http://www.dw-world.de/dw/article/0,1564,1625717,0 0.html
Armenien-Resolution des Bundestages sorgt für Proteste
Die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages vom vergangenen
Donnerstag (16.6.) hat in der Türkei für Unmut gesorgt. Auch Türken
in Deutschland fühlen sich ungerecht behandelt und gehen auf die
StraÃe.
Einige tausend Menschen marschierten am vergangenen Sonntag (19.6.)
mit türkischen Fahnen und Transparenten auf dem Berliner
Kurfürstendamm. Die zentrale Losung auf den Transparenten lautet:
"Jetzt reicht's". Gemeint sei, sagt Nalan Arkan von den Organisatoren
der Demonstration, die Art, wie in Deutschland mit dem Schicksal der
Armenier 1915 im damaligen Osmanischen Reich umgegangen werde. Der
Beschluss des Bundestages zur Vertreibung und den Massakern an den
Armeniern am vergangenen Donnerstag (16.6.) - das sei der Tropfen
gewesen, der da s Fass zum Ã=9Cberlaufen gebracht hätte.
Stimmungsmache gegen Türken?
Arkan sagte: "Wir finden, man hat die andere Seite der Medaille
überhaupt nicht sehen wollen, uns gar keine Möglichkeit gegeben,
unseren Standpunkt zu vertreten. Man möchte vor den Wahlen rechte
Stimmen gewinnen! Und da macht es sich sehr gut, Stimmung gegen die
Türkei, gegen die Türken zu schüren. Dagegen protestieren wir. Wir
haben nichts gegen Armenier. Es sind Massaker geschehen. Das ist
leider die Geschichte. Man muss sie genauer untersuchen. Das ist aber
keine Frage der europäischen Parlamente. Das Parlament ist kein
Gerichtshof. Wir sind gegen den politischen Missbrauch der
Geschichte."
Umstrittene Broschüre
Demonstranten und türkische Medien werfen auÃerdem einer Broschüre
Einseitigkeit vor, die der Berliner Migrationsbeauftragte Günter
Piening herausgebracht hat. "Armenier in Berlin - Berlin und
Armenien", lautet der Titel des 104 Seiten umfassenden Heftes, das in
der Deutschlandausgabe der türkischen Zeitung <I
style-"mso-bidi-font-style: normal">Hürriyet als "Die groÃe Schande
von Berlin" bezeichnet wurde. Grund für diesen Unmut ist die
eindeutige Thematisierung des armenischen Schicksals. Die Autorin der
Broschüre, Tessa Hofmann, ist Armenienexpertin an der Freien
Universität Berlin.
Sie hält ihre Darstellung für gerechtfertigt. In der Broschüre
umschreibt sie die damalige Massentötung von bis zu 1,5 Millionen
Armeniern mit dem Begriff, den die türkische Seite empört ablehnt:
"Völkermord". Frau Hofmann erklärt diese Wortwahl so: "Armenier sind
in erster Linie nicht freiwillig nach Berlin gekommen, sondern als
Flüchtlinge, als Opfer von Vertreibung und als Ãberlebende von
Völkermord. Man kann nicht über die Geschichte dieser Minderheit in
Berlin schreiben, ohne diese Ereignisse zu erwähnen. Dass die
türkische Gemeinschaft in Berlin, in Deutschland und darüber hinaus
in der Türkei Anlass hat, sich mit ihrer jüngeren Geschichte
auseinanderzusetzen - das ist unstrittigund ist immer wieder
Gegenstand von Resolutionen der Europäischen Union gewesen."
Migrationsbeauftragter: Keine Tabus
Soweit würde der Berliner Migrationsbeauftragte Günther Piening
nicht gehen. Sein Anliegen sind die Migranten in Berlin und ihre
Integration in die deutsche Gesellschaft. Dieses Ziel verfolgen alle
bisherigen 49 Broschüren seiner Dienststelle über Migranten und
Minderheiten, die in Berlin leben. Aber was hat ein solch schwer
beladenes Thema wie Völkermord mit Integration zu tun?
Piening meint: "Ich sehe, dass dies ein schmerzhafter Prozess ist
-auch für die türkische Minderheit. Aber man muss auch klar sagen:
Wir kommen ineiner Einwandererstadt wir Berlin an diesen Diskussionen
nicht vorbei! Ich bin ein kleiner Integrationspolitiker und kein
schwergewichtiger AuÃenpolitiker. Die Frage, wie die Türkei damit
umgeht, ist für mich von zweitrangiger Bedeutung. Mir geht es darum,
wie wir hier in Berlin mit diesen Themen umgehen. Und da kann ich nur
sagen: Wir können es nicht zulassen, dass eine Minderheit ein
wichtiges Thema mit einem Tabu belegt. Das können wir auch für die
künftigen Generationen in Berlin nicht zulassen."
Weniger Demonstranten als erwartet
Angesprochen auf die Stimmen, die sagen, die Demonstration vom Sonntag
(19.6.) beweise, dass unter den Türken in Deutschland ein neuer
Nationalismus entstehe, sagt Piening, das sehe er nicht so. Nicht nur,
weil statt der erwarteten 50.000 Demonstranten nach Polizei-Angaben
gerade einmal 1.500 türkische Protestler kamen. Piening deutet die
türkische Empörung auch als Ausdruck der Verunsicherung von
Menschen, die mit einem eindeutigen Geschichtsbild aufgewachsen seien,
das nie hinterfragt worden sei. Jetzt müssten sie erleben, dassihre
Umwelt genau das bezweifle, was sie stets als gegeben hingenommen
hatten. Die Diskussion darüber, so schmerzlich sie auch sei, müsse
man allerdings führen.
Panagiotis Kouparanis
DW-RADIO, 20.6.2005, Fokus Ost-Südost
Armenien-Resolution des Bundestages sorgt für Proteste
Die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages vom vergangenen
Donnerstag (16.6.) hat in der Türkei für Unmut gesorgt. Auch Türken
in Deutschland fühlen sich ungerecht behandelt und gehen auf die
StraÃe.
Einige tausend Menschen marschierten am vergangenen Sonntag (19.6.)
mit türkischen Fahnen und Transparenten auf dem Berliner
Kurfürstendamm. Die zentrale Losung auf den Transparenten lautet:
"Jetzt reicht's". Gemeint sei, sagt Nalan Arkan von den Organisatoren
der Demonstration, die Art, wie in Deutschland mit dem Schicksal der
Armenier 1915 im damaligen Osmanischen Reich umgegangen werde. Der
Beschluss des Bundestages zur Vertreibung und den Massakern an den
Armeniern am vergangenen Donnerstag (16.6.) - das sei der Tropfen
gewesen, der da s Fass zum Ã=9Cberlaufen gebracht hätte.
Stimmungsmache gegen Türken?
Arkan sagte: "Wir finden, man hat die andere Seite der Medaille
überhaupt nicht sehen wollen, uns gar keine Möglichkeit gegeben,
unseren Standpunkt zu vertreten. Man möchte vor den Wahlen rechte
Stimmen gewinnen! Und da macht es sich sehr gut, Stimmung gegen die
Türkei, gegen die Türken zu schüren. Dagegen protestieren wir. Wir
haben nichts gegen Armenier. Es sind Massaker geschehen. Das ist
leider die Geschichte. Man muss sie genauer untersuchen. Das ist aber
keine Frage der europäischen Parlamente. Das Parlament ist kein
Gerichtshof. Wir sind gegen den politischen Missbrauch der
Geschichte."
Umstrittene Broschüre
Demonstranten und türkische Medien werfen auÃerdem einer Broschüre
Einseitigkeit vor, die der Berliner Migrationsbeauftragte Günter
Piening herausgebracht hat. "Armenier in Berlin - Berlin und
Armenien", lautet der Titel des 104 Seiten umfassenden Heftes, das in
der Deutschlandausgabe der türkischen Zeitung <I
style-"mso-bidi-font-style: normal">Hürriyet als "Die groÃe Schande
von Berlin" bezeichnet wurde. Grund für diesen Unmut ist die
eindeutige Thematisierung des armenischen Schicksals. Die Autorin der
Broschüre, Tessa Hofmann, ist Armenienexpertin an der Freien
Universität Berlin.
Sie hält ihre Darstellung für gerechtfertigt. In der Broschüre
umschreibt sie die damalige Massentötung von bis zu 1,5 Millionen
Armeniern mit dem Begriff, den die türkische Seite empört ablehnt:
"Völkermord". Frau Hofmann erklärt diese Wortwahl so: "Armenier sind
in erster Linie nicht freiwillig nach Berlin gekommen, sondern als
Flüchtlinge, als Opfer von Vertreibung und als Ãberlebende von
Völkermord. Man kann nicht über die Geschichte dieser Minderheit in
Berlin schreiben, ohne diese Ereignisse zu erwähnen. Dass die
türkische Gemeinschaft in Berlin, in Deutschland und darüber hinaus
in der Türkei Anlass hat, sich mit ihrer jüngeren Geschichte
auseinanderzusetzen - das ist unstrittigund ist immer wieder
Gegenstand von Resolutionen der Europäischen Union gewesen."
Migrationsbeauftragter: Keine Tabus
Soweit würde der Berliner Migrationsbeauftragte Günther Piening
nicht gehen. Sein Anliegen sind die Migranten in Berlin und ihre
Integration in die deutsche Gesellschaft. Dieses Ziel verfolgen alle
bisherigen 49 Broschüren seiner Dienststelle über Migranten und
Minderheiten, die in Berlin leben. Aber was hat ein solch schwer
beladenes Thema wie Völkermord mit Integration zu tun?
Piening meint: "Ich sehe, dass dies ein schmerzhafter Prozess ist
-auch für die türkische Minderheit. Aber man muss auch klar sagen:
Wir kommen ineiner Einwandererstadt wir Berlin an diesen Diskussionen
nicht vorbei! Ich bin ein kleiner Integrationspolitiker und kein
schwergewichtiger AuÃenpolitiker. Die Frage, wie die Türkei damit
umgeht, ist für mich von zweitrangiger Bedeutung. Mir geht es darum,
wie wir hier in Berlin mit diesen Themen umgehen. Und da kann ich nur
sagen: Wir können es nicht zulassen, dass eine Minderheit ein
wichtiges Thema mit einem Tabu belegt. Das können wir auch für die
künftigen Generationen in Berlin nicht zulassen."
Weniger Demonstranten als erwartet
Angesprochen auf die Stimmen, die sagen, die Demonstration vom Sonntag
(19.6.) beweise, dass unter den Türken in Deutschland ein neuer
Nationalismus entstehe, sagt Piening, das sehe er nicht so. Nicht nur,
weil statt der erwarteten 50.000 Demonstranten nach Polizei-Angaben
gerade einmal 1.500 türkische Protestler kamen. Piening deutet die
türkische Empörung auch als Ausdruck der Verunsicherung von
Menschen, die mit einem eindeutigen Geschichtsbild aufgewachsen seien,
das nie hinterfragt worden sei. Jetzt müssten sie erleben, dassihre
Umwelt genau das bezweifle, was sie stets als gegeben hingenommen
hatten. Die Diskussion darüber, so schmerzlich sie auch sei, müsse
man allerdings führen.
Panagiotis Kouparanis
DW-RADIO, 20.6.2005, Fokus Ost-Südost