Frankfurter Allgemaine Zeitung, Deautschland
Montag Juni 13, 2005
Buchmarkt Türkei
Nationalismusfutter
Von Rainer Hermann
13. Juni 2005 Hatte Justizminister Cemil Cicek "Mein Kampf" gelesen?
Zumindest kreischte er am Rednerpult des Parlaments über einen neuen
Dolchstoß. Ins Visier nahm er die Organisatoren einer Konferenz
türkischer Historiker, die über den Genozid an den Armeniern
debattieren wollten. Sie klagte er an, der großen türkischen Nation
den Dolch in den Rücken stoßen zu wollen.
Als die inneren Feinde der Türken identifizierte er diese
unabhängigen türkischen Historiker, die sich nicht der offiziellen
Lesart der Geschichte beugen. Cicek hätte jedenfalls einige Auswahl
gehabt. In den Ausgaben dreizehn türkischer Verlage hätte er sich von
Hitlers "Mein Kampf" über dessen Version der Dolchstoßlegende
inspirieren lassen können - wie also die Juden und Marxisten den
Helden Deutschlands im Ersten Weltkrieg den Sieg geraubt haben
sollen.
Seit Februar sehr gefragt
Zusammen mit anderen üblen national-rassistischen Machwerken, etwa
dem Roman "Metallfeuer" über einen türkisch-amerikanischen Atomkrieg,
zieren sie seit Monaten die Bestsellerlisten der Türkei. Dabei ist
"Mein Kampf" erstmals 1939 als "Kavgam" ins Türkische übersetzt
worden. Erst seit Februar aber kommen die Verleger mit neuen Auflagen
nicht nach, breit ist der Kreis der Leser.
Unverdächtige sind darunter und solche, die sich von einem neuen
Anti-Globalisierungs-Nationalismus mitreißen lassen. Zum einen lesen
Intellektuelle und an der Zeitgeschichte interessierte Akademiker
"Kavgam". Denn auch in der Türkei ist das Interesse an den beiden
Weltkriegen des zwanzigsten Jahrhunderts erwacht. Zudem haben viele
eben Eichingers Film "Der Untergang" gesehen und wollen nun dazu eine
authentische Quelle heranziehen, nicht einfach nur ein trockenes
Historikerbuch. Zum anderen baue sich in der Türkei eine Welle jener
auf, die in jedem Nächsten einen Feind witterten und die sich vor der
Außenwelt einigeln wollten, beschreibt der Soziologe Ahmet Insel den
zweiten, bedenklicheren Leserkreis.
Nicht der Islam, sondern rüder Nationalismus
Anhänger der nationalistischen Parteien MHP und Genc Parti
verschlingen "Kavgam", auch Schüler der Polizeiakademien. Ein
ehemaliger MHP-Abgeordneter freut sich, daß die Türkei endlich wieder
mit einem "nationalen Verhalten" auf den "imperialistischen Druck"
von außen reagiere. Die Lektüre von "Mein Kampf" bezeichnet er
offenherzig als "eine Chance". Sein Genosse Parteivize schränkt aber
ein: Nie könne ein Deutscher für einen Türken Vorbild sein - weder
Marx noch Hitler.
Wilde Komplotttheorien machen die Runde. Juden sollen heiligen
türkischen Boden im oberen Mesopotamien aufkaufen, um ihren Traum von
einem Groß-Israel zu verwirklichen; Amerika stecke hinter den
Erdbeben in der Türkei, um die große Nation zu schwächen; alles, was
der Westen tue, ziele ohnehin nur darauf, die Türkei zu teilen - wie
im Friedensdiktat von Sevres 1920. Wieder einmal zeigt sich, daß
nicht der Islam die türkische Nation zusammenhält, sondern ein rüder
Nationalismus. Mit ihm nimmt der Antiamerikanismus zu, auch der
Antisemitismus.
Bücher, die Hitlers Genozid an den Juden leugnen, sind auf dem Markt,
auch Neuauflagen des "Protokolls der Weisen von Zion". Verleger Sami
Celik bleibt aber gelassen. "Kavgam" sei mit umgerechnet 3,50 Euro
eben preiswert, und zudem entscheide ja die Stimmung in der
Gesellschaft über den Verkaufserfolg eines Buchs, exkulpiert er seine
verlegerische Entscheidung. Und er selbst stehe in völligem Gegensatz
zu dem, was "Mein Kampf" verkünde.
--Boundary_(ID_aVVIVKUyE1JU6KrGuFvv6g)--
From: Emil Lazarian | Ararat NewsPress
Montag Juni 13, 2005
Buchmarkt Türkei
Nationalismusfutter
Von Rainer Hermann
13. Juni 2005 Hatte Justizminister Cemil Cicek "Mein Kampf" gelesen?
Zumindest kreischte er am Rednerpult des Parlaments über einen neuen
Dolchstoß. Ins Visier nahm er die Organisatoren einer Konferenz
türkischer Historiker, die über den Genozid an den Armeniern
debattieren wollten. Sie klagte er an, der großen türkischen Nation
den Dolch in den Rücken stoßen zu wollen.
Als die inneren Feinde der Türken identifizierte er diese
unabhängigen türkischen Historiker, die sich nicht der offiziellen
Lesart der Geschichte beugen. Cicek hätte jedenfalls einige Auswahl
gehabt. In den Ausgaben dreizehn türkischer Verlage hätte er sich von
Hitlers "Mein Kampf" über dessen Version der Dolchstoßlegende
inspirieren lassen können - wie also die Juden und Marxisten den
Helden Deutschlands im Ersten Weltkrieg den Sieg geraubt haben
sollen.
Seit Februar sehr gefragt
Zusammen mit anderen üblen national-rassistischen Machwerken, etwa
dem Roman "Metallfeuer" über einen türkisch-amerikanischen Atomkrieg,
zieren sie seit Monaten die Bestsellerlisten der Türkei. Dabei ist
"Mein Kampf" erstmals 1939 als "Kavgam" ins Türkische übersetzt
worden. Erst seit Februar aber kommen die Verleger mit neuen Auflagen
nicht nach, breit ist der Kreis der Leser.
Unverdächtige sind darunter und solche, die sich von einem neuen
Anti-Globalisierungs-Nationalismus mitreißen lassen. Zum einen lesen
Intellektuelle und an der Zeitgeschichte interessierte Akademiker
"Kavgam". Denn auch in der Türkei ist das Interesse an den beiden
Weltkriegen des zwanzigsten Jahrhunderts erwacht. Zudem haben viele
eben Eichingers Film "Der Untergang" gesehen und wollen nun dazu eine
authentische Quelle heranziehen, nicht einfach nur ein trockenes
Historikerbuch. Zum anderen baue sich in der Türkei eine Welle jener
auf, die in jedem Nächsten einen Feind witterten und die sich vor der
Außenwelt einigeln wollten, beschreibt der Soziologe Ahmet Insel den
zweiten, bedenklicheren Leserkreis.
Nicht der Islam, sondern rüder Nationalismus
Anhänger der nationalistischen Parteien MHP und Genc Parti
verschlingen "Kavgam", auch Schüler der Polizeiakademien. Ein
ehemaliger MHP-Abgeordneter freut sich, daß die Türkei endlich wieder
mit einem "nationalen Verhalten" auf den "imperialistischen Druck"
von außen reagiere. Die Lektüre von "Mein Kampf" bezeichnet er
offenherzig als "eine Chance". Sein Genosse Parteivize schränkt aber
ein: Nie könne ein Deutscher für einen Türken Vorbild sein - weder
Marx noch Hitler.
Wilde Komplotttheorien machen die Runde. Juden sollen heiligen
türkischen Boden im oberen Mesopotamien aufkaufen, um ihren Traum von
einem Groß-Israel zu verwirklichen; Amerika stecke hinter den
Erdbeben in der Türkei, um die große Nation zu schwächen; alles, was
der Westen tue, ziele ohnehin nur darauf, die Türkei zu teilen - wie
im Friedensdiktat von Sevres 1920. Wieder einmal zeigt sich, daß
nicht der Islam die türkische Nation zusammenhält, sondern ein rüder
Nationalismus. Mit ihm nimmt der Antiamerikanismus zu, auch der
Antisemitismus.
Bücher, die Hitlers Genozid an den Juden leugnen, sind auf dem Markt,
auch Neuauflagen des "Protokolls der Weisen von Zion". Verleger Sami
Celik bleibt aber gelassen. "Kavgam" sei mit umgerechnet 3,50 Euro
eben preiswert, und zudem entscheide ja die Stimmung in der
Gesellschaft über den Verkaufserfolg eines Buchs, exkulpiert er seine
verlegerische Entscheidung. Und er selbst stehe in völligem Gegensatz
zu dem, was "Mein Kampf" verkünde.
--Boundary_(ID_aVVIVKUyE1JU6KrGuFvv6g)--
From: Emil Lazarian | Ararat NewsPress