Announcement

Collapse
No announcement yet.

Die armenischen Christen bleiben: Hunderttausend leben in Iran

Collapse
X
 
  • Filter
  • Time
  • Show
Clear All
new posts

  • Die armenischen Christen bleiben: Hunderttausend leben in Iran

    Frankfurter Allgemeine Zeitung
    7. Juni 2005

    Die armenischen Christen bleiben;
    Hunderttausend leben in Iran

    Rainer Hermann


    TEHERAN, im Juni. Hunderttausend armenische Christen leben noch in
    Iran. In dem Vierteljahrhundert seit der islamischen Revolution im
    Jahr 1979 wanderten 50 000 von ihnen in den Westen aus. Heute ist
    dieser Aderlaß gestoppt. Nur noch wenige verlassen das Land, in das
    ihre Vorfahren vor einem halben Jahrtausend aus dem Kaukasus gezogen
    sind. Die armenische Gemeinde habe heute im Inneren die Freiheiten,
    die sie brauche, um ihre Identität zu erhalten, sagte der Katholikos
    Aram I., als er vor kurzem zum vierten Mal zu einer seelsorgerlichen
    Reise in der Islamischen Republik war. Die Armenier bekundeten
    selbstverständlich Respekt vor den Werten und Traditionen der
    iranischen Gesellschaft. Andererseits respektierten die iranische
    Gesellschaft und die Regierung die christliche Identität der
    Armenier.

    Zwei Wochen lang besuchte der seit 1995 amtierende Katholikos des
    Hohen Hauses von Kilikien, Seine Heiligkeit Aram I., die drei
    armenischen Diözesen Teheran, Isfahan und Tabriz. Aram I., dessen
    Katholikat 1930 aus der Türkei vertrieben worden war und sich im
    libanesischen Antelias niederließ, sprach mit Staatspräsident Chatami
    über die Entwicklungen im Libanon. Mit Justizminister Shahrudi redete
    er über Möglichkeiten zur Verbesserung des zivilrechtlichen Status
    der armenischen Christen. Bei allen seinen Gesprächspartnern habe er
    dafür geworben, daß sich Iran in der islamischen Welt für die
    Anerkennung des Genozids an den Armeniern einsetze, sagte Aram in
    einem Gespräch mit dieser Zeitung. Denn der Genozid sei kein
    religiöses Thema, sondern eine Frage der Gerechtigkeit und der
    Menschenrechte.

    Chatami überbrachte Aram I. ein Schreiben des libanesischen
    Staatspräsidenten Lahoud. Er habe dem Präsidenten gesagt, daß der
    Libanon an einem entscheidenden Punkt seiner Geschichte angelangt
    sei. "Ich weiß nicht, wie Iran dazu beitragen kann, im Libanon für
    Stabilität zu sorgen, ich weiß nur, daß Iran es kann." Der Libanon
    bestehe aus vielen Gemeinschaften, die Koexistenz zwischen Muslimen
    und den Christen sei daher das Wesen des Landes. Dieses Zusammenleben
    schaffe eine besondere Identität und eine besondere Rolle des Landes
    in der arabischen und in der islamischen Welt. Andererseits sei das
    prekäre Gleichgewicht zwischen den Religionsgemeinschaften stets
    durch regionale und internationale Kräfte und Ereignisse beeinflußt
    worden.

    "Alle arabischen Länder und Iran können daher eine konstruktive Rolle
    spielen, um in diesem kleinen Land diese Koexistenz
    aufrechtzuerhalten." Chatami habe er gebeten, zu helfen, diese
    Koexistenz zu bewahren und den christlich-muslimischen Dialog
    voranzutreiben. Der 1947 in Beirut geborene Aram I. ist selbst ein
    Befürworter des innerchristlichen Dialogs. Seit 1975 ist er im
    Ökumenischen Rat der Kirchen aktiv.

    Äußerer Anlaß der vierten Reise Arams nach Iran waren das zehnjährige
    Jubiläum seiner Wahl zum Katholikos und der 75. Jahrestag der
    Gründung des theologischen Seminars von Antelias. Dieses bildet auch
    die armenischen Geistlichen Irans aus. Denn seit der "Eiserne
    Vorhang" Armenien von Etschmiadsin, dem spirituellen Zentrum der
    armenischen Kirche, getrennt hatte, orientieren sich die armenischen
    Christen Irans zum Katholikat von Kilikien. Das änderte sich mit der
    Unabhängigkeit Armeniens nicht. So hat der in Etschmiadsin
    residierende Katholikos aller Armenier, Seine Heiligkeit Karekin II.,
    Iran noch nie besucht, obwohl die iranischen Armenier - wie die im
    Kaukasus - Ostarmenisch sprechen, die Armenier in Antelias und allen
    anderen Regionen der Diaspora aber Westarmenisch.

    Aufgegriffen habe Justizminister Sharudi seinen Vorschlag, eine
    Kommission, bestehend aus Beamten des Justizministeriums und
    Mitgliedern der armenischen Kirche, einzusetzen, Fragen des
    zivilrechtlichen Status der Mitglieder der armenischen Gemeinde zu
    klären, sagt Aram I. Unsicherheiten gebe es etwa bei Fragen der
    Heirat und der Scheidung. In vielen Ländern erfreuten sich die
    Armenier in zivilrechtlichen Fragen einer eigenen Gerichtsbarkeit. In
    Iran sei aber unklar, ob ein Gericht des Staats oder eines der Kirche
    das letzte Wort habe. Ändern wollen die Armenier die
    diskriminierenden Praktiken von Erbschaftsregelungen bei - den sehr
    seltenen - gemischtreligiösen Ehen. Unumstritten sind jedoch die
    Schulen der armenischen Gemeinde. Vom kommenden Schuljahr an erkennt
    der iranische Staat erstmals armenische Sprache und armenischen
    Religionsunterricht als offizielle Fächer an.

    Besonders unmittelbar nach der Revolution von 1979 sei die Gemeinde
    mit Schwierigkeiten konfrontiert gewesen. Das gelte für die religiöse
    Erziehung, die Schulen und andere Institutionen der Gemeinde, sagt
    Aram I. In der Phase des Übergangs sei man danach dank gegenseitigen
    Vertrauens in der Lage gewesen, einige dieser Probleme zu lösen.
    Heute vertreten sogar zwei armenische Parlamentsabgeordnete - Gevorg
    Vartan aus Teheran und Robert Beglarian - die Interessen der Gemeinde
    im iranischen Parlament.

    Kritisch äußert sich Ruben Karapetyan, Vorstandsmitglied der
    armenischen Gemeindeleitung in Teheran, über westliche Versuche,
    Christen aus dem Nahen Osten dazu zu bewegen, ihre Heimat zu
    verlassen. Dahinter verberge sich eine gezielte Politik, den Nahen
    Osten von Christen zu entleeren, sagt Karapetyan, der die Reise Arams
    I. vorbereitet hatte. Zumindest aus Iran wandern nun aber kaum mehr
    Christen ab.

    Katholikos ARAM I.

    Foto epd
Working...
X