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    Rat der EKD: „Erinnern um der Versöhnung willen"

    Erklärung zum Völkermord an den Armeniern
    21. April 2005
    Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erinnert an
    den Völkermord an den Armenien vor 90 Jahren. Das höchste
    Leitungsgremium der EKD erklärt dazu, dass „Erinnern um der
    Versöhnung willen" nötig sei: „Die Vergangenheit lässt uns nicht
    los, bis sie wirklich aufgearbeitet ist. Schuld muss angenommen
    werden, die Wahrheit muss verkündet werden. Dieser schwere Schritt
    der Rückwendung zur eigenen Geschichte ist notwendig, um den Weg zur
    Vergebung zu öffnen, bittere Erinnerungen zu heilen und eine
    gemeinsame Zukunft zu gewinnen."

    Der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, wird am
    kommenden Samstag, 23. April, bei dem armenischen Gedenkgottesdienst
    im Berliner Dom eine Gedenkrede halten.

    Erinnern um der Versöhnung willen

    Erklärung des Rates der EKD zum Völkermord an den Armeniern

    24. April 2005


    Am 24. April dieses Jahres gedenkt die Evangelische Kirche in
    Deutschland der Opfer des Völkermords an den Armeniern vor 90
    Jahren. Was damals geschah, darf auch heute nicht verschwiegen
    werden. Deshalb stimmen wir in ökumenischer Verbundenheit dem
    Anliegen zu, das Karekin II., Katholikos Aller Armenier, in seiner
    Enzyklika vom 3. Februar 2005 formuliert hat: „Der erste Völkermord
    des 20. Jahrhundert muss anerkannt und verurteilt werden durch die
    ganze Welt und auch durch die Türkei, denn Gewalt und Mord können
    nicht den Kurs der Menschheit führen." Mit Aram I., Katholikos von
    Kilikien, erklären wir: Die Vergangenheit lässt uns nicht los, bis
    sie wirklich aufgearbeitet ist. Schuld muss angenommen werden, die
    Wahrheit muss verkündet werden. Dieser schwere Schritt der
    Rückwendung zur eigenen Geschichte ist notwendig, um den Weg zur
    Vergebung zu öffnen, bittere Erinnerungen zu heilen und eine
    gemeinsame Zukunft zu gewinnen. Mit Mesrob II., dem armenischen
    Patriarchen von Istanbul und der ganzen Türkei, erinnern wir der
    Hunderttausenden armenischen Bürger, die ihr Leben auf dem
    Todesmarsch in die syrische Wüste verloren und Opfer
    menschenverachtender Angriffe wurden. Die Erinnerung an diese
    bitteren Erfahrungen lässt sich nicht auslöschen oder totschweigen.

    Als Christen sehen wir unsere Aufgabe gerade darin, dafür Sorge zu
    tragen, dass die Wahrheit zum Zuge kommen kann. Dies ist nur
    möglich, wenn historische Ereignisse nicht verschwiegen oder
    geleugnet werden und beiden Seiten, Tätern wie Opfern, die
    Möglichkeit gegeben wird, Schuld und Verletzungen ohne Angst vor
    Repressionen auszusprechen. Dabei steht uns die schmerzvolle
    Erinnerung in der weltweiten Gemeinschaft überlebender Armenier an
    die Ereignisse vor Augen. Aber wir richten unseren Blick auch auf
    die Diskussion dieser Fragen in der türkischen Öffentlichkeit.
    Solange jedoch in der Türkei vor allem Wissenschaftler, Journalisten
    und Juristen mit Strafverfolgung rechnen müssen, wenn sie Dokumente,
    Analysen und Texte zu den Massakern von 1914/15 veröffentlichen, ist
    ein heilender Prozess, ist Versöhnung in der türkischen Gesellschaft
    unmöglich. Wir setzen uns für eine offene und vorurteilslose
    Erörterung dieser Geschehnisse ein, die den Opfern der damaligen
    Gewalthandlungen Gerechtigkeit widerfahren lässt.

    Als Deutsche wissen wir, welche geistliche, intellektuelle und
    gesellschaftliche Herausforderung die historische Aufarbeitung der
    Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts darstellt. Uns ist bewusst,
    dass sich mit dieser Aufarbeitung weitreichende Erwartungen an eine
    politische und wirtschaftliche Wiedergutmachung verbinden können.
    Unsere eigene Erfahrung ermutigt uns aber auch dazu, für einen
    Prozess der Versöhnung zwischen dem türkischen und dem armenischen
    Volk einzutreten. Vor allem der Jugendaustausch zwischen den Völkern
    bietet die Chance, der nachwachsenden Generation durch persönliche
    Kontakte und Freundschaften neue Perspektiven des Zusammenlebens zu
    ermöglichen. Gerade auch um des Verständnisses in der jüngeren
    Generation willen bedürfen die Gewalttaten der Vergangenheit einer
    sorgfältigen Behandlung in den Schulbüchern. Sie darf nicht durch
    politische Interessen verhindert werden.

    Auch in Deutschland bleibt es nötig, sich der Vergangenheit zu
    stellen. Angesichts der Mitverantwortung des Deutschen Reichs ist
    ein deutscher Beitrag zur Aufarbeitung von Vernichtung und
    Vertreibung der Armenier unabdingbar und für die Aufarbeitung der
    Geschichte ethnischer Konflikte im 20. Jahrhundert unverzichtbar. Es
    ist ein Verdienst der Evangelischen Akademien, des Lepsius-Archivs,
    des Lepsius-Hauses und zahlreicher engagierter Gruppen und Personen,
    dass dieser Prozess begonnen hat. Die Arbeit des Lepsius-Hauses in
    Potsdam als eines Zentrums für Erinnerung, Forschung, Bildung und
    Begegnung verdient Unterstützung und Förderung. Die Evangelische
    Kirche in Deutschland bejaht es ausdrücklich, wenn dabei auch die
    Rolle der Kirche im Verhältnis zu dem Lebenswerk von Johannes
    Lepsius kritisch untersucht wird.

    Mit Dankbarkeit schauen die EKD und die armenische Kirche auf eine
    lange Phase herzlicher Verbundenheit zurück, die gerade in den
    letzten Jahren in vielen ökumenischen Begegnungen und Hilfsprojekten
    der Diakonie wie des Entwicklungsdienstes Ausdruck gefunden hat.
    Kirchen und Akademien bieten ein Forum für Begegnungen und Gespräche
    zwischen Türken, Armeniern und Deutschen auch in unserem Land.

    Aus Anlass des neunzigjährigen Gedenkens an den Beginn der
    Todesmärsche bittet der Rat der EKD Bundestag und Bundesregierung,
    ihren politischen Beitrag dazu zu leisten, dass zwischen Türken und
    Armeniern ein Ausgleich durch die Bereitschaft zu Wahrheit und
    Versöhnung, durch das Verzeihen historischer Schuld und durch einen
    mutigen Neubeginn erreicht wird.

    Hannover / Berlin, 21. April 2005

    Pressestelle der EKD
    Christof Vetter
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