General-Anzeiger (Bonn)
17. Juni 2005
Neuer Krach mit Ankara: TUERKEI: Kritik an der Entschliessung des
Bundestages zur Armenierfrage. Die Debatte ueber den Voelkermord
kommt allmaehlich in Gang
Von unserer Korrespondentin Susanne Guesten
Neuer Krach mit Ankara TUERKEI Kritik an der Entschliessung des
Bundestages zur Armenierfrage. Die Debatte ueber den Voelkermord
kommt allmaehlich in Gang Von unserer Korrespondentin Susanne Guesten
ISTANBUL. Die tuerkische Regierung wartete gestern den Beschl...
Die tuerkische Regierung wartete gestern den Beschluss des
Bundestages zur Armenierfrage gar nicht erst ab. Der Gesandte der
deutschen Botschaft in Ankara musste schon am Tag vor der
Verabschiedung des Antrags im tuerkischen Aussenamt antreten, um sich
die Kritik der tuerkischen Regierung anzuhoeren. "Verletzend" sei
das, was da im deutschen Parlament zur Vertreibung der anatolischen
Armenier im Ersten Weltkrieg behauptet werde, sagte Aussenminister
Abullah Guel.
Zwar gibt es in der tuerkischen OEffentlichkeit inzwischen Ansaetze
fuer eine Diskussion ueber das Schicksal der Armenier. Doch die
Regierungspolitik in Ankara wird weiter von nationalistischen
Reflexen bestimmt. Offiziell vertritt die Tuerkei die Auffassung,
dass bei Massakern und Zwangsumsiedlungen zwischen 1915 und 1917 zwar
viele Armenier im damaligen Osmanischen Reich zu Tode kamen, dass von
einem Voelkermord aber keine Rede sein kann.
Viele internationale Historiker und die Armenier selbst sprechen
dagegen von einem eiskalt geplanten Voelkermord, mit dem die Armenier
nicht umgesiedelt, sondern vernichtet werden sollten. Dass im
Bundestagsbeschluss der Begriff des Voelkermordes nicht im Antrag
selbst, sondern nur in der Begruendung auftauchte, macht aus
tuerkischer Sicht keinen Unterschied. In den tuerkischen Beziehungen
zu Frankreich und der Schweiz hatte es in den letzten Jahren
erhebliche Spannungen gegeben, weil deren Parlamente den Voelkermord
anerkannt hatten. Mit Sorge beobachtet Ankara derzeit auch eine neue
Initiative zur Anerkennung des Voelkermordes im US-Kongress. Die
Tuerkei befuerchtet, dass Armenien von dem Voelkermordsvorwurf
kuenftig Gebiets- und Reparationsansprueche ableiten koennte.
Anlaesslich des 90. Jahrestages der Massaker in diesem Fruehjahr
entwickelte sich in der Tuerkei erstmals eine Diskussion darueber, ob
die Tuerken 1915 wirklich so schuldlos waren, wie es die offizielle
Linie darstellt. Einige Intellektuelle und Historiker sprachen offen
von Voelkermord und ethnischen Saeuberungen und brachen damit ein
Tabu. Der Istanbuler Politologe Ahmet Insel meint, das Land befinde
sich derzeit noch in einer "Phase der Fassungslosigkeit": Viele
Tuerken koennen einfach nicht glauben, dass ihre Vorfahren schlimme
Verbrechen begangen haben.
Doch waehrend zumindest in Teilen der tuerkischen Gesellschaft eine
neue Nachdenklichkeit erkennbar wird, kann bei den Behoerden davon
keine Rede sein. Als die Kritiker der offiziellen tuerkischen Haltung
ihre Ansichten kuerzlich bei einer Konferenz in Istanbul kundtun
wollten, sprach Justizminister Cemil Cicek von einem "Dolchstoss"
gegen die tuerkische Nation und forderte die Staatsanwaltschaft mehr
oder weniger offen auf, gegen die Konferenzteilnehmer aktiv zu
werden. Die Konferenz wurde abgesagt. In der Tuerkei ist es
strafrechtlich verboten, von einem Voelkermord zu sprechen.
Auch in den Aussenbeziehungen bleibt die Tuerkei trotz aller Reformen
in den letzten Jahren bei ihrer starren Haltung. Aussenminister Guel
bezeichnete den Widerstand gegen die internationale Anerkennung des
Voelkermordes als eine der wichtigsten Aufgaben der tuerkischen
Politik. Alle Laender, deren Parlamente den Voelkermordsvorwurf gegen
die Tuerkei erhoben haetten, wuerden "in scharfer Form gewarnt",
erklaerte Guel.
17. Juni 2005
Neuer Krach mit Ankara: TUERKEI: Kritik an der Entschliessung des
Bundestages zur Armenierfrage. Die Debatte ueber den Voelkermord
kommt allmaehlich in Gang
Von unserer Korrespondentin Susanne Guesten
Neuer Krach mit Ankara TUERKEI Kritik an der Entschliessung des
Bundestages zur Armenierfrage. Die Debatte ueber den Voelkermord
kommt allmaehlich in Gang Von unserer Korrespondentin Susanne Guesten
ISTANBUL. Die tuerkische Regierung wartete gestern den Beschl...
Die tuerkische Regierung wartete gestern den Beschluss des
Bundestages zur Armenierfrage gar nicht erst ab. Der Gesandte der
deutschen Botschaft in Ankara musste schon am Tag vor der
Verabschiedung des Antrags im tuerkischen Aussenamt antreten, um sich
die Kritik der tuerkischen Regierung anzuhoeren. "Verletzend" sei
das, was da im deutschen Parlament zur Vertreibung der anatolischen
Armenier im Ersten Weltkrieg behauptet werde, sagte Aussenminister
Abullah Guel.
Zwar gibt es in der tuerkischen OEffentlichkeit inzwischen Ansaetze
fuer eine Diskussion ueber das Schicksal der Armenier. Doch die
Regierungspolitik in Ankara wird weiter von nationalistischen
Reflexen bestimmt. Offiziell vertritt die Tuerkei die Auffassung,
dass bei Massakern und Zwangsumsiedlungen zwischen 1915 und 1917 zwar
viele Armenier im damaligen Osmanischen Reich zu Tode kamen, dass von
einem Voelkermord aber keine Rede sein kann.
Viele internationale Historiker und die Armenier selbst sprechen
dagegen von einem eiskalt geplanten Voelkermord, mit dem die Armenier
nicht umgesiedelt, sondern vernichtet werden sollten. Dass im
Bundestagsbeschluss der Begriff des Voelkermordes nicht im Antrag
selbst, sondern nur in der Begruendung auftauchte, macht aus
tuerkischer Sicht keinen Unterschied. In den tuerkischen Beziehungen
zu Frankreich und der Schweiz hatte es in den letzten Jahren
erhebliche Spannungen gegeben, weil deren Parlamente den Voelkermord
anerkannt hatten. Mit Sorge beobachtet Ankara derzeit auch eine neue
Initiative zur Anerkennung des Voelkermordes im US-Kongress. Die
Tuerkei befuerchtet, dass Armenien von dem Voelkermordsvorwurf
kuenftig Gebiets- und Reparationsansprueche ableiten koennte.
Anlaesslich des 90. Jahrestages der Massaker in diesem Fruehjahr
entwickelte sich in der Tuerkei erstmals eine Diskussion darueber, ob
die Tuerken 1915 wirklich so schuldlos waren, wie es die offizielle
Linie darstellt. Einige Intellektuelle und Historiker sprachen offen
von Voelkermord und ethnischen Saeuberungen und brachen damit ein
Tabu. Der Istanbuler Politologe Ahmet Insel meint, das Land befinde
sich derzeit noch in einer "Phase der Fassungslosigkeit": Viele
Tuerken koennen einfach nicht glauben, dass ihre Vorfahren schlimme
Verbrechen begangen haben.
Doch waehrend zumindest in Teilen der tuerkischen Gesellschaft eine
neue Nachdenklichkeit erkennbar wird, kann bei den Behoerden davon
keine Rede sein. Als die Kritiker der offiziellen tuerkischen Haltung
ihre Ansichten kuerzlich bei einer Konferenz in Istanbul kundtun
wollten, sprach Justizminister Cemil Cicek von einem "Dolchstoss"
gegen die tuerkische Nation und forderte die Staatsanwaltschaft mehr
oder weniger offen auf, gegen die Konferenzteilnehmer aktiv zu
werden. Die Konferenz wurde abgesagt. In der Tuerkei ist es
strafrechtlich verboten, von einem Voelkermord zu sprechen.
Auch in den Aussenbeziehungen bleibt die Tuerkei trotz aller Reformen
in den letzten Jahren bei ihrer starren Haltung. Aussenminister Guel
bezeichnete den Widerstand gegen die internationale Anerkennung des
Voelkermordes als eine der wichtigsten Aufgaben der tuerkischen
Politik. Alle Laender, deren Parlamente den Voelkermordsvorwurf gegen
die Tuerkei erhoben haetten, wuerden "in scharfer Form gewarnt",
erklaerte Guel.