Frankfurter Allgemeine Zeitung
22. Juli 2005
An interview with Genocide researcher Mihran Dabag:
A milestone: Brandenburg forces the German-Turks to remember their
past
Ein Gespräch mit dem Genozidforscher Mihran Dabag;
Ein Meilenstein; Brandenburg zwingt die Deutsch-Türken zum Gedenken
Eine Handreichung für die Lehrer an den Schulen Brandenburgs soll den
türkischen Genozid an den Armeniern im Jahr 1915 für den
Geschichtsunterricht aufbereiten. Was steht in der Handreichung?
Die Handreichung, gemeinsam vom Landesinstitut für Schule und Medien
Brandenburg und dem Institut für Diaspora- und Genozidforschung an
der Ruhr-Universität Bochum erstellt, umfaßt neben einer Bestimmung
des Begriffs "Genozid" didaktische Hinweise zur Thematisierung von
Völkermord im Schulunterricht sowie Darstellungen von Völkermorden im
zwanzigsten Jahrhundert. Dargestellt werden der Völkermord an den
Hereros, die Genozide in Kambodscha und Ruanda, zudem werden die
Gewalt im Stalinismus und die postjugoslawischen Kriege
problematisiert. Ein etwas umfangreicherer Beitrag ist dem Völkermord
an den Armeniern gewidmet, nicht zuletzt wegen seiner Vorgeschichte
und seiner engen Verwobenheit mit der europäischen, insbesondere der
deutschen, Geschichte.
Gab es politische Einflüsse bei der Abfassung dieser
Lehrerhandreichung?
Ich würde in diesem Falle einer politischen Einflußnahme kein großes
Gewicht zumessen. Etwas ungewöhnlich ist vielleicht, daß der
Darstellung des Genozids an den Armeniern eine "Offizielle
Stellungnahme des Türkischen Generalkonsulats Berlin" nachgestellt
ist. Es sollte jedenfalls nicht übersehen werden, daß das Land
Brandenburg mit dieser Schrift einen Schritt getan hat, den ich als
vorbildlich bezeichnen möchte.
Wird in der Handreichung herausgestellt, warum das armenische
Schicksal für Europa und sein Verhältnis zur Türkei, aber auch für
die Erinnerung an den Holocaust von Bedeutung ist?
Diese Verbindungen werden in der Handreichung noch nicht hergestellt.
Aber sie ist der erste Versuch in der Bundesrepublik, das Thema
Völkermode und staatliche Gewaltverbrechen für den Unterricht
systematisch zugänglich zu machen.
Wann werden die anderen Bundesländer den ersten großen Völkermord im
zwanzigsten Jahrhundert in den Schulbüchern ausführlicher behandeln?
Erfreulicherweise wird diese Forderung von unterschiedlichen Seiten
unterstützt. Meines Wissens beabsichtigt das Land Brandenburg, einen
solchen Vorschlag in die Kultusministerkonferenz einzubringen. Dies
ist sehr zu befürworten, weil insbesondere in Westdeutschland die
Schulklassen einen multikulturellen Charakter haben, mit
unterschiedlichem Erfahrungshintergrund und entsprechenden
Geschichtsbildern. Dies betrifft natürlich auch Schüler mit
türkischem Migrationshintergrund, deren Geschichtsbild von der
offiziellen, nationalistisch geprägten Geschichtspolitik der Türkei
bestimmt wird. Dieses findet auch in den türkischen Medien und
Organisationen in der Bundesrepublik Multiplikatoren. Die
Thematisierung des Völkermordes an den Armeniern in den Schulen kann
insofern einen kritischen Umgang mit der eigenen Geschichte
befördern, der Fragen an die eigenen Eltern und Großeltern aufwirft
und somit einen Beitrag zur weiteren Integration leisten kann.
Die Fragen stellte Michael Jeismann.
Gegen die falsche europäische Vergeßlichkeit: Mihran Dabag.
Foto Dieter Rüchel
22. Juli 2005
An interview with Genocide researcher Mihran Dabag:
A milestone: Brandenburg forces the German-Turks to remember their
past
Ein Gespräch mit dem Genozidforscher Mihran Dabag;
Ein Meilenstein; Brandenburg zwingt die Deutsch-Türken zum Gedenken
Eine Handreichung für die Lehrer an den Schulen Brandenburgs soll den
türkischen Genozid an den Armeniern im Jahr 1915 für den
Geschichtsunterricht aufbereiten. Was steht in der Handreichung?
Die Handreichung, gemeinsam vom Landesinstitut für Schule und Medien
Brandenburg und dem Institut für Diaspora- und Genozidforschung an
der Ruhr-Universität Bochum erstellt, umfaßt neben einer Bestimmung
des Begriffs "Genozid" didaktische Hinweise zur Thematisierung von
Völkermord im Schulunterricht sowie Darstellungen von Völkermorden im
zwanzigsten Jahrhundert. Dargestellt werden der Völkermord an den
Hereros, die Genozide in Kambodscha und Ruanda, zudem werden die
Gewalt im Stalinismus und die postjugoslawischen Kriege
problematisiert. Ein etwas umfangreicherer Beitrag ist dem Völkermord
an den Armeniern gewidmet, nicht zuletzt wegen seiner Vorgeschichte
und seiner engen Verwobenheit mit der europäischen, insbesondere der
deutschen, Geschichte.
Gab es politische Einflüsse bei der Abfassung dieser
Lehrerhandreichung?
Ich würde in diesem Falle einer politischen Einflußnahme kein großes
Gewicht zumessen. Etwas ungewöhnlich ist vielleicht, daß der
Darstellung des Genozids an den Armeniern eine "Offizielle
Stellungnahme des Türkischen Generalkonsulats Berlin" nachgestellt
ist. Es sollte jedenfalls nicht übersehen werden, daß das Land
Brandenburg mit dieser Schrift einen Schritt getan hat, den ich als
vorbildlich bezeichnen möchte.
Wird in der Handreichung herausgestellt, warum das armenische
Schicksal für Europa und sein Verhältnis zur Türkei, aber auch für
die Erinnerung an den Holocaust von Bedeutung ist?
Diese Verbindungen werden in der Handreichung noch nicht hergestellt.
Aber sie ist der erste Versuch in der Bundesrepublik, das Thema
Völkermode und staatliche Gewaltverbrechen für den Unterricht
systematisch zugänglich zu machen.
Wann werden die anderen Bundesländer den ersten großen Völkermord im
zwanzigsten Jahrhundert in den Schulbüchern ausführlicher behandeln?
Erfreulicherweise wird diese Forderung von unterschiedlichen Seiten
unterstützt. Meines Wissens beabsichtigt das Land Brandenburg, einen
solchen Vorschlag in die Kultusministerkonferenz einzubringen. Dies
ist sehr zu befürworten, weil insbesondere in Westdeutschland die
Schulklassen einen multikulturellen Charakter haben, mit
unterschiedlichem Erfahrungshintergrund und entsprechenden
Geschichtsbildern. Dies betrifft natürlich auch Schüler mit
türkischem Migrationshintergrund, deren Geschichtsbild von der
offiziellen, nationalistisch geprägten Geschichtspolitik der Türkei
bestimmt wird. Dieses findet auch in den türkischen Medien und
Organisationen in der Bundesrepublik Multiplikatoren. Die
Thematisierung des Völkermordes an den Armeniern in den Schulen kann
insofern einen kritischen Umgang mit der eigenen Geschichte
befördern, der Fragen an die eigenen Eltern und Großeltern aufwirft
und somit einen Beitrag zur weiteren Integration leisten kann.
Die Fragen stellte Michael Jeismann.
Gegen die falsche europäische Vergeßlichkeit: Mihran Dabag.
Foto Dieter Rüchel