Frankfurter Rundschau
28. Juni 2005
Wenig Erinnerung, keine Trauer ;
Die Turkei tut sich schwer im Umgang mit der eigenen Geschichte. Die
Verleihung des Friedenspreises an Orhan Pamuk erzeugt neue Reibung
VON GUNTER SEUFERT
Auswarts geehrt und zuhause verfemt ist dieser Tage der turkische
Romancier Orhan Pamuk. In der Bundesrepublik in der vergangenen Woche
mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet,
vermeidet der Schriftsteller in der Turkei seit Monaten Auftritte in
der Offentlichkeit. Im Februar hatte Pamuk einer Schweizer Zeitung
gegenuber erklart, die Osmanen hatten im Ersten Weltkrieg eine
Million Armenier ermordet und damit eine Welle nationaler Emporung
ausgelost. Pamuks Äußerungen waren der Auftakt zu einer Serie
nationalistischer Ausbruche, die zuletzt mit der harschen Reaktion
Ankaras zur "Armeniererklarung" des Deutschen Bundestages einen
vorlaufigen Hohepunkt fand.
Der offizielle turkische Umgang mit dem Vorwurf des Volkermords ist
eine eigentumliche Mixtur aus eingespieltem Ritual und aktuell
erlebter Verzweiflung. Das Spiel wiederholt sich jedes Jahr im April,
denn die Armenier begehen den 24. April als offiziellen Gedenktag.
An jenem Tag im Jahr 1915 hatte die osmanische Regierung in Istanbul
die ersten armenischen Nationalisten verhaften lassen. Nur wenig
spater folgte die Deportation der armenischen Bevolkerung in die
syrische Wuste, die mit der Ausloschung armenischen Lebens in
Anatolien endete. Seit Jahrzehnten blicken die Turken deshalb im
April angstlich nach Washington, wo es der US-Regierung zunehmend
schwerer fallt, Antrage des Kongresses abzulehnen, mit denen die
Deportation als Volkermord anerkannt werden soll. In den letzen
Jahren kam Druck aus Europa hinzu. Die Parlamente Frankreichs und der
Schweiz verabschiedeten "Erklarungen zum Volkermord an den
Armeniern", und zum neunzigsten Jahrestag sah man sich in der Turkei
erstmals auch im eigenen Lande des "Feindes" erwehren, zum Beispiel
in der Gestalt des Schriftstellers Orhan Pamuk.
Im Kampf gegen ihn hat sich das Stadtchen Sutculer verdient gemacht,
das vergessen hinter den Bergen der Feriennmetropole Antalya liegt.
In den Schulen durchstoberten Lehrer die Buchereien nach seinen
Werken, und auch die Stadtbibliothek wurde auf den Kopf gestellt.
Pamuks Bucher seien zu vernichten, hatte der Landrat angeordnet, und
damit seiner Bevolkerung aus der Seele gesprochen. Gegen die
Verleumdungen des "Minderheiten-Rassisten habe die turkische Nation
jedes Recht auf Selbstverteidigung" meinte der Landrat, und nur weil
kein Buch Pamuks seinen Weg in das Stadtchen gefunden hatte, kam es
nicht zu der angeordneten Bucherverbrennung.
Spuren des Orients und Okzidents
In der Begrundung fur die Nominierung Orhan Pamuks fur den
Friedenspreis heißt es, er vermoge es wie kein zweiter, die Spuren
des Orients in der Geschichte des Okzidents freizulegen und die
Spuren des Okzidents in der Geschichte des Orients aufzuspuren.
Manchmal freilich scheint die Spurensuche gar nicht so schwer. Am 24.
Mai etwa, als es im turkischen Parlament - wie einst in Deutschland -
keine Parteien mehr, sondern nur noch Turken gab. Eine Handvoll
Historiker hatte eine Konferenz vorbereitet, auf der die
Armeniergreuel erstmals in der Turkei frei von offiziellen Vorgaben
diskutiert werden sollten. Angesichts dieser Gefahr verschwanden die
Grenzen zwischen Rechts und Links, Demokraten und Autoritaren,
Islamisten und Sakularisten. Der ehemalige Botschafter der Turkei in
Washington Sukru Elekdag von der oppositionellen Republikanische
Volkspartei (CHP) verdachtigte die Organisatoren des
"Vaterlandsverrats" und der "wissenschaftlichen Bemantelung
armenischer Propaganda". Die Parlamentarier der
muslimisch-konservativen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP)
von Premierminister Recep Tayyip Erdogan konnten und wollten nicht
abseits stehen und forderten den Staatsanwalt auf, einzuschreiten,
falls "die Armenier auf der Versammlung Recht bekommen sollten und
die turkische Sichtweise widerlegt wird." Justizminister Cemil Cicek
war es vorbehalten, deutschnationale Phrasen aus der Zeit nach dem
Ersten Weltkrieg fast wortlich zu wiederholen und die Konferenz als
"einen Dolchstoß in den Rucken" der turkischen Nation zu bezeichnen.
Die Turken tun sich aus vielen Grunden mit der Geschichte schwer, und
einige davon sind durchaus verstandlich. Da ist das Entsetzen
daruber, durch den Begriff Genozid mit Nazideutschland auf eine Stufe
gestellt zu werden, und den Todesmarsch der Armenier als ?ersten
Volkermord der Moderne' akzeptieren zu sollen, gewissermaßen als
Vorlaufer und Wegbereiter zum Holocaust . "Die Deutschen wollen mit
ihrem Volkermord an den Juden nicht langer alleine stehen", titelte
das Massenblatt Hurriyet am Tag nach dem Armenierbeschluss des
Bundestages. Einen den Nazis vergleichbaren Vernichtungswillen habe
es bei den Osmanen jedoch nicht gegeben, heißt es, ebensowenig wie
eine rassistische Ideologie. Diese Befurchtung, Ungleiches konne
gleichgesetzt werden, wird von Israel und der judischen Lobby in den
USA geteilt, und beide unterstutzen die Turkei seit Jahrzehnten in
dieser Frage.
Immer nur nach vorn blicken
Die Sache nicht leichter machen auch extreme Forderungen armenischer
Nationalisten, meist aus der Diaspora. Hier verlangt man nicht nur
Anerkennung und Entschadigung, sondern auch die ?Ruckgabe armenischen
Territoriums' und die Revidierung bestehender Grenzen. Fur die Falken
in Ankara ist das Munition gegen alle, die fur einen Ausgleich sind.
Tatsachlich waren die Folgen eines turkischen Schuldeingestandnisses
dagegen wohl eher gering. Die Volkermordkonvention der Vereinten
Nationen von 1948 ist Reaktion auf die Schrecken des Holocaust und
als internationales Rechtsdokument nicht auf Ereignisse vor ihrer
Unterzeichnung anwendbar.
Den Mann auf der Straße beruhigt das freilich wenig. Er nimmt das
auslandische Drangen eher als Aggression und Feindseligkeit wahr, und
wer sich wie Pamuk fur Offenheit ausspricht, sieht sich schnell
isoliert. Die Forderung nach Schuldanerkennung trifft die Menschen
vollkommen unvorbereitet, so dass viele gar nicht verstehen konnen,
worum es geht. Ein Grund dafur sind achtzig lange Jahre staatlicher
Propaganda, in der die turkische Nation nur als mutigste und
tapferste, als frommste und sittlichste, als ehrlichste und
aufrechteste auftaucht.
Hinzu kommt, dass man immer nur nach vorne blicken sollte, nie
zuruck. Den Staat aufbauen, sich entwickeln, westlich und europaisch
werden, war und ist Programm. Es gab weder Innehalten noch Ruckblick,
wenig Erinnerung und keine Trauer. Selbst der eigenen Gefallenen des
Ersten Weltkriegs und des darauf folgenden Unabhangigkeitskriegs wird
bisher nur in Heldenmanier gedacht. Die Leiden der Bevolkerung fallen
stets unter den Tisch. Wie soll man da des Leides anderer gedenken?
Die Armenienfrage~ Der turkische Schriftsteller Orhan Pamuk, der mit
dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet werden
wird, hat in der Turkei die Diskussion uber den Volkermord an den
Armeniern neu angestachelt. Eine offene Diskussion uber historische
Schuld findet so gut wie nicht statt. Gunter Seufert war
wissenschaftlicher Referent und bis 2002 Leiter der Abteilung
Istanbul des Instituts der Deutschen Morgenlandischen Gesellschaft.
Er arbeitet als Autor und Journalist in Istanbul und lehrt als
Gastprofessor an der Cyprus University in Nikosia. tt
--Boundary_(ID_7RhfEJuYcXpKNutV556LGw)--
28. Juni 2005
Wenig Erinnerung, keine Trauer ;
Die Turkei tut sich schwer im Umgang mit der eigenen Geschichte. Die
Verleihung des Friedenspreises an Orhan Pamuk erzeugt neue Reibung
VON GUNTER SEUFERT
Auswarts geehrt und zuhause verfemt ist dieser Tage der turkische
Romancier Orhan Pamuk. In der Bundesrepublik in der vergangenen Woche
mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet,
vermeidet der Schriftsteller in der Turkei seit Monaten Auftritte in
der Offentlichkeit. Im Februar hatte Pamuk einer Schweizer Zeitung
gegenuber erklart, die Osmanen hatten im Ersten Weltkrieg eine
Million Armenier ermordet und damit eine Welle nationaler Emporung
ausgelost. Pamuks Äußerungen waren der Auftakt zu einer Serie
nationalistischer Ausbruche, die zuletzt mit der harschen Reaktion
Ankaras zur "Armeniererklarung" des Deutschen Bundestages einen
vorlaufigen Hohepunkt fand.
Der offizielle turkische Umgang mit dem Vorwurf des Volkermords ist
eine eigentumliche Mixtur aus eingespieltem Ritual und aktuell
erlebter Verzweiflung. Das Spiel wiederholt sich jedes Jahr im April,
denn die Armenier begehen den 24. April als offiziellen Gedenktag.
An jenem Tag im Jahr 1915 hatte die osmanische Regierung in Istanbul
die ersten armenischen Nationalisten verhaften lassen. Nur wenig
spater folgte die Deportation der armenischen Bevolkerung in die
syrische Wuste, die mit der Ausloschung armenischen Lebens in
Anatolien endete. Seit Jahrzehnten blicken die Turken deshalb im
April angstlich nach Washington, wo es der US-Regierung zunehmend
schwerer fallt, Antrage des Kongresses abzulehnen, mit denen die
Deportation als Volkermord anerkannt werden soll. In den letzen
Jahren kam Druck aus Europa hinzu. Die Parlamente Frankreichs und der
Schweiz verabschiedeten "Erklarungen zum Volkermord an den
Armeniern", und zum neunzigsten Jahrestag sah man sich in der Turkei
erstmals auch im eigenen Lande des "Feindes" erwehren, zum Beispiel
in der Gestalt des Schriftstellers Orhan Pamuk.
Im Kampf gegen ihn hat sich das Stadtchen Sutculer verdient gemacht,
das vergessen hinter den Bergen der Feriennmetropole Antalya liegt.
In den Schulen durchstoberten Lehrer die Buchereien nach seinen
Werken, und auch die Stadtbibliothek wurde auf den Kopf gestellt.
Pamuks Bucher seien zu vernichten, hatte der Landrat angeordnet, und
damit seiner Bevolkerung aus der Seele gesprochen. Gegen die
Verleumdungen des "Minderheiten-Rassisten habe die turkische Nation
jedes Recht auf Selbstverteidigung" meinte der Landrat, und nur weil
kein Buch Pamuks seinen Weg in das Stadtchen gefunden hatte, kam es
nicht zu der angeordneten Bucherverbrennung.
Spuren des Orients und Okzidents
In der Begrundung fur die Nominierung Orhan Pamuks fur den
Friedenspreis heißt es, er vermoge es wie kein zweiter, die Spuren
des Orients in der Geschichte des Okzidents freizulegen und die
Spuren des Okzidents in der Geschichte des Orients aufzuspuren.
Manchmal freilich scheint die Spurensuche gar nicht so schwer. Am 24.
Mai etwa, als es im turkischen Parlament - wie einst in Deutschland -
keine Parteien mehr, sondern nur noch Turken gab. Eine Handvoll
Historiker hatte eine Konferenz vorbereitet, auf der die
Armeniergreuel erstmals in der Turkei frei von offiziellen Vorgaben
diskutiert werden sollten. Angesichts dieser Gefahr verschwanden die
Grenzen zwischen Rechts und Links, Demokraten und Autoritaren,
Islamisten und Sakularisten. Der ehemalige Botschafter der Turkei in
Washington Sukru Elekdag von der oppositionellen Republikanische
Volkspartei (CHP) verdachtigte die Organisatoren des
"Vaterlandsverrats" und der "wissenschaftlichen Bemantelung
armenischer Propaganda". Die Parlamentarier der
muslimisch-konservativen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP)
von Premierminister Recep Tayyip Erdogan konnten und wollten nicht
abseits stehen und forderten den Staatsanwalt auf, einzuschreiten,
falls "die Armenier auf der Versammlung Recht bekommen sollten und
die turkische Sichtweise widerlegt wird." Justizminister Cemil Cicek
war es vorbehalten, deutschnationale Phrasen aus der Zeit nach dem
Ersten Weltkrieg fast wortlich zu wiederholen und die Konferenz als
"einen Dolchstoß in den Rucken" der turkischen Nation zu bezeichnen.
Die Turken tun sich aus vielen Grunden mit der Geschichte schwer, und
einige davon sind durchaus verstandlich. Da ist das Entsetzen
daruber, durch den Begriff Genozid mit Nazideutschland auf eine Stufe
gestellt zu werden, und den Todesmarsch der Armenier als ?ersten
Volkermord der Moderne' akzeptieren zu sollen, gewissermaßen als
Vorlaufer und Wegbereiter zum Holocaust . "Die Deutschen wollen mit
ihrem Volkermord an den Juden nicht langer alleine stehen", titelte
das Massenblatt Hurriyet am Tag nach dem Armenierbeschluss des
Bundestages. Einen den Nazis vergleichbaren Vernichtungswillen habe
es bei den Osmanen jedoch nicht gegeben, heißt es, ebensowenig wie
eine rassistische Ideologie. Diese Befurchtung, Ungleiches konne
gleichgesetzt werden, wird von Israel und der judischen Lobby in den
USA geteilt, und beide unterstutzen die Turkei seit Jahrzehnten in
dieser Frage.
Immer nur nach vorn blicken
Die Sache nicht leichter machen auch extreme Forderungen armenischer
Nationalisten, meist aus der Diaspora. Hier verlangt man nicht nur
Anerkennung und Entschadigung, sondern auch die ?Ruckgabe armenischen
Territoriums' und die Revidierung bestehender Grenzen. Fur die Falken
in Ankara ist das Munition gegen alle, die fur einen Ausgleich sind.
Tatsachlich waren die Folgen eines turkischen Schuldeingestandnisses
dagegen wohl eher gering. Die Volkermordkonvention der Vereinten
Nationen von 1948 ist Reaktion auf die Schrecken des Holocaust und
als internationales Rechtsdokument nicht auf Ereignisse vor ihrer
Unterzeichnung anwendbar.
Den Mann auf der Straße beruhigt das freilich wenig. Er nimmt das
auslandische Drangen eher als Aggression und Feindseligkeit wahr, und
wer sich wie Pamuk fur Offenheit ausspricht, sieht sich schnell
isoliert. Die Forderung nach Schuldanerkennung trifft die Menschen
vollkommen unvorbereitet, so dass viele gar nicht verstehen konnen,
worum es geht. Ein Grund dafur sind achtzig lange Jahre staatlicher
Propaganda, in der die turkische Nation nur als mutigste und
tapferste, als frommste und sittlichste, als ehrlichste und
aufrechteste auftaucht.
Hinzu kommt, dass man immer nur nach vorne blicken sollte, nie
zuruck. Den Staat aufbauen, sich entwickeln, westlich und europaisch
werden, war und ist Programm. Es gab weder Innehalten noch Ruckblick,
wenig Erinnerung und keine Trauer. Selbst der eigenen Gefallenen des
Ersten Weltkriegs und des darauf folgenden Unabhangigkeitskriegs wird
bisher nur in Heldenmanier gedacht. Die Leiden der Bevolkerung fallen
stets unter den Tisch. Wie soll man da des Leides anderer gedenken?
Die Armenienfrage~ Der turkische Schriftsteller Orhan Pamuk, der mit
dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet werden
wird, hat in der Turkei die Diskussion uber den Volkermord an den
Armeniern neu angestachelt. Eine offene Diskussion uber historische
Schuld findet so gut wie nicht statt. Gunter Seufert war
wissenschaftlicher Referent und bis 2002 Leiter der Abteilung
Istanbul des Instituts der Deutschen Morgenlandischen Gesellschaft.
Er arbeitet als Autor und Journalist in Istanbul und lehrt als
Gastprofessor an der Cyprus University in Nikosia. tt
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