Suddeutsche Zeitung
18. Juni 2005
Turkei: Armenier-Resolution falsch und hässlich;
Erdogan wirft Kanzler Schroder vor, kein Ruckgrat zu haben /
Bundesregierung: Reaktion ist unverständlich;
Kritik am Beschluss des Bundestages
Von Christiane Schlotzer
Munchen - Der turkische Regierungschef Tayyip Erdogan hat heftig auf
die Armenier-Resolution des Deutschen Bundestags reagiert. Erdogan
nannte die Entschließung, die am Donnerstag mit den Stimmen aller
Fraktionen verabschiedet worden war, "falsch und hässlich". Der
turkische Premier griff nach einem Bericht der Zeitung Hurriyet auch
Bundeskanzler Gerhard Schroder personlich an, weil er den Beschluss
nicht verhinderte. Bei seinem jungsten Besuch in der Turkei im Mai
habe Schroder noch anders gesprochen, behauptete Erdogan und fugte
hinzu: "Ich mag Politiker mit Ruckgrat".
Die Bundestagsresolution bezeichnet die Totungen und Vertreibungen
der osmanischen Armenier 1915/16 nicht ausdrucklich als Volkermord.
Sie verwendet den - von der turkischen Regierung heftig abgelehnten -
Begriff aber in der Begrundung unter Verweis auf die historische
Forschung. Die Entschließung fordert die Turkei zur Aussohnung mit
ihren armenischen Nachbarn auf. Grundlage dafur sollte die
Aufarbeitung historischer Fakten durch eine turkisch-armenische
Wissenschaftlerkommission bilden. In der Resolution wird den
deutschen Bundesländern empfohlen, das Thema in den
Geschichtsunterricht aufzunehmen. Dies wurde vom turkischen
Außenministerium hart kritisiert, weil es "bei deutschen Jugendlichen
zu einer Feindseligkeit gegenuber Turken fuhren" konne. Auch
Parlamentspräsident Bulent Arinc nannte in einem Brief an den
Bundestag den Beschluss "nicht vernunftig".
Vor der deutschen Botschaft in Ankara demonstrierten am Freitag
hundert Mitglieder einer nationalistischen Gewerkschaft. Sie legten
einen schwarzen Kranz nieder und riefen "Deutschland Faschist,
Deutschland Rassist". Es kam, wie der turkische Nachrichtensender NTV
meldete, zu Handgreiflichkeiten mit der Polizei. Große Zeitungen
reagierten eher zuruckhaltend auf die Resolution. Die meisten Blätter
berichteten erst auf den hinteren Seiten daruber. Hurriyet widmete
seine Frontseite statt dessen dem franzosischen Premier Dominique de
Villepin, der gefordert hatte, die EU musse bei der Erweiterung der
Gemeinschaft eine Zeit des Nachdenkens einlegen. "Es reicht", titelte
das turkische Massenblatt in franzosischer Sprache. Turkische
Kommentatoren interpretierten die Armenier-Entschließung des
Bundestags und Villepins Worte als Beispiele fur "einen wachsenden
antiturkischen Trend in Europa", so das liberale Blatt Radikal.
Ankaras rigorose Armenien-Politik wird inzwischen aber auch von
Teilen der Offentlichkeit kritisch gesehen. Als jungst die staatliche
Bosporus-Universität eine Konferenz kritischer Wissenschaftler unter
Druck aus Ankara absagte, war der Aufschrei uber die Einschränkung
der Meinungsfreiheit groß.
Die Bundesregierung wies die Kritik Erdogans zuruck. Sie sei
unzutreffend, sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg dem
Tagesspiegel. "Es ist eine ausgewogene Resolution." Kanzler Schroder
habe dazu stets eine klare Position vertreten. "Insofern ist die
Enttäuschung uber diese Resolution unverständlich".
--Boundary_(ID_E92WfunzEaoS15PEXRxJxw)--
18. Juni 2005
Turkei: Armenier-Resolution falsch und hässlich;
Erdogan wirft Kanzler Schroder vor, kein Ruckgrat zu haben /
Bundesregierung: Reaktion ist unverständlich;
Kritik am Beschluss des Bundestages
Von Christiane Schlotzer
Munchen - Der turkische Regierungschef Tayyip Erdogan hat heftig auf
die Armenier-Resolution des Deutschen Bundestags reagiert. Erdogan
nannte die Entschließung, die am Donnerstag mit den Stimmen aller
Fraktionen verabschiedet worden war, "falsch und hässlich". Der
turkische Premier griff nach einem Bericht der Zeitung Hurriyet auch
Bundeskanzler Gerhard Schroder personlich an, weil er den Beschluss
nicht verhinderte. Bei seinem jungsten Besuch in der Turkei im Mai
habe Schroder noch anders gesprochen, behauptete Erdogan und fugte
hinzu: "Ich mag Politiker mit Ruckgrat".
Die Bundestagsresolution bezeichnet die Totungen und Vertreibungen
der osmanischen Armenier 1915/16 nicht ausdrucklich als Volkermord.
Sie verwendet den - von der turkischen Regierung heftig abgelehnten -
Begriff aber in der Begrundung unter Verweis auf die historische
Forschung. Die Entschließung fordert die Turkei zur Aussohnung mit
ihren armenischen Nachbarn auf. Grundlage dafur sollte die
Aufarbeitung historischer Fakten durch eine turkisch-armenische
Wissenschaftlerkommission bilden. In der Resolution wird den
deutschen Bundesländern empfohlen, das Thema in den
Geschichtsunterricht aufzunehmen. Dies wurde vom turkischen
Außenministerium hart kritisiert, weil es "bei deutschen Jugendlichen
zu einer Feindseligkeit gegenuber Turken fuhren" konne. Auch
Parlamentspräsident Bulent Arinc nannte in einem Brief an den
Bundestag den Beschluss "nicht vernunftig".
Vor der deutschen Botschaft in Ankara demonstrierten am Freitag
hundert Mitglieder einer nationalistischen Gewerkschaft. Sie legten
einen schwarzen Kranz nieder und riefen "Deutschland Faschist,
Deutschland Rassist". Es kam, wie der turkische Nachrichtensender NTV
meldete, zu Handgreiflichkeiten mit der Polizei. Große Zeitungen
reagierten eher zuruckhaltend auf die Resolution. Die meisten Blätter
berichteten erst auf den hinteren Seiten daruber. Hurriyet widmete
seine Frontseite statt dessen dem franzosischen Premier Dominique de
Villepin, der gefordert hatte, die EU musse bei der Erweiterung der
Gemeinschaft eine Zeit des Nachdenkens einlegen. "Es reicht", titelte
das turkische Massenblatt in franzosischer Sprache. Turkische
Kommentatoren interpretierten die Armenier-Entschließung des
Bundestags und Villepins Worte als Beispiele fur "einen wachsenden
antiturkischen Trend in Europa", so das liberale Blatt Radikal.
Ankaras rigorose Armenien-Politik wird inzwischen aber auch von
Teilen der Offentlichkeit kritisch gesehen. Als jungst die staatliche
Bosporus-Universität eine Konferenz kritischer Wissenschaftler unter
Druck aus Ankara absagte, war der Aufschrei uber die Einschränkung
der Meinungsfreiheit groß.
Die Bundesregierung wies die Kritik Erdogans zuruck. Sie sei
unzutreffend, sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg dem
Tagesspiegel. "Es ist eine ausgewogene Resolution." Kanzler Schroder
habe dazu stets eine klare Position vertreten. "Insofern ist die
Enttäuschung uber diese Resolution unverständlich".
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