Schweizerische Depeschenagentur AG (SDA)
SDA - Basisdienst Deutsch
19. April 2005
Massacre of the Armenians: Ankara resists the G-word
Massaker an den Armeniern, Ankara wehrt sich gegen das "V-Wort" -
Fuer Tuerkei weiter Tabuthema Hintergrund Von Thomas Seibert, afp
von T.L.
Istanbul
Taucht das "V-Wort" auf oder nicht? Jedes Jahr kurz vor dem 24. April
fiebern Medien und Politiker in der Tuerkei einer Erklaerung des
US-Praesidenten entgegen. Traditionell erinnert der Praesident an
diesem Tag an die blutige Vertreibung der anatolischen Armenier 1915.
Fuer die Tuerken ist entscheidend, ob er dabei das Wort "Voelkermord"
benutzt oder nicht. Tut er es, ist das eine schmaehliche Niederlage
fuer die Tuerkei auf der internationalen Buehne, vermeidet er es mit
Ruecksicht auf den wichtigen Verbuendeten im oestlichen Mittelmeer,
macht sich Erleichterung breit.
Sogar das Wort "Vernichtung" - das in der Erklaerung von George W.
Bush im vergangenen Jahr vorkam - ist aus tuerkischer Sicht besser
als "Voelkermord".
Neunzig Jahre nach dem Beginn der Massaker und Todesmaersche, denen
bis zu 1,5 Millionen Armenier zum Opfer fielen, bleibt das Thema in
der Tuerkei das grosse Tabu. Armenien und ein Grossteil der
internationalen Oeffentlichkeit gehen im Gegensatz zur Tuerkei davon
aus, dass die Regierung des Osmanischen Reiches 1915 gezielt die
Vernichtung der Armenier anordnete.
"Versuch der Aechtung"
Die Tuerkei sieht die Forderungen nach Anerkennung eines Voelkermords
als Versuch, sie international zu aechten und ihr womoeglich sogar
Gebiete im ehemals armenisch besiedelten Osten des Landes streitig zu
machen.
Zwischen der Tuerkei und dem Nachbarland Armenien gibt es keine
diplomatischen Beziehungen, die gemeinsame Grenze ist geschlossen,
erst seit kurzer Zeit gibt es eine direkte Flugverbindung zwischen
Istanbul und Eriwan.
Die tuerkischen Beziehungen zu Laendern wie Frankreich oder der
Schweiz gerieten in den vergangenen Jahren in heftige Turbulenzen,
weil deren Parlamente offizielle Resolutionen mit dem "V-Wort"
verabschiedeten.
Doch Ankara wird das Thema nicht los. Kurz vor dem 90. Jahrestag des
Beginns der Massaker, die mit Festnahmen in Istanbul am 24. April
1915 ihren Anfang nahmen, sieht sich die Tuerkei in der Armenierfrage
unter verstaerktem Druck. Politiker in der EU fordern, die Tuerkei
solle sich ihrer Vergangenheit stellen.
Brief an Bush
Die armenischen Vorwuerfe eines Voelkermordes haetten nichts mit der
historischen Wirklichkeit zu tun und seien politisch motiviert,
schrieb der Vorsitzende der Tuerkischen Parlamentarier-Vereinigung,
Hasan Korkmazcan, laut der Zeitung "Zaman" in einem Brief an den
US-Praesidenten.
Neuerdings belaesst es Ankara nicht mehr bei politischen Warnungen.
Mit neu veroeffentlichten Dokumenten und Fotos will die Tuerkei den
Beweis antreten, dass es sich bei den Massakern nicht um Voelkermord
handelte, sondern um eine Defensivaktion, die unter den Bedingungen
des Ersten Weltkrieges - ungewollt - sehr viele Opfer forderte.
So erklaerte das tuerkische Staatsarchiv vor wenigen Tagen, im
damaligen Osmanischen Reich seien zwischen 1910 und 1922 knapp 524
000 muslimische Tuerken von armenischen Banden getoetet worden. Da
die offizielle Tuerkei von rund 300 000 armenischen Opfern der
Massaker ausgeht, sollen diese Zahlen das Argument unterstreichen,
dass die osmanischen Behoerden zum Handeln gezwungen waren.
Propagandaschlacht
Auch der tuerkische Generalstab leistet seinen Beitrag. Er
veroeffentlichte in den vergangenen Tagen Dokumente aus der Zeit des
Ersten Weltkriegs - nach tuerkischen Zeitungsberichten befassen sich
viele Unterlagen mit Angriffen von Armeniern auf Tuerken. Bilder von
erschlagenen Kindern sollen dies weiter untermauern. Die
Propagandaschlacht ist im vollen Gange.
SDA - Basisdienst Deutsch
19. April 2005
Massacre of the Armenians: Ankara resists the G-word
Massaker an den Armeniern, Ankara wehrt sich gegen das "V-Wort" -
Fuer Tuerkei weiter Tabuthema Hintergrund Von Thomas Seibert, afp
von T.L.
Istanbul
Taucht das "V-Wort" auf oder nicht? Jedes Jahr kurz vor dem 24. April
fiebern Medien und Politiker in der Tuerkei einer Erklaerung des
US-Praesidenten entgegen. Traditionell erinnert der Praesident an
diesem Tag an die blutige Vertreibung der anatolischen Armenier 1915.
Fuer die Tuerken ist entscheidend, ob er dabei das Wort "Voelkermord"
benutzt oder nicht. Tut er es, ist das eine schmaehliche Niederlage
fuer die Tuerkei auf der internationalen Buehne, vermeidet er es mit
Ruecksicht auf den wichtigen Verbuendeten im oestlichen Mittelmeer,
macht sich Erleichterung breit.
Sogar das Wort "Vernichtung" - das in der Erklaerung von George W.
Bush im vergangenen Jahr vorkam - ist aus tuerkischer Sicht besser
als "Voelkermord".
Neunzig Jahre nach dem Beginn der Massaker und Todesmaersche, denen
bis zu 1,5 Millionen Armenier zum Opfer fielen, bleibt das Thema in
der Tuerkei das grosse Tabu. Armenien und ein Grossteil der
internationalen Oeffentlichkeit gehen im Gegensatz zur Tuerkei davon
aus, dass die Regierung des Osmanischen Reiches 1915 gezielt die
Vernichtung der Armenier anordnete.
"Versuch der Aechtung"
Die Tuerkei sieht die Forderungen nach Anerkennung eines Voelkermords
als Versuch, sie international zu aechten und ihr womoeglich sogar
Gebiete im ehemals armenisch besiedelten Osten des Landes streitig zu
machen.
Zwischen der Tuerkei und dem Nachbarland Armenien gibt es keine
diplomatischen Beziehungen, die gemeinsame Grenze ist geschlossen,
erst seit kurzer Zeit gibt es eine direkte Flugverbindung zwischen
Istanbul und Eriwan.
Die tuerkischen Beziehungen zu Laendern wie Frankreich oder der
Schweiz gerieten in den vergangenen Jahren in heftige Turbulenzen,
weil deren Parlamente offizielle Resolutionen mit dem "V-Wort"
verabschiedeten.
Doch Ankara wird das Thema nicht los. Kurz vor dem 90. Jahrestag des
Beginns der Massaker, die mit Festnahmen in Istanbul am 24. April
1915 ihren Anfang nahmen, sieht sich die Tuerkei in der Armenierfrage
unter verstaerktem Druck. Politiker in der EU fordern, die Tuerkei
solle sich ihrer Vergangenheit stellen.
Brief an Bush
Die armenischen Vorwuerfe eines Voelkermordes haetten nichts mit der
historischen Wirklichkeit zu tun und seien politisch motiviert,
schrieb der Vorsitzende der Tuerkischen Parlamentarier-Vereinigung,
Hasan Korkmazcan, laut der Zeitung "Zaman" in einem Brief an den
US-Praesidenten.
Neuerdings belaesst es Ankara nicht mehr bei politischen Warnungen.
Mit neu veroeffentlichten Dokumenten und Fotos will die Tuerkei den
Beweis antreten, dass es sich bei den Massakern nicht um Voelkermord
handelte, sondern um eine Defensivaktion, die unter den Bedingungen
des Ersten Weltkrieges - ungewollt - sehr viele Opfer forderte.
So erklaerte das tuerkische Staatsarchiv vor wenigen Tagen, im
damaligen Osmanischen Reich seien zwischen 1910 und 1922 knapp 524
000 muslimische Tuerken von armenischen Banden getoetet worden. Da
die offizielle Tuerkei von rund 300 000 armenischen Opfern der
Massaker ausgeht, sollen diese Zahlen das Argument unterstreichen,
dass die osmanischen Behoerden zum Handeln gezwungen waren.
Propagandaschlacht
Auch der tuerkische Generalstab leistet seinen Beitrag. Er
veroeffentlichte in den vergangenen Tagen Dokumente aus der Zeit des
Ersten Weltkriegs - nach tuerkischen Zeitungsberichten befassen sich
viele Unterlagen mit Angriffen von Armeniern auf Tuerken. Bilder von
erschlagenen Kindern sollen dies weiter untermauern. Die
Propagandaschlacht ist im vollen Gange.