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Volkermord ins Parlament

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    FAZ.NET
    25 Februar 2005

    Bundestag
    Völkermord ins Parlament
    Von Regina Mönch

    23. Februar 2005 Die CDU/CSU-Fraktion hat beschlossen, in den Bundestag
    einen Antrag zum Gedenken an die letzten, die furchtbarsten
    Vertreibungen und die Massaker an der armenischen Bevölkerung des
    Osmanischen Reiches einzubringen. Fände der Antrag eine Mehrheit, würde
    dies eine grundsätzliche Wende bedeuten, denn die deutsche Politik
    glaubte bisher, auf verwunschenen diplomatischen Pfaden wäre die Türkei
    eines Tages davon abzubringen, sich ihrer Verantwortung für den Genozid
    an den Armeniern unter jungtürkischer Regierung zu verweigern. Wer
    schweigt, so der Irrglaube, kann wenig falsch machen.



    Die Deportationen und Massaker, denen etwa anderthalb Millionen Armenier
    zum Opfer fielen, begannen vor neunzig Jahren. Der Antrag, der die
    historischen Hintergründe, die Fakten und die Rolle des Deutschen
    Reiches in dieser Katastrophe ungewohnt ausführlich darlegt, vermeidet
    den Begriff Völkermord und nennt sein wichtigstes Ziel gleich im
    Titel: einen deutschen Beitrag zur Versöhnung zwischen Türken und
    Armeniern, auch jenen, die mitten unter uns leben. Es handelt sich aber
    nicht um eine Resolution mit Gesetzeskraft, wie sie vor vier Jahren vom
    französischen Parlament verabschiedet wurde. Gegen diese Erklärung
    hatten damals auch deutsche Politiker polemisiert, weil man die Türkei
    nicht zwingen dürfe, von ihrer Leugnungspolitik abzurücken. Sie müsse
    selbst zur Erkenntnis kommen, hieß es seinerzeit, und es sei auch nicht
    die Aufgabe von Parlamenten, historische Ereignisse zu bewerten.

    Türkei rigoros

    Damit hatten sich jene durchgesetzt, die die Türkei nicht verärgern
    wollten. Wie sich Armenier dabei fühlten, war ziemlich egal, weil
    weltpolitisch ohne Bedeutung. Anderthalb Jahre vor der französischen
    Initiative hatte ein Brief des damaligen amerikanischen Präsidenten Bill
    Clinton an das Repräsentantenhaus in Washington fast in letzter Minute
    dessen geplante Resolution zum Genozid an den Armeniern verhindert -
    wegen bedeutender nationaler Interessen. Die Türkei hatte zuvor
    gedroht, ihre Luftwaffenbasis Incirlik für die Vereinigten Staaten zu
    schließen, und die ehemalige türkische Ministerpräsidentin Ciller
    forderte sogar, türkische Armenier deportieren zu lassen, weil sie
    Illegale seien.

    Schon im April 2000 hatten sich sechstausend deutsche Armenier, die
    Würdenträger der armenisch-apostolischen Kirche in Deutschland, aber
    auch Vereine, darunter kurdische, an den Petitionsausschuß des Deutschen
    Bundestages mit der Bitte gewandt, die Regierung der Türkei
    aufzufordern, die historischen Tatsachen der Verbrechen von 1915
    anzuerkennen. Ein Jahr später wurde der Vorgang ans Auswärtige Amt
    überwiesen, verbunden mit der Bitte, die Angelegenheit im Rahmen der
    diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland
    anzusprechen. Seitdem herrscht offiziell wieder Schweigen. Das
    Verhältnis zwischen der Türkei und der Republik Armenien ist zerrütteter
    denn je. Die Schuld daran geben einige deutsche Diplomaten und Politiker
    auch den Armeniern, die zu sehr auf ihre Vergangenheit fixiert seien -
    so als sei Versöhnung ohne Wahrheit zu haben - und dabei ihre
    politischen Ziele aus den Augen verlören. Eine abenteuerliche
    Begründung, vergleicht man sie mit den hierzulande und überhaupt in
    Europa ansonsten üblichen Standards für Menschenrechte und
    Erinnerungskultur. Die Hoffnung, im Zuge der türkischen
    Beitrtittsverhandlungen mit der EU werde sich etwas ändern, hat sich
    bisher nicht bestätigt.

    Materielle Interessen

    Wer das nicht glaubt, studiere die offizielle Website der türkischen
    Außenpolitik. Ein Gesetz, welches in der Türkei all jene, auch
    unabhängig arbeitende Historiker, mit Gefängnisstrafe bedrohte, wenn sie
    den Genozid an den Armeniern einen Genozid nennen, ist zwar geändert
    worden. Doch macht sich nun strafbar, wer mit ausländischer
    Unterstützung, zum Beispiel bei Veranstaltungen von Stiftungen, oder
    aus materiellen Interessen darüber redet. Ein weites Feld für diffuse
    Willkür.

    Im Antrag der Unionsfraktion wird ausdrücklich darauf verwiesen, daß es
    auch darum geht, Historiker und Verleger in der Türkei zu bestärken,
    sich mit diesem Teil der nationalen Vergangenheit auseinanderzusetzen,
    und sie gegebenenfalls vor Strafverfolgung zu schützen. Das ist ein
    anderer Ton als der lange hierzulande vorherrschende, der sich gern
    hinter Empfindlichkeiten der großen türkischen Gemeinde in Deutschland
    verschanzte und nationalistische Entgleisungen in bezug auf die
    Armeniertragödie kleinzureden versuchte und dabei schon mal die
    Meinungsfreiheit preisgab.

    Türkei verletzt Versöhnungsidee der EU

    Das Bestreben der Türkei zu leugnen, daß den Verfolgungen von 1915
    Planmäßigkeit zugrunde gelegen habe und Massenmord im staatlichen
    Auftrag gewesen sei, stehe im Widerspruch zur Versöhnungsidee der EU,
    heißt es in dem Antrag. Der erwähnt auch, daß zu den Repressionsopfern
    der jungtürkischen Nationalisten hohe türkische Beamte und osmanische
    Parlamentarier gehörten, die die Vertreibungen und Massaker damals
    ablehnten. Zwei Absätze schildern die Verstrickung des Deutschen Reiches
    in diese Vorgänge und empfehlen die Archive des Auswärtigen Amtes und
    das Hallenser Lepsius-Archivs zur Überprüfung der haltlosen Ausrede, die
    nicht nur von der Türkei gern bemüht wird, zuerst einmal müßten sich die
    Historiker einigen.

    Die sind sich nämlich seit Jahren weitgehend einig, denn die Ereignisse
    sind gut erforscht, wenn auch wenig bekannt. Und weil es sich im Falle
    des Gedenkens an einen Völkermord nicht um Geschichtsdeutung und auch
    nicht um einen Historikerstreit handelt, sondern um eine politische
    Antwort auf die politische Leugnung historischer Tatsachen, kommt der
    Antrag der Unionsfraktion zur rechten Zeit.

    In Deutschland unter Militärzensur

    Vor fast neunzig Jahren, im Oktober 1915, also mitten im Ersten
    Weltkrieg, als Deutschland und die Türkei Verbündete waren, hatte der
    Theologe Johannes Lepsius auf Einladung der Pressevereinigung im
    Berliner Reichstagsgebäude eine mutige Rede zu den Deportationen und
    Morden gehalten und die deutsche Regierung aufgefordert, sofort
    einzugreifen. Unmittelbar danach wurde das Thema in Deutschland unter
    Militärzensur gestellt, der auch Lepsius' erste Genozid-Dokumentation
    zum Opfer fiel, die die Politiker nicht mehr erreichte. Der Bundestag,
    ließe er sich in diesem Jahr endlich auf ein offizielles Gedenken ein,
    könnte damit auch eine Debatte aufnehmen, zu der es vor Jahrzehnten
    wegen übergeordneter nationaler Interessen nicht mehr kam.


    Text: F.A.Z., 24.02.2005, Nr. 46 / Seite 43
    Bildmaterial: picture-alliance / dpa/dpaweb

    http://www.faz.net/s/RubF84585048DC8409FBC081C45E7AF3C2E/Doc~EA44ECCC0F64A4112A772F572C4885060~ATpl~Ecommon ~Scontent.html
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