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Heise Online: Wissenschaftliche Schatzkammer aus Armenien

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    TP: Wissenschaftliche Schatzkammer aus Armenien
    Wissenschaftliche Schatzkammer aus Armenien
    Andrea Naica-Loebell 09.07.2005
    Die alten Pferdedoktoren waren gar nicht so unwissend
    Wer heute in den Medien etwas über die Armenier liest, erfährt meistens die
    neuesten Nachrichten über die andauernden historischen Diskussionen in und
    mit der Türkei. Am 24. April begingen die Armenier den Weltgedenktag des
    Genozids an ihrem Volk. Erst kürzlich forderte der deutsche Bundestag das
    türkische Parlament und alle Türken auf, sich vorbehaltlos mit ihrer Rolle
    gegenüber dem armenischen Volk in Geschichte und Gegenwart auseinander zu
    setzen.
    Die Armenier sind aber nicht nur Opfer einer immer wieder grausamen
    Geschichte, sondern auch Vermittler der Kulturen zwischen Okzident und
    Orient. Ein weiterer Beleg für diese historische Rolle ist ein neu
    übersetztes Handbuch der Pferdeheilkunde aus dem 13. Jahrhundert.
    Die Armenier wurden in ihrer Geschichte immer wieder überfallen,
    unterdrückt, vertrieben und ermordet. Dabei waren die Hochtäler Armeniens
    seit 2000 vor Christus ein wichtiger Ausgangspunkt der Geschichte der
    Zivilisation (Armenia - Links (1)). Um 860 v. Chr. entsteht auf dem Gebiet
    der heutigen Ost-Türkei und der Republik Armenien das Urartu-Großreich, das
    später zuerst von den Medern, dann den Persern erobert wird. Später wird das
    Fürstentum römisch und 301 nach Christus tritt der armenische Herrscher
    Tiridates III zum christlichen Glauben über und erklärt das Christentum zur
    Staatsreligion. Die armenisch-apostolische Kirche (2) ist die älteste
    christliche Nationalkirche.
    Anfang des 5. Jahrhunderts teilen die Perser und Byzanz (oströmisches Reich)
    das armenische Gebiet unter sich auf. Die Kämpfe hören nie auf: zuerst
    annektieren die Byzantiner das Land, dann die Ottomanen. Immer wieder finden
    Pogrome gegen die christlichen Armenier statt, im Ersten Weltkrieg
    vertreiben und ermorden die Jüngtürken dann Millionen von Armeniern aus der
    Türkei (Der Genozid am armenischen Volk (3)).
    Die Debatten um diesen Völkermord und die historische Schuld des türkischen
    Staates halten bis heute an (Was gehen uns die Armenier an? (4)). Der
    Bundestag hat am 16. Juni eine Resolution verabschiedet, um "mitzuhelfen,
    dass zwischen Türken und Armeniern ein Ausgleich durch Aufarbeitung,
    Versöhnen und Verzeihen historischer Schuld erreicht wird". Das deutsche
    Parlament "verneige sich im Gedenken an die Opfer von Gewalt, Mord und
    Vertreibung" unter den Armeniern ("Deutschland muss zur Versöhnung zwischen
    Türken und Armeniern beitragen" (5)).
    Auch der Konflikt Armenien und Aserbaidschan um das hauptsächlich von
    christlichen Armeniern bewohnte Gebiet Nagornij Karabach (Berg-Karabach) ist
    bis heute nicht vollständig gelöst (Aussöhnung zwischen Armenien und
    Aserbaidschan wird Stabilität im Kaukasus fördern (6)).

    Originalskizze mit handschriftlichen Anmerkungen aus dem Kilikischen
    Heilbuch für Pferde (Bild: Jasmine Dum-Tragut)
    Die Armenier waren Jahrhunderte lang die Vermittler zwischen Abend- und
    Morgenland. Römische, christliche, islamische, byzantinische und türkische
    Einflüsse flossen in ihrer Kultur zusammen. Eine Blütezeit erlebten sie
    während des Königreichs in Kilikien zwischen 1080 und 1375 (Königreich
    Kleinarmenien (7)).
    In Kilikien entstand zwischen 1295 bis 1298 auch das gerade in einer
    transdisziplinären Zusammenarbeit ins Deutsche übersetzte armenische Buch
    über Pferdeheilkunde. Geschrieben hat es damals ein sprachgewandter
    armenischer Mönch zusammen mit einem syrischen Pferdearzt. Wie auch die 1240
    von Meister Albrant, dem Marstaller bei Kaiser Friedrich II. in Neapel,
    verfasste Rossarzneibuch "Von den rossen ertzney" (8)) und die von Jordanus
    Ruffus (ebenfalls ein Gefolgsmann Friedrichs II.) um 1250 verfasste
    "Hippiatria (De cura equorum)" bietet es praktische Hinweise zu
    Pferdekrankheiten. Darüber hinaus ist es aber einen Einblick in das gesamte
    pferdekundliche Wissen des ausgehenden 13. Jahrhunderts im Vorderen Orient.
    Das Buch umfasst 184 handschriftliche Blätter und Skizzen.
    Übersetzt wurde die Kilikische Heilkunst für Pferde (9) von der
    Sprachforscherin Jasmine Dum-Tragut an der Universität Salzburg (10), mit
    der fachkundlichen Unterstützung der Veterinärmediziner von der Universität
    Wien (11). Den Tierärzten fiel vor allem auf, dass das damalige Wissen über
    die Verwendung pflanzlicher Heilkräuter sehr weit fortgeschritten war - die
    gleichen Heilpflanzen wurden auch zur Behandlung menschlicher Krankheiten
    verwendet.
    Das armenische Pferdebuch enthält allerdings nicht nur
    veterinärmedizinisches Wissen zu Krankheiten, Schmerzarten, anderen Symptome
    und Behandlungen, sondern beschreibt auch die Geschichte der Erschaffung des
    Pferdes, gibt Tipps zur Zucht, und erklärt die Eigenschaften, die Rassen
    sowie die richtige Pflege der Reittiere. Jasmine Dum-Tragut erläutert:
    Das Buch erwähnt als Quellen ein indisches Fachbuch sowie zwei arabische
    Werke. Das Studium dieser Originalquellen in persischer und griechischer
    Sprache zeigt eindeutig, dass das Kilikische Pferdeheilbuch keine bloße
    Übersetzung bestehender Information ist, sondern ein eigenständiges
    Kompendium. Das Kilikische Heilbuch für Pferde ist wirklich eine
    wissenschaftliche Schatzkammer. Nicht nur für die Analyse der armenischen
    Sprache, sondern auch für die Literaturgeschichte und die Sozialgeschichte
    des Pferdes in Armenien.

    Links
    (1) http://www.vaa.fak12.uni-muenchen.de/Armenia/Armenia-Links.html
    (2) http://www.helmut-zenz.de/hzaak.htm
    (3) http://www.theforgotten.org/site/intro_ger.html
    (4 ) http://www.telepolis.de/r4/artikel/19/19959/1.html
    (5) http://www.bundestag.de/bic/hib/2005/2005_166/04.h tml
    (6) http://russlandonline.ru/rupol0010/morenews.php?id item=7063
    (7) http://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigreich_Klein armenien
    (8)
    http://www.fh-augsburg.de/~harsch/germanica/Chron ologie/13Jh/Albrant/alb_ross.html
    (9)
    http://www.vet-magazin.com/service/bookshop/gesch ichte/Kilikische-Pferde-Heilkunst.html
    (10) http://www.sbg.ac.at/
    (11) http://www.univie.ac.at

    Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/r4/artikel/20/20398/1.html



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