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Armenien stabilisieren statt isolieren

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  • Armenien stabilisieren statt isolieren

    Süddeutsche Zeitung
    3. Mai 2005

    Armenien stabilisieren statt isolieren;

    Von Jörg Himmelreich;
    Außenansicht


    Armenier in aller Welt gedachten jüngst des Völkermordes an ihren
    Landsleuten vor 90 Jahren. Die Bundesregierung sollte dieses Gedenken
    zum Anlass nehmen, ihre Außenpolitik und die der Europäischen Union
    gegenüber Armenien zu überprüfen. Die Stabilisierung Armeniens und
    seiner südkaukasischen Nachbarn Georgien und Aserbaidschan ist für
    die EU, die USA und Russland im Hinblick auf die Brückenfunktion des
    Südkaukasus in den Mittleren Osten und nach Zentralasien von
    strategischer, geopolitischer Bedeutung. In diesem europäischen
    Hinterhof droht sich ein nationalistisches und islamistisches
    Konfliktpotenzial zusammenzubrauen, dessen Explosivkraft sträflichst
    unterschätzt wird.

    Im Sommer 2005 wird die neue Ölpipeline von Baku über Tiflis zu dem
    türkischen Mittelmeerterminal Ceyhan fertiggestellt. Öl und, vom
    nächstem Jahr an, Gas aus den Energiereservoirs Aserbaidschans im
    Kaspischen Meer werden so auf die europäischen Energiemärkte
    geliefert werden. Diese so genannte BTC-Pipeline dient auch als ein
    Bindeglied zu einer möglichen Energietransportverbindung durch das
    Kaspische Meer zu den Gasvorkommen Zentralasiens, insbesondere
    Turkmenistans. Bisher haben Öl und Gas aus dieser Region vornehmlich
    über Russland den europäischen Markt mit bis zu 300-prozentigem
    Preisaufschlag durch den russischen, staatlichen Zwischenlieferanten
    erreicht. Die hohe Abhängigkeit Europas von Gasimporten aus Russland
    würde durch einen solchen, das russische Territorium umgehenden
    Energietransport beträchtlich verringert werden.

    Die staatliche Fragilität der südkaukasischen Staaten stellt einen
    Nährboden für die organisierte Kriminalität, für Menschen-, Waffen-
    und Drogenhandel sowie ein Rückzugs- und Aufbaugebiet islamistischer
    Terrorgruppen dar. Sie gefährdet die Stabilität und den Frieden
    Europas unmittelbar und wirkt sich destabilisierend auf den
    russischen Nordkaukasus und auf den Norden der Türkei aus. Die
    Instabilität Armeniens trägt maßgeblich zu diesem
    Gefährdungspotenzial für Europa bei.

    Das große außenpolitische Problem Armeniens ist die Lösung des
    Nagorny-Karabach-Konflikts, einer von armenischen Streitkräften seit
    dem Krieg mit Aserbaidschan 1994 besetzten Provinz auf dem
    Territorium Aserbaidschans. Die so genannte Minsk-Gruppe der

    OSZE unter gemeinsamer Leitung Frankreichs, Russlands und der USA
    bemüht sich seit 1993 vergebens um eine greifbare Lösung, sofern die
    Einhaltung des Waffenstillstands nicht schon als solche ausreichen
    soll. Die Außenminister und Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans
    vermitteln nicht den Eindruck, an Kompromissen tatsächlich
    interessiert zu sein. Auch scheinen sie innenpolitisch nicht in der
    Lage zu sein, diese durchzusetzen. Jede Seite geht fälschlicherweise
    davon aus, die Zeit spiele zu ihren Gunsten; gleichzeitig profitiert
    jede Seite wirtschaftlich vom Status quo.

    Die zweite, nicht weniger komplexe außenpolitische Frage ist die des
    Umgangs von Armenien, der Türkei und der internationalen Gemeinschaft
    mit den Ereignissen, deren die Armenier in aller Welt am 24. April
    gedachten. Das Deutsche Reich hat 1915 fest zu seinem türkischen
    Bündnispartner im Ersten Weltkrieg gestanden. Bezeichnend ist der
    Aktenvermerk des damaligen Reichskanzlers Theobald von
    Bethmann-Hollweg: "Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende
    des Krieges an unserer Seite zu halten, ob darüber Armenier zugrunde
    gehen oder nicht." Die türkische Regierung bestreitet bis heute den
    Tatbestand des Völkermords nach den Kriterien der Genfer Konvention.
    Ihre Grenzen nach Armenien sind geschlossen.

    Aus diesem historischen Erbe und aus ihren traditionell guten
    Beziehungen zur Türkei kommt der Bundesrepublik heute eine besondere
    Verantwortung zu, sich in der EU für eine Vermittlung zwischen
    Armenien und der Türkei einzusetzen. Vorrangiges Ziel muss es sein,
    die Frage der Anerkennung des Tatbestandes des Völkermordes durch die
    Türkei von der der Öffnung der Grenze zu trennen. In der türkischen
    Regierung nimmt die Bereitschaft zu einer solchen pragmatischen
    Verständigung mit Armenien zu. Gewisse Rücksichtnahmen auf das
    historisch eng verbundene muslimische Aserbaidschan ("Eine Nation,
    zwei Länder") scheinen dem noch entgegen zu stehen. Der zügigen
    Öffnung der türkisch-armenischen Grenze käme in den Verhandlungen der
    EU mit der Türkei über ihren Beitritt und mit Armenien und
    Aserbaidschan im Rahmen des Europäischen Nachbarschaftsprogramms
    höchste Priorität zu.

    Verglichen mit Georgien und Aserbaidschan befindet sich Armenien
    politisch im Schatten der westlichen Aufmerksamkeit und droht
    wirtschaftlich isoliert zu werden. Zwangsläufig sieht es sich
    genötigt, seine ohnehin schon bestehenden engen politischen und
    wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland, aber auch mit dem Iran
    weiter auszubauen.

    Innenpolitisch hat Präsident Kotscharjan am 25. Mai 2003 seine
    Präsidentschaft durch Wahlen verlängert, die keineswegs
    internationalen Standards für demokratische Wahlen entsprachen. Aus
    Protest boykottieren die Oppositionsparteien seitdem das Parlament.
    Demonstrationen werden mit Gewalt unterdrückt. Neue Demonstrationen
    der Oppositionsparteien werden vorbereitet. Die Entwicklungen in
    Georgien, in der Ukraine und in Kirgisien strahlen aus, während
    Präsident Kotscharjan eine Verfassungsänderung zu seiner weiteren
    Wiederwahl nach zentralasiatischem Vorbild vorbereitet.

    Die Lösung des Nagorny-Karabach-Konflikts ist die entscheidende
    Voraussetzung für eine Stabilisierung Armeniens und der gesamten
    südkaukasischen Region. Daher ist ein Neuanstoß auf höchster
    Regierungsebene der USA und Russlands dringend notwendig, diesen
    Verhandlungen der beiden Konfliktparteien nachhaltig zu einem
    Durchbruch zu verhelfen. Eine solche Initiative von Russland und den
    USA anzuregen, ist die Bundesregierung mit ihren guten Beziehungen zu
    beiden prädestiniert. Beide Konfliktparteien müssen angehalten
    werden, die Klärung des langfristigen Status von Nagorny-Karabach auf
    einen späteren Zeitpunkt zu vertagen, die außerhalb dieser Provinz
    von armenischen Truppen besetzten Gebieten zu räumen, eine
    Landverbindung Armeniens mit Nagorny-Karabach zu gestatten und
    diplomatische Beziehungen wieder aufzunehmen. Das wäre seitens der
    Bundesregierung eine konstruktive Russlandpolitik und zugleich ein
    Baustein im Wiederaufbau der transatlantischen Beziehungen.

    Die Stabilisierung Armeniens liegt im ureigensten Interesse der EU,
    USA und Russlands. Dieses Anliegen sollte in den Nebengesprächen am
    9. Mai in Moskau aufgegriffen werden, wenn dort des Endes des Zweiten
    Weltkriegs und des Nationalsozialismus gedacht wird. Dies wäre dann
    ein hervorragendes Beispiel dafür, sich nicht nur einer gemeinsamen
    Verantwortung in der Vergangenheit bewusst zu sein, sondern diese
    auch in die Zukunft fortzutragen.

    GRAFIK: Jörg Himmelreich ist derzeit TransatlanticFellow des German
    Marshall Fund in Washington. Foto: privat

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