Neue Zürcher Zeitung
25. Juli 2005
Armenien-Resolution und umstrittenes Hitler-Zitat
Reinhard Markner (Berlin)
Der Deutsche Bundestag hat kürzlich eine Resolution verabschiedet,
die vorgeblich "zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern
beitragen soll". Die Resolution wurde mit Stimmen aller Parteien
angenommen, und das hat sich in Deutschland auch in einer sehr
unkritischen Berichterstattung niedergeschlagen. So ist von niemandem
bemerkt worden, dass der angeblich am 22. August 1939 gefallene
Ausruf Hitlers: "Wer redet heute noch von der Vernichtung der
Armenier?", diesem möglicherweise nur untergeschoben worden ist. In
der Debatte wurde das Zitat gleich von zwei Rednern als Beleg dafür
gebraucht, dass das Schweigen über den Völkermord an den Armeniern
Hitler als Argument zur Rechtfertigung seines Vernichtungskrieges im
Osten gedient habe. Ein Abgeordneter behauptete, das Zitat sei "in
den Akten des Auswärtigen Amtes dokumentiert".
Das ist unzutreffend. Der notorische Satz entstammt einer
Niederschrift, die dem amerikanischen Journalisten Louis P. Lochner
in Berlin zugespielt wurde. Darin wird zuletzt behauptet, dass Göring
im Anschluss an Hitlers Geheimrede vor den versammelten
Wehrmachtsgenerälen auf dem Tisch getanzt habe - eine schlechterdings
undenkbare Vorstellung. In anderen Aufzeichnungen derselben Ansprache
ist weder davon noch von den Armeniern die Rede. Die Nürnberger
Anklage verzichtete vernünftigerweise auf die Verwendung des
Dokuments, dessen Urheber sie nicht feststellen konnte. Die andere
Quelle, auf die in diesem Kontext ersatzweise verwiesen wird, sind
die Gespräche, die Hitler angeblich schon 1931 mit dem Leipziger
Chefredaktor Richard Breiting geführt haben soll.
Der endgültige Wortlaut der Bundestags-Entschliessung enthält nun
zwar nicht das vermeintliche Hitler-Zitat, dafür aber die
Aufforderung, "das Werk des Dr. Johannes Lepsius" dem Vergessen zu
entreissen. Erinnerungswürdig ist gewiss, wie der Potsdamer Pfarrer
in Berlin und Konstantinopel für die Rechte der Armenier kämpfte. Zu
seinem Werk gehört allerdings auch, nach Ende des Ersten Weltkriegs
eine gefälschte, die Gleichgültigkeit der deutschen Regierung
angesichts der Berichte von den Deportationen und Massakern
verschleiernde Aktenpublikation herausgegeben zu haben. Das hat
Wolfgang Gust in seiner kürzlich erschienenen Edition "Der Völkermord
an den Armeniern" detailliert nachgewiesen. Wie schon aus dem Titel
hervorgeht, ist Gust nicht verdächtig, die offizielle türkische
Position stützen zu wollen.
Insgesamt scheint es weder die Aufgabe des Deutschen Bundestages noch
die des Schweizer Nationalrats (der ebenfalls schon eine
Armenien-Resolution verabschiedete), die Geschichte entfernter
Nationen zu schreiben.
25. Juli 2005
Armenien-Resolution und umstrittenes Hitler-Zitat
Reinhard Markner (Berlin)
Der Deutsche Bundestag hat kürzlich eine Resolution verabschiedet,
die vorgeblich "zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern
beitragen soll". Die Resolution wurde mit Stimmen aller Parteien
angenommen, und das hat sich in Deutschland auch in einer sehr
unkritischen Berichterstattung niedergeschlagen. So ist von niemandem
bemerkt worden, dass der angeblich am 22. August 1939 gefallene
Ausruf Hitlers: "Wer redet heute noch von der Vernichtung der
Armenier?", diesem möglicherweise nur untergeschoben worden ist. In
der Debatte wurde das Zitat gleich von zwei Rednern als Beleg dafür
gebraucht, dass das Schweigen über den Völkermord an den Armeniern
Hitler als Argument zur Rechtfertigung seines Vernichtungskrieges im
Osten gedient habe. Ein Abgeordneter behauptete, das Zitat sei "in
den Akten des Auswärtigen Amtes dokumentiert".
Das ist unzutreffend. Der notorische Satz entstammt einer
Niederschrift, die dem amerikanischen Journalisten Louis P. Lochner
in Berlin zugespielt wurde. Darin wird zuletzt behauptet, dass Göring
im Anschluss an Hitlers Geheimrede vor den versammelten
Wehrmachtsgenerälen auf dem Tisch getanzt habe - eine schlechterdings
undenkbare Vorstellung. In anderen Aufzeichnungen derselben Ansprache
ist weder davon noch von den Armeniern die Rede. Die Nürnberger
Anklage verzichtete vernünftigerweise auf die Verwendung des
Dokuments, dessen Urheber sie nicht feststellen konnte. Die andere
Quelle, auf die in diesem Kontext ersatzweise verwiesen wird, sind
die Gespräche, die Hitler angeblich schon 1931 mit dem Leipziger
Chefredaktor Richard Breiting geführt haben soll.
Der endgültige Wortlaut der Bundestags-Entschliessung enthält nun
zwar nicht das vermeintliche Hitler-Zitat, dafür aber die
Aufforderung, "das Werk des Dr. Johannes Lepsius" dem Vergessen zu
entreissen. Erinnerungswürdig ist gewiss, wie der Potsdamer Pfarrer
in Berlin und Konstantinopel für die Rechte der Armenier kämpfte. Zu
seinem Werk gehört allerdings auch, nach Ende des Ersten Weltkriegs
eine gefälschte, die Gleichgültigkeit der deutschen Regierung
angesichts der Berichte von den Deportationen und Massakern
verschleiernde Aktenpublikation herausgegeben zu haben. Das hat
Wolfgang Gust in seiner kürzlich erschienenen Edition "Der Völkermord
an den Armeniern" detailliert nachgewiesen. Wie schon aus dem Titel
hervorgeht, ist Gust nicht verdächtig, die offizielle türkische
Position stützen zu wollen.
Insgesamt scheint es weder die Aufgabe des Deutschen Bundestages noch
die des Schweizer Nationalrats (der ebenfalls schon eine
Armenien-Resolution verabschiedete), die Geschichte entfernter
Nationen zu schreiben.