Tages-Anzeiger
11. August 2005
Tuerkei loest neue Voelkermord-Debatte aus
von Annetta Bundi, Bern
Die geplatzte Tuerkei-Reise von Bundesrat Deiss fuehrt dazu, dass der
Voelkermord an den Armeniern nun wohl auch im Staenderat thematisiert
wird. Das war nicht das Ziel der Absage.
Die tuerkischen Nationalisten haben sich zu frueh gefreut: Anders als
von einzelnen Presseagenturen und revisionistischen Postillen
kolportiert, haben die Aussenpolitiker des Staenderates keineswegs
beschlossen, zum Voelkermord an den Armeniern zu schweigen und die
1915 von den Tuerken begangenen Massaker "nie" zu thematisieren, wie
dies etwa das Magazin "Turkish Weekly" kuerzlich behauptet hat.
Das Blatt nimmt dabei auf Aussagen Bezug, die der Schaffhauser
FDP-Staenderat Peter Briner gemacht haben soll. Der Praesident der
Aussenpolitischen Kommission stellt nun aber entschieden in Abrede,
je derartige Auskuenfte erteilt zu haben. Es handle sich um
Falschmeldungen, so Briner. "Es ist durchaus moeglich, dass der
Genozid an den Armeniern in der Kommission und spaeter auch im Rat
zur Sprache kommen wird." Vermutlich sei seine Aussage, wonach der
Staenderat bisher keine Veranlassung gesehen habe, den Voelkermord zu
anerkennen, einfach in die Zukunft projiziert worden.
Ausladung wird traktandiert
Fuer Briner ist klar, dass die Ausladung von Bundesrat Joseph Deiss
an der naechsten Sitzung der Kommission thematisiert werden muss.
"Bei dieser Gelegenheit werden wir natuerlich auch auf die Umstaende
zu sprechen kommen, die dazu gefuehrt haben." Die Tuerkei hat die
Reise von Bundesrat Deiss offiziell wegen "Terminproblemen" abgesagt.
Der wahre Grund duerfte allerdings in den Strafverfahren liegen, die
in der Schweiz gegen die beiden Genozid -Leugner Yusuf Halacoglu und
Dogu Perincek eroeffnet wurden.
Die Aussenpolitiker des Staenderates haben sich in den letzten Jahren
bereits mehrmals mit dem Voelkermord an den Armeniern befasst. Im
November 2000 beschlossen sie zum Beispiel, dem Bundesrat eine
Petition "zur Kenntnisnahme" zu ueberweisen. Bei dieser Gelegenheit
deponierten sie bei ihm auch den Wunsch, er moege den Genozid im
"politischen Dialog" mit der Tuerkei zur Sprache bringen. Eine
offizielle Anerkennung des Voelkermordes stand im Stoeckli bis anhin
nicht zur Diskussion.
Das koennte sich indes bald aendern. "Der Staenderat darf zu diesem
Thema nicht schweigen", findet Simonetta Sommaruga, die fuer die
Berner SP in der kleinen Kammer sitzt. Angesichts der juengsten
Ereignisse sei es angezeigt, den Verstimmungen zwischen der Schweiz
und der Tuerkei auf den Grund zu gehen. Sommaruga hat sich schon als
Nationalraetin fuer die Anerkennung des Genozids ausgesprochen. Das
gilt auch fuer ihre Basler Parteikollegin Anita Fetz. Es erstaunt
daher nicht, dass sie sich ebenfalls eine Debatte wuenscht. "Das
letzte Wort ist in dieser Sache noch nicht gesprochen", ist Fetz
ueberzeugt.
Ob sich fuer die Anerkennung des Voelkermordes im Staenderat
allerdings eine Mehrheit finden lassen wird, ist offen. Viel haengt
davon ab, wie sich die Vertreter der CVP verhalten werden, die den
Armeniern von der Religion her eigentlich eng verbunden sind. Im
Nationalrat stimmten denn auch etliche Christlichdemokraten der
Anerkennung zu - darunter die heutige Praesidentin Doris Leuthard.
Staenderat Theo Maissen, der vor einem Jahr zusammen mit anderen
Aussenpolitikern in der Tuerkei weilte, haelt von derartigen Gesten
allerdings herzlich wenig: "Es liegt nicht an uns, den Weltpolizisten
zu spielen."
Demonstratives Desinteresse
Solche Bemerkungen stossen den Vertretern der Armenier ebenso sauer
auf wie die Tatsache, dass die tuerkischen Medien mit den von Peter
Briner inzwischen korrigierten Aussagen gegen die Schweiz Stimmung
machen. Endlich finde unser Land zu einer "sanfteren" Politik
zurueck, triumphieren die Nationalisten in ihren Publikationen. "Das
ist ein weiteres Indiz dafuer, dass der Bundesrat gegenueber der
Tuerkei in Zukunft viel entschiedener auftreten muss, als er es
bisher getan hat", findet der Freiburger CVP-Nationalrat Dominique de
Buman, der als Kopraesident der parlamentarischen Gruppe
Schweiz-Armenien amtet.
Deren Worte haben im Bundesrat aber offensichtlich nicht sonderlich
Gewicht: Bis Wirtschaftsminister Deiss auf die Briefe der
parlamentarischen Gruppe antworte, vergingen jeweils mehrere Monate,
kritisiert der gruene Nationalrat Ueli Leuenberger, der sich mit de
Buman das Praesidium teilt. "Den Interessen der Armenier begegnet
Deiss mit demonstrativem Desinteresse." Mit einem Vorstoss will er
nun den Druck auf die Regierung erhoehen. "Sie muss gegenueber der
Tuerkei von ihrer beschwichtigenden Haltung wegkommen", verlangt
Leuenberger.
Peter Briner.
11. August 2005
Tuerkei loest neue Voelkermord-Debatte aus
von Annetta Bundi, Bern
Die geplatzte Tuerkei-Reise von Bundesrat Deiss fuehrt dazu, dass der
Voelkermord an den Armeniern nun wohl auch im Staenderat thematisiert
wird. Das war nicht das Ziel der Absage.
Die tuerkischen Nationalisten haben sich zu frueh gefreut: Anders als
von einzelnen Presseagenturen und revisionistischen Postillen
kolportiert, haben die Aussenpolitiker des Staenderates keineswegs
beschlossen, zum Voelkermord an den Armeniern zu schweigen und die
1915 von den Tuerken begangenen Massaker "nie" zu thematisieren, wie
dies etwa das Magazin "Turkish Weekly" kuerzlich behauptet hat.
Das Blatt nimmt dabei auf Aussagen Bezug, die der Schaffhauser
FDP-Staenderat Peter Briner gemacht haben soll. Der Praesident der
Aussenpolitischen Kommission stellt nun aber entschieden in Abrede,
je derartige Auskuenfte erteilt zu haben. Es handle sich um
Falschmeldungen, so Briner. "Es ist durchaus moeglich, dass der
Genozid an den Armeniern in der Kommission und spaeter auch im Rat
zur Sprache kommen wird." Vermutlich sei seine Aussage, wonach der
Staenderat bisher keine Veranlassung gesehen habe, den Voelkermord zu
anerkennen, einfach in die Zukunft projiziert worden.
Ausladung wird traktandiert
Fuer Briner ist klar, dass die Ausladung von Bundesrat Joseph Deiss
an der naechsten Sitzung der Kommission thematisiert werden muss.
"Bei dieser Gelegenheit werden wir natuerlich auch auf die Umstaende
zu sprechen kommen, die dazu gefuehrt haben." Die Tuerkei hat die
Reise von Bundesrat Deiss offiziell wegen "Terminproblemen" abgesagt.
Der wahre Grund duerfte allerdings in den Strafverfahren liegen, die
in der Schweiz gegen die beiden Genozid -Leugner Yusuf Halacoglu und
Dogu Perincek eroeffnet wurden.
Die Aussenpolitiker des Staenderates haben sich in den letzten Jahren
bereits mehrmals mit dem Voelkermord an den Armeniern befasst. Im
November 2000 beschlossen sie zum Beispiel, dem Bundesrat eine
Petition "zur Kenntnisnahme" zu ueberweisen. Bei dieser Gelegenheit
deponierten sie bei ihm auch den Wunsch, er moege den Genozid im
"politischen Dialog" mit der Tuerkei zur Sprache bringen. Eine
offizielle Anerkennung des Voelkermordes stand im Stoeckli bis anhin
nicht zur Diskussion.
Das koennte sich indes bald aendern. "Der Staenderat darf zu diesem
Thema nicht schweigen", findet Simonetta Sommaruga, die fuer die
Berner SP in der kleinen Kammer sitzt. Angesichts der juengsten
Ereignisse sei es angezeigt, den Verstimmungen zwischen der Schweiz
und der Tuerkei auf den Grund zu gehen. Sommaruga hat sich schon als
Nationalraetin fuer die Anerkennung des Genozids ausgesprochen. Das
gilt auch fuer ihre Basler Parteikollegin Anita Fetz. Es erstaunt
daher nicht, dass sie sich ebenfalls eine Debatte wuenscht. "Das
letzte Wort ist in dieser Sache noch nicht gesprochen", ist Fetz
ueberzeugt.
Ob sich fuer die Anerkennung des Voelkermordes im Staenderat
allerdings eine Mehrheit finden lassen wird, ist offen. Viel haengt
davon ab, wie sich die Vertreter der CVP verhalten werden, die den
Armeniern von der Religion her eigentlich eng verbunden sind. Im
Nationalrat stimmten denn auch etliche Christlichdemokraten der
Anerkennung zu - darunter die heutige Praesidentin Doris Leuthard.
Staenderat Theo Maissen, der vor einem Jahr zusammen mit anderen
Aussenpolitikern in der Tuerkei weilte, haelt von derartigen Gesten
allerdings herzlich wenig: "Es liegt nicht an uns, den Weltpolizisten
zu spielen."
Demonstratives Desinteresse
Solche Bemerkungen stossen den Vertretern der Armenier ebenso sauer
auf wie die Tatsache, dass die tuerkischen Medien mit den von Peter
Briner inzwischen korrigierten Aussagen gegen die Schweiz Stimmung
machen. Endlich finde unser Land zu einer "sanfteren" Politik
zurueck, triumphieren die Nationalisten in ihren Publikationen. "Das
ist ein weiteres Indiz dafuer, dass der Bundesrat gegenueber der
Tuerkei in Zukunft viel entschiedener auftreten muss, als er es
bisher getan hat", findet der Freiburger CVP-Nationalrat Dominique de
Buman, der als Kopraesident der parlamentarischen Gruppe
Schweiz-Armenien amtet.
Deren Worte haben im Bundesrat aber offensichtlich nicht sonderlich
Gewicht: Bis Wirtschaftsminister Deiss auf die Briefe der
parlamentarischen Gruppe antworte, vergingen jeweils mehrere Monate,
kritisiert der gruene Nationalrat Ueli Leuenberger, der sich mit de
Buman das Praesidium teilt. "Den Interessen der Armenier begegnet
Deiss mit demonstrativem Desinteresse." Mit einem Vorstoss will er
nun den Druck auf die Regierung erhoehen. "Sie muss gegenueber der
Tuerkei von ihrer beschwichtigenden Haltung wegkommen", verlangt
Leuenberger.
Peter Briner.