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taz: Das falsche Signal:Die =?UNKNOWN?Q?t=FCrkische?= Regierungunter

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  • taz: Das falsche Signal:Die =?UNKNOWN?Q?t=FCrkische?= Regierungunter

    http://www.taz.de/pt/2005/06/04/a0246.nf/text.ges, 1
    taz Nr. 7681 vom 4.6.2005, Seite 20, 348 Zeilen (Kommentar), JÜRGEN
    ZIMMERER

    Das falsche Signal

    Die türkische Regierung unterminiert mit ihrer Armenienpolitik nicht
    nur alle Versuche, Genozide zu ächten.
    In Istanbul unterdrückt sie zudem gerade konkret die Freiheit der
    Geschichtswissenschaft

    VON JÜRGEN ZIMMERER


    Es hätte ein Meilenstein werden können in der Auseinandersetzung mit
    dem Völkermord an den Armeniern vor 90 Jahren. Drei große türkische
    Universitäten luden vom 25. bis 27. Mai zu einer Tagung an die
    Bosporus Universität nach Istanbul, um über das Thema "Osmanische
    Armenier während des Niedergangs des Reichs. Fragen
    wissenschaftlicher Verantwortung und Demokratie" zu sprechen und um
    der offiziellen staatlich-türkischen Sichtweise die differenzierte
    türkischer Wissenschaftler entgegenzusetzen. Statt eines
    eindrucksvollen Beweises der Modernität und Offenheit des
    EU-Beitrittskandidaten wurde daraus ein Fanal der Unterdrückung der
    Meinungsfreiheit.

    Wenige Stunden vor der Eröffnung der Konferenz gaben die einladenden
    Universitäten die Verschiebung der Tagung auf unbestimmte Zeit
    bekannt. Zu groß war offenbar der politische Druck geworden, in der
    sich Justizminister Cemil Cicek selbst demaskierte, indem er die
    Konferenzteilnehmer als Verräter beschimpfte, die einen Dolchstoß
    gegen die Türkei führten. Drohungen, man wolle alle Vorträge vorher
    einsehen und auf deren strafrechtliche Relevanz prüfen - in der
    Türkei steht die Behauptung, es habe einen Völkermord an den
    Armeniern gegeben, unter Strafe -, taten offenbar ihr Übriges, um die
    Verantwortlichen dazu zu bewegen, die Tagung abzusagen.

    Der Europafähigkeit der Türkei stellt dies fürwahr kein gutes Zeugnis
    aus und gießt Wasser auf die Mühlen der Gegner eines türkischen
    EU-Beitritts. Vor allem aber, und darin liegt mit die zentrale
    Bedeutung des Völkermords an den Armeniern und die Debatte darüber,
    unterminiert es jegliche Versuche der internationalen
    Staatengemeinschaft, Genozid zu ächten und durch die Bestrafung der
    Verantwortlichen abzuschrecken.

    Dabei gehört der Genozid an den Armeniern, als deren Beginn die
    Verhaftung und anschließende Ermordung armenischer Intellektueller am
    24. April 1915 in Istanbul gesehen wird, zu einem der bekanntesten
    Menschheitsverbrechen der Weltgeschichte. Ein jungtürkisches
    Triumvirat bestehend aus Innenminister Talaat, Kriegsminister Enver
    und Marineminister Djemal nutzte die Situation des Ersten Weltkriegs,
    um ihre neuen Ideen von Nationalismus und ethnischer Homogenität
    umzusetzen und die christliche Minderheit der Armenier zu ermorden.
    Schätzungsweise bis zu 1,5 Millionen Männer, Frauen und Kinder wurden
    erschossen, auf Todesmärschen ermordet, vergewaltigt, und
    verstümmelt. Viele mehr wurden beraubt, enteignet, als Kinder ihren
    Eltern entrissen und in türkische Familien gegeben, um sie zu "guten
    Türken" zu machen.

    Schon von Zeitgenossen wurde die Ermordung der Armenier - nur zehn
    Jahre nach dem ersten Genozid des 20. Jahrhunderts in
    Deutsch-Südwestafrika geschehen - öffentlich als
    Menschheitsverbrechen eingeschätzt. Die Moderne, deren
    Fortschrittsversprechen zeitgleich auch in den Schützengräben von
    Versailles zerfiel, zeigte hier in besonderer Weise ihr destruktives
    Potenzial. Denken in rassischen Kategorien, ethnische
    Reinheitsvorstellungen und radikaler Nationalismus speisten sich
    schließlich zum nicht geringen Teil aus Ideen der Aufklärung.

    Im Unterschied zum südwestafrikanischen Genozid empörten sich über
    den Völkermord an den Armeniern bereits die Zeitgenossen. Denn hatte
    man den kolonialen Vernichtungskrieg im späteren Namibia noch als
    "normales", wenn auch etwas "hartes" Vorgehen gegen "Wilde" angesehen
    - nach den Worten des deutschen Schutztruppenkommandeurs Lothar von
    Trotha ließ sich der Krieg in Afrika nun mal nicht nach den Gesetzen
    der Genfer Konvention führen -, so war mit Armenien rassistisch
    motivierter Massenmord schon sehr nah an Europas Grenzen gekommen.
    Was vielleicht noch schwerer wog: War der Kolonialkrieg ein Krieg
    gegen das andere, gegen das sprichwörtlich "schwarze" Gegenbild
    Europas, ausgefochten auf dem "dunklen Kontinent", so galten die
    Armenier als urchristliches Kulturvolk. Zudem wandte sich im Falle
    Armeniens die Mehrheitsbevölkerung gegen eine unter ihr lebende
    Minderheit, eine Regierung gegen Teile ihres Volkes.

    Frühzeitig wurde deshalb auch der Vergleich zum Holocaust
    herangezogen, der sich ebenfalls gegen - nur durch ihre Religion
    unterschiedenen Teile - der eigenen Bevölkerung wandte. Als einer der
    ersten betonte der polnisch-jüdische Jurist Raphael Lemkin, der
    "Vater der Genozidkonvention", diesen Zusammenhang. Er war schon in
    den Zwanzigerjahren auf Grund von Berichten über die Massaker an den
    Armeniern zu dem Schluss gekommen, dass das Strafrecht um den
    Tatbestand des rassistisch oder religiös motivierten Mordes erweitert
    werden müsse. Besonders erboste ihn, dass türkische Kriegsverbrecher
    nicht für ihre Vergehen bestraft wurden.

    "Warum ist das Töten einer Million Menschen ein geringeres Verbrechen
    als das Töten eines einzelnen Menschen?", fragte er in seiner
    Autobiografie. 1933 schlug er deshalb vor, ins internationale
    Strafrecht den Tatbestand des "Vandalismus" und der "Barbarei"
    aufzunehmen, wobei Ersteres die Zerstörung der kulturellen Grundlagen
    einer bestimmten Gruppe meinte, Letzteres deren physische
    Vernichtung. Noch war die Zeit für derartige Initiativen nicht reif,
    und es dauerte bis zum Zweiten Weltkrieg und zum Holocaust, ehe die
    UNO 1948 Genozid als Straftatbestand aufnahm. Bedenkt man jedoch,
    dass der Völkermord an den Armeniern am Anfang der Schaffung des
    Begriffs Genozid stand, so wird die Absurdität der Weigerung, die
    Ermordung der Armenier als Völkermord anzuerkennen, deutlich. Es ist
    zudem diese Weigerung, die den Völkermord an den Armeniern auch heute
    noch zum Politikum macht.

    In dem Bestreben, diese Anerkennung zu erreichen, versuchen Vertreter
    der Opfer, möglichst große Parallelen zum Holocaust aufzuzeigen. Da
    Letzterer zur universell verständlichen Chiffre für das Böse
    schlechthin geworden ist, gilt der Grundsatz, je ähnlicher der eigene
    Fall diesem ist, desto schlimmer war er, desto mehr moralisches
    Kapital gewinnen die Opfer bzw. deren Hinterbliebenen. Im Falle der
    Armenier fand dies alsbald auch in der These seinen Niederschlag,
    deutsche Offiziere und Diplomaten seien maßgeblich am Genozid
    beteiligt gewesen, ja ihnen käme sogar eine hauptsächliche
    Verantwortung zu. Auch Lemkin vertrat dies, denn wie der Zürcher
    Historiker Dominik J. Schaller schreibt, sah er auf Grund seiner
    eigenen Erfahrung mit den Nazis die Deutschen als "das" Tätervolk
    schlechthin an.

    Die historische Wissenschaft hat diesen Vorwurf weitgehend
    entkräftet. Die Jungtürken bedurften nicht der deutschen Anstiftung.
    Ihr Ziel der Schaffung eines ethnisch und religiös homogenen
    Nationalstaats (wobei die Religion zunächst als Marker für ethnische
    Zugehörigkeit diente), ihre Suche nach Sündenböcken für militärische
    Niederlagen im Krieg und ihre Idee, einen Teil der kriegsnotwendigen
    Umsiedlungen von Kurden durch die massenhafte Beraubung der Armenier
    zu finanzieren - ein erstaunlich zukunftsweisender Gedanke,
    betrachtet man sie im Lichte der neuesten Forschungen von Christian
    Gerlach und Götz Aly zur NS-Raubpolitik -, waren Motiv genug.

    Was man den Vertretern des Deutschen Reichs, die sich größtenteils
    voller Abscheu über die osmanische Politik äußerten, vorwerfen muss,
    ist, von Einzelaktionen abgesehen, nicht genug unternommen zu haben,
    um das Verbrechen zu stoppen. Das Osmanische Reich war von
    Deutschland abhängig und hätte sich wohl kaum eindeutigen Forderungen
    ganz verschließen können. In Berlin wollte man aber einen wichtigen
    Verbündeten nicht vergraulen.

    Und in dem Umstand, dass viele von den Verbrechen wussten, aber
    nichts unternahmen und die Verantwortlichen von offizieller Seite
    nicht angemessen zur Rechenschaft gezogen wurden, liegt ein zentrales
    Erbe dieses Genozids. Völkermord endet nicht mit dem tatsächlichen
    Töten, und wenn man Ersteres schon nicht verhindern kann, muss man
    wenigstens versuchen, die Täter zu bestrafen. Das mag helfen, andere
    Massenmörder abzuschrecken, zumindest ermuntert es sie nicht zu ihren
    Untaten.

    Hier liegt eine Bedeutung des Völkermords an den Armeniern, die weit
    über das tatsächlich Geschehene hinausgeht. Während sich Deutschland
    für die Verbrechen der Nationalsozialisten entschuldigt hat, in
    Ruanda, in Kambodscha und auch für das ehemalige Jugoslawien
    internationale Strafgerichtshöfe eingerichtet wurden, und mit der
    offiziellen Entschuldigung der deutschen Bundesregierung für den
    Völkermord an den Herero im vergangenen Jahr auch der erste deutsche
    - im kolonialen Kontext verübte - Genozid sein offizielles Anerkennen
    gefunden hat, ist für Armenien nichts dergleichen in Sicht. Während
    Juristen, Politiker und Wissenschaftler weltweit versuchen, Genozid
    zu erforschen und Möglichkeiten der Prävention zu erkunden, gibt die
    türkische Regierung das gegenteilige Signal.

    Wenn jedoch aus der Geschichte der Genozide etwas zu lernen ist,
    dann, dass der Versuch der Leugnung ein Thema nicht ad acta legt,
    sondern dazu beiträgt, dass es immer wieder und immer virulenter
    zurück an die Öffentlichkeit drängt. Dass Politiker innerhalb
    Europas, die nicht unbedingt alle als strikte Vertreter einer aktiven
    internationalen Menschenrechtspolitik bekannt sind, nun den Fall
    Armenien dazu instrumentalisieren können, ihre eigenen politischen
    Ziele zu verfolgen und den EU-Beitritt der Türkei zu hintertreiben,
    ist dafür Beleg genug.

    Der Genozid an den Armeniern muss anerkannt werden, nicht nur weil er
    ein wichtiges Element in einer Globalgeschichte des Genozids
    darstellt, sondern weil die Geschichte des Genozids noch nicht
    abgeschlossen ist. Vor elf Jahren hat Ruanda gezeigt, was passiert,
    wenn die internationale Gemeinschaft beiseite sieht und sich über
    Definitionen streitet; und dieser Tage lehrt Darfur, dass Genozid
    immer noch möglich ist. Das Letzte was die Welt braucht, ist die
    Lehre aus dem Genozid an den Armeniern, dass auch die Nachwelt sich
    weigert, die Geschehnisse und die Verantwortlichen beim Namen zu
    nennen.


    Der Autor ist Präsident des European Networks of Genocide Scholars
    (ENOGS), Mitherausgeber des "Journal of Genocide Research" und
    Historiker an der Universität Duisburg-Essen

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