,
beschreibt nicht nur die türkische Leugnung des Völkermordes und die
Flucht der damaligen Haupttäter außer Landes - oft nach Berlin. Es
beschreibt die Verstrickung des deutschen Kaiserreiches. Und erinnert
daran, dass sich später Adolf Hitler für den Holocaust auch deshalb
ermuntert sah, weil die Deutschen den Völkermord an den Armeniern so
rasch vergessen hatten. Umso erstaunlicher mutet an, dass die
SPD-Bundestagsabgeordnete Christa Lörcher noch 2000 vor einer
Anerkennung des Völkermordes warnte - damit der Dialog mit der Türkei
nicht erschwert wird.
Nach vielen harten Fakten geht es dann um die Menschen. Der Leser ist
froh, von vielen Armeniern zu hören, die sich jeder auf seine Weise
Fremdherrschaft und Leid widersetzen, ob nun als Wissenschaftler,
Musiker, Schriftsteller oder gar Außenminister. Und noch einmal lernt
er: Die weitaus meisten Armenier leben heute im Exil, in den USA, in
Frankreich, aber auch etwa in Indien - und selbst in der Türkei, wie
die Akkordeonspielerin Anahit, die bis zu ihrem Tod 2003 in den
Gassen beim Istanbuler Fischbasar musizierte. Sie wird, wie viele
andere Vertreter des kleinen Volkes, liebevoll vorgestellt. Bekannte
sind dabei, wie Charles Aznavour, Unbekannte, wie ein
Karabach-Veteran. Und selbst wenn die Herausgeberin nicht von allen
Porträtierten ein gutes Foto auftreiben konnte: Armenier aus aller
Welt geben in diesem Buch ein gutes Bild ab.
Huberta von Voss: Porträt einer Hoffnung - Die Armenier.Verlag Hans
Schiler, Berlin 2005. 415 Seiten, 28 Euro.
18 April 2005
"Armenian Tsunami"
90 years of silence: A book about life after Genocide
`Armenischer Tsunami`
90 Jahre Schweigen: Ein Buch über das Leben nach dem Völkermord
Von Matthias Meisner
Nicht alle haben die Lektion über den Völkermord an den Armeniern
gelernt. Am kommenden Sonntag jährt sich sein Beginn zum 90. Mal, und
lange schien es so, als sei das Thema vor allem mit Rücksicht auf die
Türkei hier zu Lande tabu. Wohl deshalb kommt ein neues Buch über das
kleine Land zwischen Kaukasus und Ararat und seine Leute nicht ohne
ein paar Vorbemerkungen aus: Huberta von Voss, die das `Porträt einer
Hoffnung` als Herausgeberin verantwortet, will vorab gleich so viel
erklärt haben, dass man ein fast ein Viertel des ganzen Bandes lesen
muss, bis man dann tatsächlich beim ersten Porträt eines Armeniers
anlangt. Wobei es doch hauptsächlich darum gehen soll, den Alltag der
Menschen in Armenien und den der Armenier im Exil vorzustellen -
Lebensbilder sollen von der Hoffnung sprechen, als Volk in der
Diaspora zu überleben und Frieden mit der eigenen Geschichte zu
finden.
Zum Thema
Tagesspiegel Online: Literatur Spezial
Wobei Geleitwort, Einleitung, Einführung und die Interpretationen
durchaus lesenswert sind. Sie bieten eine Grundlage für das Verstehen
eines Volkes, das einst, im vierten Jahrhundert, als erstes Land der
Welt das Christentum zur Staatsreligion erhob. Heute ist die
ehemalige Sowjetrepublik - klein wie Brandenburg - arm und isoliert.
Unversöhnlich und kompromisslos steht die Regierung in Eriwan mit dem
Nachbarland Aserbaidschan im Konflikt um die Enklave Berg-Karabach.
Vor allem aber hat sich Armenien seit 1915 nie mit seinem Nachbarn
Türkei versöhnt: Die Grenzen sind geschlossen, Handel, wenn
überhaupt, läuft nur über das Transitland Georgien. Als absurd
beschreibt Huberta von Voss die Situation: In Deutschland steht die
Leugnung des Holocausts unter Strafe, wohingegen in der Türkei die
Benutzung des Terminus Genozid für die Ereignisse vor 90 Jahren
geahndet wird - obwohl auf den im damaligen Osmanischen Reich
angeordneten Todesmärschen nach Schätzungen 1,5 Millionen Armenier
ums Leben kamen.
`Porträt einer Hoffnung` kommt rechtzeitig, um der Diskussion über
das Massaker eine Basis zu geben. Denn dass es eine neue Debatte
gibt, daran besteht kein Zweifel mehr. Erst wurde wochenlang
gestritten, weil Brandenburg das Thema Armenien vom Lehrplan in den
Schulen nahm. Jetzt wirft der türkische Botschafter in Berlin der
Unionsfraktion im Bundestag vor, sich zum Sprecher des `fanatischen
armenischen Nationalismus` zu machen, weil sie der Vertreibung der
Armenier gedenken will. Der angesehene türkische Kolumnist Mehmet Ali
Birand warnte dieser Tage gar vor einem `riesigen Tsunami, dem
armenischen Tsunami`. Birand ist sicher, dass die Türkei im Recht sei
und niemand von einem Völkermord sprechen kann.
Das Buch bietet zu dieser Debatte jede Menge Informationen,
beschreibt nicht nur die türkische Leugnung des Völkermordes und die
Flucht der damaligen Haupttäter außer Landes - oft nach Berlin. Es
beschreibt die Verstrickung des deutschen Kaiserreiches. Und erinnert
daran, dass sich später Adolf Hitler für den Holocaust auch deshalb
ermuntert sah, weil die Deutschen den Völkermord an den Armeniern so
rasch vergessen hatten. Umso erstaunlicher mutet an, dass die
SPD-Bundestagsabgeordnete Christa Lörcher noch 2000 vor einer
Anerkennung des Völkermordes warnte - damit der Dialog mit der Türkei
nicht erschwert wird.
Nach vielen harten Fakten geht es dann um die Menschen. Der Leser ist
froh, von vielen Armeniern zu hören, die sich jeder auf seine Weise
Fremdherrschaft und Leid widersetzen, ob nun als Wissenschaftler,
Musiker, Schriftsteller oder gar Außenminister. Und noch einmal lernt
er: Die weitaus meisten Armenier leben heute im Exil, in den USA, in
Frankreich, aber auch etwa in Indien - und selbst in der Türkei, wie
die Akkordeonspielerin Anahit, die bis zu ihrem Tod 2003 in den
Gassen beim Istanbuler Fischbasar musizierte. Sie wird, wie viele
andere Vertreter des kleinen Volkes, liebevoll vorgestellt. Bekannte
sind dabei, wie Charles Aznavour, Unbekannte, wie ein
Karabach-Veteran. Und selbst wenn die Herausgeberin nicht von allen
Porträtierten ein gutes Foto auftreiben konnte: Armenier aus aller
Welt geben in diesem Buch ein gutes Bild ab.
Huberta von Voss: Porträt einer Hoffnung - Die Armenier.Verlag Hans
Schiler, Berlin 2005. 415 Seiten, 28 Euro.