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Spiegel: Gedenken an Armenier-Massaker

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    Druckversion - Gedenken an Armenier-Massaker: Türkei macht gegen Union mobil -
    Politik - SPIEGEL ONLINEMemories on Armenian massacres: Turkey active against
    (German opposition) Union

    SPIEGEL ONLINE - 19. April 2005, 15:40
    URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,352155,00.html

    Gedenken an Armenier-Massaker

    Türkei macht gegen Union mobil

    Von Severin Weiland

    Wochenlang versuchte die Regierung in Ankara, Druck auf die Union
    auszuüben: Hinter einem Antrag, den die CDU/CSU im Bundestag zum
    Massaker der Türken an den Armeniern einbringt, vermutet die Türkei
    einen Komplott, um den EU-Beitritt zu verhindern. Doch vergeblich:
    In dieser Woche wird im Bundestag der Antrag beraten.

    AFP

    Gedenkstätte im armenischen Eriwan: Streit über die Deutungshoheit
    Berlin - In der vergangenen Woche erhielten die Bundestagsabgeordneten
    Post vom türkischen Botschafter Mehmet Ali Irtemcelik. "Mit
    der Zuversicht, dass Sie entsprechend der vielschichtigen
    Sensibilität und mit dem der Bedeutung dieses Themas gebührenden
    Verantwortungsbewusstsein vorgehen werden, danke ich Ihnen für die
    Zeit, die Sie dafür aufwenden", so die Bitte des Diplomaten.

    Die Sendung enthielt Dokumente, in denen die Türkei
    ihre verharmlosende Sicht des Völkermords an den Armeniern
    darstellt. "Verkürzungen" machte darin der frühere Ministerpräsident
    von Sachsen-Anhalt, Christoph Bergner, aus. "Dass eine Botschaft so
    ein Material an Abgeordnete weiterleitet, ist äußerst fragwürdig",
    wundert sich der Christdemokrat.

    In diesem Jahr jährt sich zum neunzigsten Mal der Massenmord an
    den Armeniern, der am 24. April 1915 seinen Anfang nahm. CDU und
    CSU nahmen das Datum Mitte Februar zum Anlass, einen Gedenk-Antrag
    in den Bundestag einzubringen. Die geschichtliche Aufarbeitung
    des Völkermords gehöre für die Union zur europäischen
    Erinnerungskultur, betonten CDU-Politiker. Seitdem ist Ankara
    verstimmt. Aber auch die Bundesregierung geriet in Nöte.

    Nun wird an diesem Donnerstag über den Antrag im Bundestag
    beraten. Statt einer Abstimmung wird das Papier zunächst in die
    Ausschüsse überwiesen. Ein gängiges Verfahren im Parlamentsalltag -
    das allerdings in diesem Falle eine außenpolitische Note erhielt. Denn
    nun wird der Antrag erst im Mai oder im Juni zur Abstimmung kommen -
    also nach der Reise des Kanzlers vom 3. bis zum 4. Mai in die Türkei.

    Ursprünglich hatten SPD und Grüne sogar daran gedacht, ein eigenes
    Papier ins Parlament einzubringen. Wegen interner Abstimmungsprobleme
    und aus Rücksicht auf die Bundesregierung wurde darauf aber
    verzichtet, heißt es.

    Das Thema ist brisant. Denn in der Türkei ist der Mord an der
    christlichen Minderheit der Armenier noch immer ein Tabu. Historiker
    im Westen gehen von mehr als einer Million Opfern aus.

    Von Völkermord oder Genozid zu sprechen, wie es in vielen Forschungen
    heutzutage getan wird, wagt auch der Unionsantrag nicht. Peinlichst
    wurden beide Worte darin vermieden - um die Tür für künftige
    Gespräche mit der türkischen Seite nicht zuzuschlagen. Stattdessen
    wird an die "planmäßige Durchführung der Massaker und Vertreibungen"
    erinnert. Die Bundesregierung solle dafür eintreten, "dass sich die
    Türkei mit ihrer Rolle gegenüber dem armenischen Volk in Geschichte
    und Gegenwart vorbehaltlos auseinandersetzt". Zudem müsse sie sich
    "für die Gewährung der Meinungsfreiheit in der Türkei, insbesondere
    auch bezüglich der Massaker an den Armeniern" einsetzen.

    Scharfe Töne aus Ankara

    Kaum hatte die Union den Antrag eingebracht, brach ein Sturm der
    Entrüstung über sie herein. Die türkische Seite mobilisierte ihre
    Diplomaten und Politiker, in den Medien wurde eine regelrechte Kampagne
    gegen die Union gestartet. "Es steht ausschließlich Historikern
    zu, über geschichtliche Ereignisse Urteile zu fällen", lautet die
    offizielle Linie Ankaras, die sich etwa in der Presseerklärung des
    Botschafters vom 27. Februar wieder findet. Das zweiseitige Papier
    wurde auch an alle Konsulate der Türkei in der Bundesrepublik
    verschickt - und ging von dort an sämtliche Landtagsfraktionen von
    CDU und der CSU.

    "Wir möchten nicht hoffen, dass unsere Freunde in den Unionsparteien
    durch die plumpe Verleumdung der türkischen Geschichte beabsichtigen,
    insbesondere unsere hier lebenden Bürger zu beleidigen und auf
    diese Weise den Integrationsprozess zu beeinträchtigen sowie den
    traditionellen und vielfältigen Beziehungen zwischen der Türkei und
    Deutschland Schaden zuzufügen", heißt es da. Und: Eine so wichtige
    Institution wie die CDU/CSU werde der Verantwortung für Deutschland
    nicht gerecht, "wenn sie sich zum Sprecher des fanatischen armenischen
    Nationalismus macht".

    Ankara ließ nichts unversucht, um ihre Deutung der Geschichte
    vorzubringen. Bergner und der CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger
    trafen sich gleich zweimal mit türkischen Politikern. Zum einen mit
    zwei führenden Vertretern der regierenden konservativ-islamischen
    AKP, dem früheren Außenminister Yasar Yakis und Saban Disli,
    zum anderen mit Mitgliedern des EU-Harmonisierungsausschusses der
    Nationalversammlung in Ankara.

    Beim Gespräch mit den beiden AKP-Vertretern Yakis und Disli
    erörterten die Christdemokraten auch die Möglichkeit, ob zwei
    Historiker der deutschen und zwei der türkischen Seite sich des Themas
    noch einmal annehmen. Das soll geschehen. "Auf unsere Beschlusslage
    hat das aber keinen Einfluss, das betone ich ausdrücklich",
    so Bergner.

    Ebenso suchten türkischstämmige Christdemokraten aus Berliner
    Bezirken das Gespräch. Sie hätten von Austritten aus der CDU
    berichtet, berichtet Bergner. Das Thema sei emotional aufgeladen,
    stellte er fest.

    Ankara vermutet eine Anti-Beitritts-Kampagne

    Ankara vermutet hinter dem Antrag den Versuch, dem Land den Zutritt
    zur EU zu erschweren. Im Gegensatz zu Rot-Grün und dem Kanzler
    ist die Mehrheit in der Union gegen eine Vollmitgliedschaft und
    plädiert stattdessen für eine privilegierte Partnerschaft des
    Mittelmeer-Staates. Bergner weist die Behauptung, man wolle die
    Annäherung der Türkei an Europa durchkreuzen, weit von sich. Um
    die Frage der Türkei und die Art und Weise, wie sie an die EU
    herangeführt werde - ob durch eine EU-Vollmitgliedschaft oder
    privilegierte Partnerschaft - nicht mit der Armenierfrage zu belasten,
    werde der Antrag federführend im Auswärtigen Ausschuss beraten - und
    nur begleitend im Europaausschuss, betont er. "Es geht beim Gedenken
    an den 90. Jahrestag nicht darum, die Türkei auf die Anklagebank
    zu setzen, sondern sie in die europäische Erinnerungskultur mit
    einzubeziehen", sagte der Christdemokrat SPIEGEL ONLINE. Die EU
    sei als "Versöhnungswerk" entstanden. Dazu gehöre auch, "sich den
    dunklen Kapiteln der eigenen Geschichte zu stellen".

    Doch wenn es um das dunkelste Kapitel der türkischen Geschichte geht,
    wird die türkische Botschaft schnell aktiv. Als kürzlich das Land
    Brandenburg den Völkermord an den Armeniern in ein Schulbuch aufnehmen
    wollte, sprach der Generalkonsul Aydin Durusoy persönlich beim
    Brandenburger Ministerpräsidenten Matthias Platzeck vor. Kurzfristig
    zurückgestellt, wird das Vorhaben nun nach einer Überarbeitung des
    Lehrplans doch noch realisiert. Vorgesehen ist nun ein Kapitel über
    mehrere Genozide, darunter auch den 1915/16 verübten Völkermord an
    den Armeniern.

    In Berlin gedachten vor vier Wochen Türken des früheren
    Innenministers des Osmanischen Reiches, Mehmed Talaat
    Pascha. Organisiert worden war die Kranzniederlegung vom Vorsitzenden
    der Türkischen Gemeinde in Berlin, Tacittin Yatkin. Talaat, der mit
    deutscher Hilfe nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches nach
    Berlin geschleust worden war, gilt als einer der Hauptverantwortlichen
    der Massaker.

    Yatkin nannte Pascha noch im März einen "Märtyrer". Der frühere
    Innenminister des Osmanischen Reiches war am 15. März 1921 von einem
    jungen Armenier auf der Hardenbergstraße in Berlin erschossen worden.

    Die Aktivitäten der türkischen Seite zeigen: Der Antrag der Union
    hat die regierende AKP unter Zugzwang gesetzt. Auf dem Weg nach Europa
    versuchte sie vergangene Woche, das Thema in die Hand zu nehmen. In
    der Nationalversammlung wurde eine Resolution verabschiedet, in
    der unter anderem eine türkisch-armenische Historikerkommission
    vorgeschlagen wird. Ohne den Unionsantrag zu erwähnen, wurde darin
    der Versuch verurteilt, dass "ausländische Parlamente zu einem unter
    internationalen Historikern umstrittenen Kapitel der Geschichte der
    osmanischen Armenier" Beschlüsse fassten.

    Das Dokument der Nationalversammlung landete via türkische Botschaft,
    aber ohne Anschreiben, auch bei den CDU/CSU-Abgeordneten - im
    türkischen Original und als zweiseitige "inoffizielle Übersetzung",
    wie es im Titel des Kopfes ausdrücklich heißt. Offenbar war der
    türkischen Seite daran gelegen, der Union so schnell wie möglich
    den Beschluss zukommen zu lassen. Die Sätze sind im holprigen Deutsch
    formuliert, der Sendung lag kein Anschreiben bei.

    CDU-Politiker Bergner nahm auch die jüngste Materialzusendung aus Ankara
    gelassen hin. Es sei eben der "Versuch der türkischen Seite", so der frühere
    Ministerpräsident diplomatisch, "unsere Meinungsbildung zu begleiten".

    © SPIEGEL ONLINE 2005
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