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Politischer Bericht/KAS/Türkei/04/05 in pdf. auch zum downloaden
Konrad-Adenauer-Stiftung, Ahmet Rasim Sokak 27, 06550 Cankaya/ Ankara Länderbüro Türkei
POLITISCHER BERICHT
TÃRKEI
ÃBERSICHT
¢ Kontroverse Diskussionen über die `Armenier-Frage`
¢ Mutterlandspartei (ANAP) wieder im Parlament vertreten
¢ Wahl in Nordzypern und EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei
¢ Info-Mail
Kontroverse Diskussionen über die `Armenier-Frage`
Unabhängig von dem Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: `Gedenken
anlässlich des 90. Jahrestages des Auftaktes zu Vertreibungen an
den Armeniern am 24. April 1915 ` Deutschland muss zur Versöhnung
zwischen Türken und Armeniern beitragen` ist die Bedeutung dieses
Jahrestages auch in der Türkei im Bewusstsein der Men-schen. Seit
Wochen wird eine kontroverse Diskussion, insbesondere in den
türkischen Medien, über dieses Thema geführt.
Historiker und mittlerweile auch Politiker äuÃern sich dazu
und haben eine bemerkens-werte Kontroverse angefacht. Der Vorwurf des
sog. `Genozids` an den Armeniern, be-ginnend im Jahre 1915, wird zwar von
allen Seiten kategorisch abgelehnt, aber es meh-ren sich auch Stimmen, die
zumindest viele Vorkommnisse nicht in Abrede stellen. Die-se Kreise
beklagen ferner die Haltung vieler Türken, die sich einer
Anerkennung jegli-cher Untaten in der damaligen Zeit prinzipiell
verweigern.
Nach dem sich der bekannte türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk -
der in einer engli-schen Tageszeitung einen `Genozid` an den Armeniern
konstatierte, der bis zu einer Millionen Armenier das Leben gekostet haben
solle ` offen dazu äuÃerte, meldete sich auch der bekannte
Soziologe und Historiker Prof. Halil Berktay von der
Sabanci-Universität zu Wort. Seiner Ansicht nach sei der Befehl des
Triumvirats um Enver-Pascha, Talat-Pascha und Cemal-Pascha zur Umsiedlung
der Armenier nicht nur auf
Tel: (0090) 3124404080 Fax: (0090)-3124403248 E-Mail: [email protected]
Internet: www.kas.de
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Politischer Bericht/KAS/Türkei/04/05
den Osten des Osmanischen Restsreichs begrenzt gewesen, sondern habe im
gesam-ten Reichsgebiet gegolten. Das `Umsiedlungsgesetz` von damals
beinhalte seiner An-sicht nach deutlich einen Charakter der `ethnischen
Säuberung`. Berktay wies ferner daraufhin, dass die
Türkische Republik zwar nicht für diese Vorkommisse
verantwort-lich zu machen sei, ein führender Politiker wie der
Ministerpräsident oder der AuÃenmi-nister aber seine Sorge
und Trauer aufgrund der Vorkommnisse äuÃern solle. Alles
andere läge dann aber bei den Historikern und den nachfolgenden
Generationen.
Diese Aussagen, insbesondere die Bezeichnung `Ethnische Säuberung`
stieà auf hefti-ge Kritik der `Türkischen Gesellschaft
für Geschichte` (Türk Tarih Kurumu). Der Vorsit-zende dieser
staatlichen Institution, Prof. Dr. Yusuf Halaçoðlu, wies
diesen Vorwurf ent-schieden zurück. Seiner Meinung nach beweise das
Gesetz vom 18. Dezember 1918 - mit dem die Rückkehr der
deportierten Armenier in die Türkei geregelt worden sei ` viel mehr
genau das Gegenteil. Von den ca. eine Million in Anatolien lebenden
Armeniern vor dem 1. Weltkrieg, hätten 644.900 Menschen dieses
Angebot angenommen und seien nach Anatolien zurückgekehrt. Alle
üblicherweise verwendeten Zahlen über die Todesopfer seien
historisch gar nicht zu beweisen. Nach eigenen Berechnungen wären
durch Krankheiten ca. 100.000 Armenier ums Leben gekommen. Zudem habe das
`Umsiedlungsgesetz` die katholischen und protestantischen Armenier nicht
betroffen, so Halaçoðlu weiter. Dieser Diskurs zeigt, dass
mittlerweile eine offene Debatte unter türkischen Historikern
begonnen hat.
Im Rahmen dieser Diskussionen werden nun immer wieder neue Quellen und
Doku-mente vorgelegt. Eigentlich sollten sich in diesem Jahr
türkische und armenische Histo-riker in Wien treffen. Da die
armenische Seite jedoch ihre Unterlagen nicht eingereicht hatte, wurde
dieses Treffen abgesagt. Die türkische Seite habe annähernd
100 Doku-mente vorgelegt, so Halaçoðlu, die von der
armenischen Seite aber bisher nicht kom-mentiert wurden.
Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdoðan traf
sich zur Sondierung der Lage und der Absprach einer gemeinsame Strategie
zur Armenierfrage mit dem Oppositionsfüh-rer Deniz Baykal
(CHP). Beide einigten sich darauf, dass diese Problematik nicht poli-tisch
angegangen, sondern die Vorkommnisse sollen von Historikern aufgearbeitet
werden. Mittlerweile werden Aussagen von bekannten ausländischen
Wissenschaftlern, wie von dem US-Amerikaner Prof. Justin McCarthy,
präsentiert. Nach McCarthy habe es einen Bürgerkrieg
zwischen Armeniern und Türken gegeben und dabei seien
zah-lenmäÃig weit mehr Türken als christliche
Armenier zu Tode gekommen. McCarthy er-klärte ferner, dass das
`Blue Book' des Historikers Arnold J. Toynbee ` dieses Buch wird oft
als Quelle angeführt - ein reines Propagandamittel gewesen sei. Der
Autor selbst habe dies später auch eingestanden.
Viele Kommentatoren der türkischen Tageszeitungen greifen das Thema
auf. In allen seriösen Presseorganen ist der Tenor der
Berichterstattung eindeutig: Es gebe sehr wohl ein `Armenier-Problem`. Die
Vorkommnisse des Jahres 1915 hätten aber nicht den Charakter eines
Genozids, sondern es sei als Folge der bürgerkriegsähnlichen
Umstände zur Umsiedelung und Deportation von Armeniern gekommen. In
diesem Zu-sammenhang seien auch sehr viele muslimische Opfer unter
Türken und Kurden zu beklagen. Einige fordern von der Politik,
hinsichtlich des Themas endlich Stellung zu beziehen. Die türkische
Regierung besitze durchaus die demokratische Reife, dieses Problem zu
lösen. Darüber hinaus müsse die Türkei damit
aufhören, reflexartig andere
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Politischer Bericht/KAS/Türkei/04/05
Länder - wie z.B. Frankreich ` sofort eigener `dunkler Flecken` in
ihrer Geschichte zu beschuldigen, nur weil sie eine Resolution zur
`Armenier-Frage` verabschiedet haben. Der Kolumnist Ã'smet Berkan der
Tageszeitung šRadikal' ging sogar noch weiter: `Immer wenn solche
Fragen in der Türkei auftauchen, rettet man sich in die Phrasen,
das sol-len die Historiker aufarbeiten oder aber die andere Seite hat doch
auch unsere Leute getötet. Diese letzte Aussage ist mit der
Ã`berschrift: Politik der Leugnung zu betiteln. Der Versuch der
regierenden AKP und der Oppositionspartei CHP sowie die Anstren-gungen der
Türkischen Gesellschaft für Geschichte bedeuten nichts
anderes als diese Leugnung. Jedoch wissen wir alle, dass in jenen Jahren
Dinge geschehen sind und selbst nach 90 Jahren seit diesen Vorkommnissen,
können wir heute noch immer nicht offen darüber reden, was
damals genau geschah`.
Mutterlandspartei (ANAP) wieder im Parlament vertreten
Nach seinem überraschenden Rücktritt vor vier Wochen als
Tourismusminister der AKP wurde vielfach über die politische
Zukunft von Erkan Mumcu spekuliert. Genauso über-raschend wie sein
Rücktritt vor Monatsfrist kam nun der Eintritt Mumcus in die
Mutter-landspartei (ANAP). Diese Entwicklung hielten die wenigsten
politischen Beobachter für möglich. Es wurde vielmehr
angenommen, dass Mumcu die Führungs- und Integrati-onsfigur einer
neuen Mitte-Rechts Bewegung werden könnte.
Die Zersplitterung der türkischen Parteienlandschaft ist
insbesondere auf dem Mitte-Rechts-Flügel des türkischen
Parteienspektrums sehr ausgeprägt. Neben der `Neuen Mitte` AKP,
erheben die `Partei des Rechten Weges` (DYP), die ANAP und viele kleine-re
Parteien den Anspruch auf die konservative Mitte. Ã`ber ein
Zusammengehen der DYP und ANAP wurde in den vergangenen Jahren immer
wieder nachgedacht, jedoch scheiterte dies meist an dem Widerstand der
jeweiligen Parteivorsitzenden. Viele Mit-glieder beider Parteien haben
ihre politischen Wurzeln in der `Demokratischen Partei` von Adnan Menderes
und der Nachfolgepartei, der `Gerechtigkeitspartei` (DP) von
Sü-leyman Demirel.
Mumcu ist einer Partei beigetreten, die er vor fast drei Jahren
verlieÃ. Zuletzt war er stellv. ANAP-Parteivorsitzender und
Tourismusminister. Nach den nationalen Parla-mentswahlen vom November 2002
war die ANAP mit ca. 5% der Wählerstimmen deut-lich unter der
10%-Sperrklausel geblieben und zum ersten Mal seit ihrer Gründung
durch Turgut Ã-zal nach fast 20 Jahren nicht mehr im Parlament
vertreten. Die Mutter-landspartei wird Ende April 2005 einen Parteitag
durchführen. Politische Beobachter gehen davon aus, dass dann Erkan
Mumcu neuer ANAP-Vorsitzender wird.
Somit könnte er, ohne eine neue Partei gründen zu
müssen, auf die vorhandenen Strukturen der ANAP
zurückgreifen. Die Zulassung türkischer Parteien wird von
der `Hohen Wahlkommission` vor nationalen Wahlen im Detail
überprüft. So müssen die Parteien in mindestens der
Hälfte aller 81 türkischen Provinzen eine regionale
Organi-sation vorweisen. Der Neuaufbau einer landesweiten Parteistruktur
ist natürlich weit schwieriger und teurer, als vorhandene
Strukturen zu nutzen. Dies war vielleicht auch der Grund, warum Mumcu
wieder seiner šalten' Partei beitrat.
Seit seinem Parteiaustritt aus der AKP sind weitere fünf
AKP-Parlamentarier (Stand 24. März 2005) aus der AKP ausgetreten,
von denen drei zeitgleich mit Mumcu der ANAP
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Politischer Bericht/KAS/Türkei/04/05
beigetreten sind. Nach fast drei Jahren parlamentarischer Abstinenz ist
die ANAP nun wieder mit vier Abgeordneten in der GroÃen
Türkischen Nationalversammlung vertre-ten. Sie hat damit nach
geltendem Recht einen Anspruch auf einen nicht unerheblichen Betrag der
staatlichen Parteienfinanzierung. Für die ANAP, die in den letzten
Jahren erhebliche finanzielle Schwierigkeiten gehabt haben soll, bedeutet
dies ein willkomme-ner Geldsegen. Dies könnte für das
politische Ã`berleben der Partei kurzfristig wichtiger sein als die
wiedererlangte Präsenz im Parlament.
Hinter den Kulissen, so wird in den Medien spekuliert, hätten nach
den Parteiaustritten aus der regierenden AKP und der Oppositionspartei
CHP, die Parteigremien beider Parteien sich darüber geeinigt, in
naher Zukunft eine Änderdung des türkischen
Partei-engesetzes durchzusetzen. Demnach sollen künftig nur
Parteien mit 10 oder mehr Ab-geordneten in den Genuss der staatlichen
Parteinfinanzierung kommen. Ferner soll eine Kandidatur eines
Abgeordneten, der während einer Legislaturperiode die Partei
wechselt, für die erste nachfolgende nationale Wahl nicht mehr
möglich sein. Eine Re-form des türkischen Parteien- und
Wahlrechts ist zwar für viele politische Beobachter schon lange
dringend erforderlich. Gesetzesänderungen die nur auf den eigenen
Machterhalt abzielen, würden aber die innerparteiliche Demokratie
schwächen und die Politikverdrossenheit in der Türkei nur
verstärken.
Wahl in Nordzypern und EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei
Mit der Annahme des Annan-Plans zur Ã`berwindung der Teilung auf Zypern
im Rahmen des Referendums im nördlichen Teil der Insel, wurde
zunächst ein groÃes Hindernis der Türkei auf dem Weg
nach Europa aus dem Weg geräumt. Die europäischen Staats-
und Regierungschefs machten in ihrer Zustimmung für die
EU-Beitrittsverhandlungen am 17. Dezember 2004 aber auch klar, dass vor
Beginn der Verhandlungen im Oktober 2005 die Zollunion der Türkei
mit den neuen EU-Mitgliedsländern, d.h. auch mit der Republik
Zy-pern, unterschrieben sein muss. Die politische Entwicklung auf Zypern
hat daher auch für Ankara eine groÃe politische Bedeutung.
Mit dem Wahlsieg am 20. Februar 2005 des bisherigen
šMinisterpräsidenten' - der nur von der Türkei
völkerrechtlich anerkannten `Türkischen Republik Nordzypern`
(TRNC) - Mehmet Ali Talat und seiner europa-orientierten `Partei
Republikanischer Türken` (CTP) begann eine weitere Etappe auf dem
Weg zur Wiedervereinigung der seit 1974 geteilten Inselrepublik.
Die Wahlen auf der Mittelmeerinsel waren notwendig geworden, nachdem drei
Abge-ordnete die Koalition der CTP mit der `Demokratischen Partei` (DP)
Serdar Denktaþ' verlassen hatten. Die so entstandene
Minderheitsregierung war nicht mehr handlungs-fähig. Talat reichte
nach erfolglosen Koalitionsgesprächen mit anderen Parteien seinen
Rücktritt ein. Nun konnte sich Talat erneut in der Wahl gegen
seinen nationalistischen und anti-europäisch gesinnten Gegner
Derviþ Eroðlu der Partei der `Nationalen Einheit` (UBP)
erfolgreich durchsetzen. Während Talat 44% der Stimmen erreichte,
konnte die UBP nur 32% für sich erzielen. Das Ergebnis Talats
verbesserte sich damit im Ver-gleich zur letzten Wahl um 9%. Dies ist
nicht nur als eine generelle Zustimmung zu der Politik des
`Ministerpräsidenten` zu werten, sondern zeigt ` wie schon die
enorme Zu-stimmung von 65% des Referendums vom 24. April 2004 über
den UN-Plan zur Wie-dervereinigung Zyperns ` den Wunsch der
türkischen Zyprioten, der EU beizutreten.
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Politischer Bericht/KAS/Türkei/04/05
Dieses Begehren weià Talat als versierter Diplomat und
Realpolitiker, auf dem interna-tionalen Parkett mit Nachdruck zu
vertreten. Dabei macht er sich von den nationalisti-schen Vorbehalten
seiner Amtsvorgänger frei und strebt eine multilaterale
Lösung im Rahmen der EU und UN auf internationaler Ebene an.
Jedoch konnte Talat nur 24 der 50 Parlamentsmandate gewinnen und verpasste
somit knapp die absolute Mehrheit. Eine Fortführung der Koalition
mit der Demokratischen Partei, die 13% erreichte und damit sechs Sitze
bekam, scheint aber gesichert.
Damit könnte jedoch eine Umsetzung des von Talat favorisierten
Annan-Plans zur Ver-einigung Zyperns gefährdet sein, denn Serdar
Denktaþ ist ` wie sein Vater der amtie-rende
`Staatspräsident` der TRNC Rauf Denktaþ ` kaum bereit,
Konzessionen zur Wie-dervereinigung an die griechischen Zyprioten zu
machen. Vielmehr wollen beide auch weiterhin eine internationale und
völkerrechtliche Anerkennung der Türkischen Repu-blik
Nordzypern durchsetzen.
Die internationale Bedeutung der Wahl ist deshalb groÃ. So
begrüÃte die Europäische Kommission das Ergebnis der
Wahl und wertete den Sieg Talats als ein Zeichen der Bereitschaft
Nordzyperns, im Rahmen der Vereinten Nationen den Annan-Plan
umzu-setzen. Bereits vor der Wahl wurde Talat durch den Präsidenten
der Europäischen Kommission Jose Manuel Barroso und auch von der
amerikanischen Regierung öffent-lich unterstützt.
In Ankara wurde der Wahlsieg Talats als ein Erfolg der
pro-europäischen Kräfte gewer-tet. Eine Niederlage Talats
und seiner Partei hätte eventuell als eine Schwäche des
Einflusses der Türkei auf Zypern gedeutet werden
können. Doch nun scheint der Ball in der politischen
Spielhälfte der griechischen Zyprioten gelandet zu
sein. Während diese weiterhin den Annan-Plan und somit einen
Beitritt des Nordens in die EU ablehnen und im Europäischen Rat
diesbezüglich eine Blockadehaltung einnehmen, werden die Stim-men
in der EU lauter, die politische Isolation Nordzyperns und das damit
verbundene Embargo aufzuheben oder zumindest zu lockern. Die
Europäische Kommission bekräf-tigte, das schon nach dem
Referendum im April 2004 versprochene Finanzpaket von rund 259 Mio. Euro
umzusetzen. Damit würde die EU auch auf die Forderungen der
türkischen Regierung eingehen und ihren guten Willen gerade zu
Beginn der Beitritts-verhandlungen bekunden.
Die türkische Regierung ist weiterhin bereit an den
Verhandlungstisch zurückzukehren. Dabei ist sich die Regierung in
Ankara durchaus bewusst, dass ein EU-Beitritt der Tür-kei nicht
ohne eine vorherige Lösung der Zypernfrage möglich sein
wird. Doch strebt Ankara keine bilaterale Lösung an, sondern
möchte im Rahmen der EU und der UN die Zypernfrage klären
und dadurch internationales Einvernehmen erreichen. Dabei wird auch zu
diskutieren sein, welche Rolle das türkische Militär
zukünftig in Zypern spielen wird. Heute sind laut Presseberichten
noch etwa 40 000 türkische Soldaten in Nordzy-pern stationiert.
Die Zukunft eines EU-Beitritts der Türkei ist daher auch mit den
Entwicklungen auf Zy-pern verbunden. Es bleibt abzuwarten, wie sich die
Gespräche der beiden Bevölke-rungsgruppen entwickeln und
welche Auswirkungen sie auf das Verhältnis der Türkei zur EU
haben werden. Die nächste wichtige Entscheidung auf Zypern steht
schon bald
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Politischer Bericht/KAS/Türkei/04/05 an:
die Wahl des `Staatspräsidenten`. Talat kandidiert und sollte er in
der Tat Rauf Denktaþ ablösen, könnte dies
mittelfristig zu einer Lösung der Zypernfrage führen.
Denktaþ will nicht wieder für das Amt des
`Staatspräsidenten` kandidieren. Damit würde einer der
hartnäckigsten Gegner eines Wiedervereinigungsplans die politische
Bühne verlassen. Er hat in einem ausführlichen
Zeitungsinterview die Gründe, weshalb er im April 2005 nicht zur
Wiederwahl als Staatspräsident zur Verfügung, stehe
genannt. Er hätte demnach bisher mit jeder türkischen
Regierung harmonisch zusammenarbeiten können. Mit der AKP habe er
jedoch nach deren Unterstützung für den Annan-Plan
er-hebliche Meinungsverschiedenheiten gehabt. Zudem kritisierte er auch
die türkischen Medien, die die Zypernfrage mit einer Zensur belegt
hätten. Damit glaubten diese wohl, den Weg der Türkei nach
Europa zu ebnen. Gerade das Gegenteil sei jedoch eingetre-ten. Die EU
konnte nur deshalb Druck auf die Türkei ausüben, weil die
türkische Regie-rung die Sensibilitäten des
nordzypriotischen Volkes nicht verstanden habe.
Die Weichen für eine Lösung der Zypernfrage scheinen auf der
nordzypriotischen und türkischen Seite gestellt. Nun hängt
vieles von dem Verhalten der griechischen Zyprio-ten ab.
Info-Mail
Aktueller Stand der Sitzverteilung in der GroÃen türkischen
Nationalversammlung (Stand 25. März 2005): AKP 361 Sitze, CHP 168
Sitze, Unabhängige 9 Sitze, DYP 6 Sitze, ANAP 4 Sitze, HYP 1
Sitz. +++ Das Buch Hitlers `Mein Kampf`, dessen Druck und Verkauf in der
Türkei nicht verboten ist, wird auf allen Bestsellerlisten in der
Türkei ganz oben geführt. Mittlerweile sollen 13
verschiedene Verlagshäuser das Buch auf den Markt gebracht
ha-ben. In den letzten Monaten sollen nach Aussagen von Verlegern 100.000
Exemplare von `Mein Kampf` landesweit abgesetzt worden sein. Dies ist eine
unglaublich hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass Romane des erfolgreichsten
zeitgenössischen türkischen Schriftstellers Orhan Pamuk in
der Erstauflage meist nur in 50.000 Exemplaren gedruckt werden. Politische
Beobachter glauben in der Ursachenforschung als erstes den Buch-preis
dafür verantwortlich zumachen. Er liegt mit ca. drei Euro weit
unter dem normalen Preis für Bücher in der Türkei.
Dahinter vermuten einige tiefer gehende Ursachen. Als Re-aktion auf die
ständigen Zugeständnisse der Regierung an die EU sei ein
gewisser Unmut und Ruck nach Rechts auszumachen, der die Menschen zur
Lektüre dieses Buches trei-be. So sollen insbesondere
Türken mit guter Ausbildung, die ein Gefühl des
Hintergan-genseins verspürten, unter den Lesern sein. +++ Der
šGrüne Mond' und der `Verein zum Kampf gegen Tabakkonsum` haben
gemeinsam auf einer Pressekonferenz Angaben zum Tabakkonsum in der
Türkei gemacht. Demnach seien in der Türkei im Jahre 2004
rund 5,5 Mrd. Zigarettenpackungen verkauft worden, was 8,3 Mrd. US-Dollar
entspreche. Nach Aussagen beider NRO würden 20-25 Millionen
Türken rauchen, 60% der Männer und 20% der Frauen. 13% der
Kinder zwischen 7-13 Jahren würden dies ebenfalls tun. Im Jahr
2004 seien an den Folgen des Tabakkonsums 110.000 Türken
verstorben und der volkswirtschaftliche Gesamtschaden belaufe sich auf
insgesamt 20 Mrd. US-Dollar. +++
Ausländer, die in der Türkei arbeiten wollen, sen ihren
Antrag auf Arbeitserlaubnis seit Oktober 2003 beim türkischen
Ministerium für Arbeit und Soziale Sicherheit stellen. Bisher
gingen beim Ministerium 15.825 Anträge ein, von denen 2.470
abgelehnt wurden. Mehr als 300 Anträge seien auf Grund von
Sicherheitsbedenken nicht genehmigt worden, wobei nach Presseberichten
der Verdacht auf Missionarstätigkeit der Grund dafür
gewesen sein
6
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Politischer Bericht/KAS/Türkei/04/05 7 soll.
+++ Die Lufthansa konnte ihren Umsatz mit Flügen aus und in die
Türkei im Jahre 2004 auf 45 Mio. Euro erhöhen. Im
vergangenen Jahr habe die Lufthansa 640.000 Flug-gäste aus und in
die Türkei geflogen. +++ Zur Vorbereitung der am 03. Oktober 2005
be-ginnenden EU-Beitrittsverhandlungen hat das türkische
Landwirtschaftsministerium den ehemaligen stellv. polnischen
Landwirtschaftsminister Jerzy Plewa, der auch Polens
Ver-handlungsführer im Agrarsektor war, wiederholt in die
Türkei eingeladen. Der türkische Agrarminister Sami
Güçlü hat in einer Pressekonferenz der Landwirtschaft
der Türkei und Polens sehr ähnliche Strukturen und Probleme
attestiert. Die Türkei wolle von Plewas Er-fahrungen lernen und
denke eine ähnliche Strategie wie Polen bei den EU-Verhandlungen zu
verfolgen. +++ Nach Aussagen der Untersuchungskommission für
Finanzverbrechen (MASAK) des türkischen Finanzministeriums sei der
Kampf gegen die Geldwäsche in der Türkei nach wie vor sehr
problematisch. Zum
einen fehle es noch immer an der notwendi-gen Infrastruktur und auch an
den gesetzlichen Rahmenbedingungen. Zudem gebe es zwischen verschiedenen
Einheiten des Finanzministeriums ein Kompetenzgerangel. Fer-ner
würden von Banken und Finanzinstitutionen nur sehr wenige
verdächtige Finanztrans-fers mitgeteilt. Im Jahr 2004 sei die
Behörde nur über 283 Vorfälle informiert
worden. Die-se Zahl müsste jährlich zwischen 3.000 und
5.000 liegen, zumal in westeuropäischen Staaten jährlich
stellenweise bis zu 20.000 Vorfälle den zuständigen
Behörden gemeldet würden, so ein Sprecher. +++ Das
türkische Justizministerium hat Statistiken zu Strafde-likten
vorgelegt. Demnach sind von 67 Millionen türkischen
Staatsbürgern acht Millionen, also ca. 11.7%, vorbestraft. Mit
Datum vom 31. Oktober 2004 säÃen in allen 444
türki-schen Straf- und Besserungsanstalten insgesamt 67.633
Häftlinge ein. Das Ministerium bemängelte auch, dass bei
den Strafvollzuganstalten ausgebildetes Personal
wie Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter fehlten und
etwa 2.500 Planstellen unbesetzt seien. Pro Jahr wachse zudem die Zahl
der Häftlinge um durchschnittlich 5.000, weshalb die
Kapazi-täten erhöht werden müssten. +++ Eine Umfrage
von Eurobarometer ergab, dass die Mehrheit der Türken ein
positives Bild von der EU hat. Während über 60% einen
EU-Beitritt befürworten, lehnen diesen nur 12% ab. Von einem
Beitritt erhoffen sich die meis-ten Türken sowohl einen Aufschwung
der Wirtschaft als auch Arbeits- und Reisefreiheit innerhalb der
EU. Jedoch fühlen sich lediglich 25% der Türken gut
über die EU informiert, während 73% angeben, sie haben kein
oder nur ein geringes Wissen über die EU. +++
Ankara, den 24. März 2005 Frank Spengler/ Dirk Tröndle
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¢ Kontroverse Diskussionen über die `Armenier-Frage`
¢ Mutterlandspartei (ANAP) wieder im Parlament vertreten
¢ Wahl in Nordzypern und EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei
¢ Info-Mail
Kontroverse Diskussionen über die `Armenier-Frage`
Unabhängig von dem Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: `Gedenken
anlässlich des 90. Jahrestages des Auftaktes zu Vertreibungen an
den Armeniern am 24. April 1915 ` Deutschland muss zur Versöhnung
zwischen Türken und Armeniern beitragen` ist die Bedeutung dieses
Jahrestages auch in der Türkei im Bewusstsein der Men-schen. Seit
Wochen wird eine kontroverse Diskussion, insbesondere in den
türkischen Medien, über dieses Thema geführt.
Historiker und mittlerweile auch Politiker äuÃern sich dazu
und haben eine bemerkens-werte Kontroverse angefacht. Der Vorwurf des
sog. `Genozids` an den Armeniern, be-ginnend im Jahre 1915, wird zwar von
allen Seiten kategorisch abgelehnt, aber es meh-ren sich auch Stimmen, die
zumindest viele Vorkommnisse nicht in Abrede stellen. Die-se Kreise
beklagen ferner die Haltung vieler Türken, die sich einer
Anerkennung jegli-cher Untaten in der damaligen Zeit prinzipiell
verweigern.
Nach dem sich der bekannte türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk -
der in einer engli-schen Tageszeitung einen `Genozid` an den Armeniern
konstatierte, der bis zu einer Millionen Armenier das Leben gekostet haben
solle ` offen dazu äuÃerte, meldete sich auch der bekannte
Soziologe und Historiker Prof. Halil Berktay von der
Sabanci-Universität zu Wort. Seiner Ansicht nach sei der Befehl des
Triumvirats um Enver-Pascha, Talat-Pascha und Cemal-Pascha zur Umsiedlung
der Armenier nicht nur auf
Tel: (0090) 3124404080 Fax: (0090)-3124403248 E-Mail: [email protected]
Internet: www.kas.de
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den Osten des Osmanischen Restsreichs begrenzt gewesen, sondern habe im
gesam-ten Reichsgebiet gegolten. Das `Umsiedlungsgesetz` von damals
beinhalte seiner An-sicht nach deutlich einen Charakter der `ethnischen
Säuberung`. Berktay wies ferner daraufhin, dass die
Türkische Republik zwar nicht für diese Vorkommisse
verantwort-lich zu machen sei, ein führender Politiker wie der
Ministerpräsident oder der AuÃenmi-nister aber seine Sorge
und Trauer aufgrund der Vorkommnisse äuÃern solle. Alles
andere läge dann aber bei den Historikern und den nachfolgenden
Generationen.
Diese Aussagen, insbesondere die Bezeichnung `Ethnische Säuberung`
stieà auf hefti-ge Kritik der `Türkischen Gesellschaft
für Geschichte` (Türk Tarih Kurumu). Der Vorsit-zende dieser
staatlichen Institution, Prof. Dr. Yusuf Halaçoðlu, wies
diesen Vorwurf ent-schieden zurück. Seiner Meinung nach beweise das
Gesetz vom 18. Dezember 1918 - mit dem die Rückkehr der
deportierten Armenier in die Türkei geregelt worden sei ` viel mehr
genau das Gegenteil. Von den ca. eine Million in Anatolien lebenden
Armeniern vor dem 1. Weltkrieg, hätten 644.900 Menschen dieses
Angebot angenommen und seien nach Anatolien zurückgekehrt. Alle
üblicherweise verwendeten Zahlen über die Todesopfer seien
historisch gar nicht zu beweisen. Nach eigenen Berechnungen wären
durch Krankheiten ca. 100.000 Armenier ums Leben gekommen. Zudem habe das
`Umsiedlungsgesetz` die katholischen und protestantischen Armenier nicht
betroffen, so Halaçoðlu weiter. Dieser Diskurs zeigt, dass
mittlerweile eine offene Debatte unter türkischen Historikern
begonnen hat.
Im Rahmen dieser Diskussionen werden nun immer wieder neue Quellen und
Doku-mente vorgelegt. Eigentlich sollten sich in diesem Jahr
türkische und armenische Histo-riker in Wien treffen. Da die
armenische Seite jedoch ihre Unterlagen nicht eingereicht hatte, wurde
dieses Treffen abgesagt. Die türkische Seite habe annähernd
100 Doku-mente vorgelegt, so Halaçoðlu, die von der
armenischen Seite aber bisher nicht kom-mentiert wurden.
Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdoðan traf
sich zur Sondierung der Lage und der Absprach einer gemeinsame Strategie
zur Armenierfrage mit dem Oppositionsfüh-rer Deniz Baykal
(CHP). Beide einigten sich darauf, dass diese Problematik nicht poli-tisch
angegangen, sondern die Vorkommnisse sollen von Historikern aufgearbeitet
werden. Mittlerweile werden Aussagen von bekannten ausländischen
Wissenschaftlern, wie von dem US-Amerikaner Prof. Justin McCarthy,
präsentiert. Nach McCarthy habe es einen Bürgerkrieg
zwischen Armeniern und Türken gegeben und dabei seien
zah-lenmäÃig weit mehr Türken als christliche
Armenier zu Tode gekommen. McCarthy er-klärte ferner, dass das
`Blue Book' des Historikers Arnold J. Toynbee ` dieses Buch wird oft
als Quelle angeführt - ein reines Propagandamittel gewesen sei. Der
Autor selbst habe dies später auch eingestanden.
Viele Kommentatoren der türkischen Tageszeitungen greifen das Thema
auf. In allen seriösen Presseorganen ist der Tenor der
Berichterstattung eindeutig: Es gebe sehr wohl ein `Armenier-Problem`. Die
Vorkommnisse des Jahres 1915 hätten aber nicht den Charakter eines
Genozids, sondern es sei als Folge der bürgerkriegsähnlichen
Umstände zur Umsiedelung und Deportation von Armeniern gekommen. In
diesem Zu-sammenhang seien auch sehr viele muslimische Opfer unter
Türken und Kurden zu beklagen. Einige fordern von der Politik,
hinsichtlich des Themas endlich Stellung zu beziehen. Die türkische
Regierung besitze durchaus die demokratische Reife, dieses Problem zu
lösen. Darüber hinaus müsse die Türkei damit
aufhören, reflexartig andere
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Politischer Bericht/KAS/Türkei/04/05
Länder - wie z.B. Frankreich ` sofort eigener `dunkler Flecken` in
ihrer Geschichte zu beschuldigen, nur weil sie eine Resolution zur
`Armenier-Frage` verabschiedet haben. Der Kolumnist Ã'smet Berkan der
Tageszeitung šRadikal' ging sogar noch weiter: `Immer wenn solche
Fragen in der Türkei auftauchen, rettet man sich in die Phrasen,
das sol-len die Historiker aufarbeiten oder aber die andere Seite hat doch
auch unsere Leute getötet. Diese letzte Aussage ist mit der
Ã`berschrift: Politik der Leugnung zu betiteln. Der Versuch der
regierenden AKP und der Oppositionspartei CHP sowie die Anstren-gungen der
Türkischen Gesellschaft für Geschichte bedeuten nichts
anderes als diese Leugnung. Jedoch wissen wir alle, dass in jenen Jahren
Dinge geschehen sind und selbst nach 90 Jahren seit diesen Vorkommnissen,
können wir heute noch immer nicht offen darüber reden, was
damals genau geschah`.
Mutterlandspartei (ANAP) wieder im Parlament vertreten
Nach seinem überraschenden Rücktritt vor vier Wochen als
Tourismusminister der AKP wurde vielfach über die politische
Zukunft von Erkan Mumcu spekuliert. Genauso über-raschend wie sein
Rücktritt vor Monatsfrist kam nun der Eintritt Mumcus in die
Mutter-landspartei (ANAP). Diese Entwicklung hielten die wenigsten
politischen Beobachter für möglich. Es wurde vielmehr
angenommen, dass Mumcu die Führungs- und Integrati-onsfigur einer
neuen Mitte-Rechts Bewegung werden könnte.
Die Zersplitterung der türkischen Parteienlandschaft ist
insbesondere auf dem Mitte-Rechts-Flügel des türkischen
Parteienspektrums sehr ausgeprägt. Neben der `Neuen Mitte` AKP,
erheben die `Partei des Rechten Weges` (DYP), die ANAP und viele kleine-re
Parteien den Anspruch auf die konservative Mitte. Ã`ber ein
Zusammengehen der DYP und ANAP wurde in den vergangenen Jahren immer
wieder nachgedacht, jedoch scheiterte dies meist an dem Widerstand der
jeweiligen Parteivorsitzenden. Viele Mit-glieder beider Parteien haben
ihre politischen Wurzeln in der `Demokratischen Partei` von Adnan Menderes
und der Nachfolgepartei, der `Gerechtigkeitspartei` (DP) von
Sü-leyman Demirel.
Mumcu ist einer Partei beigetreten, die er vor fast drei Jahren
verlieÃ. Zuletzt war er stellv. ANAP-Parteivorsitzender und
Tourismusminister. Nach den nationalen Parla-mentswahlen vom November 2002
war die ANAP mit ca. 5% der Wählerstimmen deut-lich unter der
10%-Sperrklausel geblieben und zum ersten Mal seit ihrer Gründung
durch Turgut Ã-zal nach fast 20 Jahren nicht mehr im Parlament
vertreten. Die Mutter-landspartei wird Ende April 2005 einen Parteitag
durchführen. Politische Beobachter gehen davon aus, dass dann Erkan
Mumcu neuer ANAP-Vorsitzender wird.
Somit könnte er, ohne eine neue Partei gründen zu
müssen, auf die vorhandenen Strukturen der ANAP
zurückgreifen. Die Zulassung türkischer Parteien wird von
der `Hohen Wahlkommission` vor nationalen Wahlen im Detail
überprüft. So müssen die Parteien in mindestens der
Hälfte aller 81 türkischen Provinzen eine regionale
Organi-sation vorweisen. Der Neuaufbau einer landesweiten Parteistruktur
ist natürlich weit schwieriger und teurer, als vorhandene
Strukturen zu nutzen. Dies war vielleicht auch der Grund, warum Mumcu
wieder seiner šalten' Partei beitrat.
Seit seinem Parteiaustritt aus der AKP sind weitere fünf
AKP-Parlamentarier (Stand 24. März 2005) aus der AKP ausgetreten,
von denen drei zeitgleich mit Mumcu der ANAP
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Politischer Bericht/KAS/Türkei/04/05
beigetreten sind. Nach fast drei Jahren parlamentarischer Abstinenz ist
die ANAP nun wieder mit vier Abgeordneten in der GroÃen
Türkischen Nationalversammlung vertre-ten. Sie hat damit nach
geltendem Recht einen Anspruch auf einen nicht unerheblichen Betrag der
staatlichen Parteienfinanzierung. Für die ANAP, die in den letzten
Jahren erhebliche finanzielle Schwierigkeiten gehabt haben soll, bedeutet
dies ein willkomme-ner Geldsegen. Dies könnte für das
politische Ã`berleben der Partei kurzfristig wichtiger sein als die
wiedererlangte Präsenz im Parlament.
Hinter den Kulissen, so wird in den Medien spekuliert, hätten nach
den Parteiaustritten aus der regierenden AKP und der Oppositionspartei
CHP, die Parteigremien beider Parteien sich darüber geeinigt, in
naher Zukunft eine Änderdung des türkischen
Partei-engesetzes durchzusetzen. Demnach sollen künftig nur
Parteien mit 10 oder mehr Ab-geordneten in den Genuss der staatlichen
Parteinfinanzierung kommen. Ferner soll eine Kandidatur eines
Abgeordneten, der während einer Legislaturperiode die Partei
wechselt, für die erste nachfolgende nationale Wahl nicht mehr
möglich sein. Eine Re-form des türkischen Parteien- und
Wahlrechts ist zwar für viele politische Beobachter schon lange
dringend erforderlich. Gesetzesänderungen die nur auf den eigenen
Machterhalt abzielen, würden aber die innerparteiliche Demokratie
schwächen und die Politikverdrossenheit in der Türkei nur
verstärken.
Wahl in Nordzypern und EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei
Mit der Annahme des Annan-Plans zur Ã`berwindung der Teilung auf Zypern
im Rahmen des Referendums im nördlichen Teil der Insel, wurde
zunächst ein groÃes Hindernis der Türkei auf dem Weg
nach Europa aus dem Weg geräumt. Die europäischen Staats-
und Regierungschefs machten in ihrer Zustimmung für die
EU-Beitrittsverhandlungen am 17. Dezember 2004 aber auch klar, dass vor
Beginn der Verhandlungen im Oktober 2005 die Zollunion der Türkei
mit den neuen EU-Mitgliedsländern, d.h. auch mit der Republik
Zy-pern, unterschrieben sein muss. Die politische Entwicklung auf Zypern
hat daher auch für Ankara eine groÃe politische Bedeutung.
Mit dem Wahlsieg am 20. Februar 2005 des bisherigen
šMinisterpräsidenten' - der nur von der Türkei
völkerrechtlich anerkannten `Türkischen Republik Nordzypern`
(TRNC) - Mehmet Ali Talat und seiner europa-orientierten `Partei
Republikanischer Türken` (CTP) begann eine weitere Etappe auf dem
Weg zur Wiedervereinigung der seit 1974 geteilten Inselrepublik.
Die Wahlen auf der Mittelmeerinsel waren notwendig geworden, nachdem drei
Abge-ordnete die Koalition der CTP mit der `Demokratischen Partei` (DP)
Serdar Denktaþ' verlassen hatten. Die so entstandene
Minderheitsregierung war nicht mehr handlungs-fähig. Talat reichte
nach erfolglosen Koalitionsgesprächen mit anderen Parteien seinen
Rücktritt ein. Nun konnte sich Talat erneut in der Wahl gegen
seinen nationalistischen und anti-europäisch gesinnten Gegner
Derviþ Eroðlu der Partei der `Nationalen Einheit` (UBP)
erfolgreich durchsetzen. Während Talat 44% der Stimmen erreichte,
konnte die UBP nur 32% für sich erzielen. Das Ergebnis Talats
verbesserte sich damit im Ver-gleich zur letzten Wahl um 9%. Dies ist
nicht nur als eine generelle Zustimmung zu der Politik des
`Ministerpräsidenten` zu werten, sondern zeigt ` wie schon die
enorme Zu-stimmung von 65% des Referendums vom 24. April 2004 über
den UN-Plan zur Wie-dervereinigung Zyperns ` den Wunsch der
türkischen Zyprioten, der EU beizutreten.
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Politischer Bericht/KAS/Türkei/04/05
Dieses Begehren weià Talat als versierter Diplomat und
Realpolitiker, auf dem interna-tionalen Parkett mit Nachdruck zu
vertreten. Dabei macht er sich von den nationalisti-schen Vorbehalten
seiner Amtsvorgänger frei und strebt eine multilaterale
Lösung im Rahmen der EU und UN auf internationaler Ebene an.
Jedoch konnte Talat nur 24 der 50 Parlamentsmandate gewinnen und verpasste
somit knapp die absolute Mehrheit. Eine Fortführung der Koalition
mit der Demokratischen Partei, die 13% erreichte und damit sechs Sitze
bekam, scheint aber gesichert.
Damit könnte jedoch eine Umsetzung des von Talat favorisierten
Annan-Plans zur Ver-einigung Zyperns gefährdet sein, denn Serdar
Denktaþ ist ` wie sein Vater der amtie-rende
`Staatspräsident` der TRNC Rauf Denktaþ ` kaum bereit,
Konzessionen zur Wie-dervereinigung an die griechischen Zyprioten zu
machen. Vielmehr wollen beide auch weiterhin eine internationale und
völkerrechtliche Anerkennung der Türkischen Repu-blik
Nordzypern durchsetzen.
Die internationale Bedeutung der Wahl ist deshalb groÃ. So
begrüÃte die Europäische Kommission das Ergebnis der
Wahl und wertete den Sieg Talats als ein Zeichen der Bereitschaft
Nordzyperns, im Rahmen der Vereinten Nationen den Annan-Plan
umzu-setzen. Bereits vor der Wahl wurde Talat durch den Präsidenten
der Europäischen Kommission Jose Manuel Barroso und auch von der
amerikanischen Regierung öffent-lich unterstützt.
In Ankara wurde der Wahlsieg Talats als ein Erfolg der
pro-europäischen Kräfte gewer-tet. Eine Niederlage Talats
und seiner Partei hätte eventuell als eine Schwäche des
Einflusses der Türkei auf Zypern gedeutet werden
können. Doch nun scheint der Ball in der politischen
Spielhälfte der griechischen Zyprioten gelandet zu
sein. Während diese weiterhin den Annan-Plan und somit einen
Beitritt des Nordens in die EU ablehnen und im Europäischen Rat
diesbezüglich eine Blockadehaltung einnehmen, werden die Stim-men
in der EU lauter, die politische Isolation Nordzyperns und das damit
verbundene Embargo aufzuheben oder zumindest zu lockern. Die
Europäische Kommission bekräf-tigte, das schon nach dem
Referendum im April 2004 versprochene Finanzpaket von rund 259 Mio. Euro
umzusetzen. Damit würde die EU auch auf die Forderungen der
türkischen Regierung eingehen und ihren guten Willen gerade zu
Beginn der Beitritts-verhandlungen bekunden.
Die türkische Regierung ist weiterhin bereit an den
Verhandlungstisch zurückzukehren. Dabei ist sich die Regierung in
Ankara durchaus bewusst, dass ein EU-Beitritt der Tür-kei nicht
ohne eine vorherige Lösung der Zypernfrage möglich sein
wird. Doch strebt Ankara keine bilaterale Lösung an, sondern
möchte im Rahmen der EU und der UN die Zypernfrage klären
und dadurch internationales Einvernehmen erreichen. Dabei wird auch zu
diskutieren sein, welche Rolle das türkische Militär
zukünftig in Zypern spielen wird. Heute sind laut Presseberichten
noch etwa 40 000 türkische Soldaten in Nordzy-pern stationiert.
Die Zukunft eines EU-Beitritts der Türkei ist daher auch mit den
Entwicklungen auf Zy-pern verbunden. Es bleibt abzuwarten, wie sich die
Gespräche der beiden Bevölke-rungsgruppen entwickeln und
welche Auswirkungen sie auf das Verhältnis der Türkei zur EU
haben werden. Die nächste wichtige Entscheidung auf Zypern steht
schon bald
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Politischer Bericht/KAS/Türkei/04/05 an:
die Wahl des `Staatspräsidenten`. Talat kandidiert und sollte er in
der Tat Rauf Denktaþ ablösen, könnte dies
mittelfristig zu einer Lösung der Zypernfrage führen.
Denktaþ will nicht wieder für das Amt des
`Staatspräsidenten` kandidieren. Damit würde einer der
hartnäckigsten Gegner eines Wiedervereinigungsplans die politische
Bühne verlassen. Er hat in einem ausführlichen
Zeitungsinterview die Gründe, weshalb er im April 2005 nicht zur
Wiederwahl als Staatspräsident zur Verfügung, stehe
genannt. Er hätte demnach bisher mit jeder türkischen
Regierung harmonisch zusammenarbeiten können. Mit der AKP habe er
jedoch nach deren Unterstützung für den Annan-Plan
er-hebliche Meinungsverschiedenheiten gehabt. Zudem kritisierte er auch
die türkischen Medien, die die Zypernfrage mit einer Zensur belegt
hätten. Damit glaubten diese wohl, den Weg der Türkei nach
Europa zu ebnen. Gerade das Gegenteil sei jedoch eingetre-ten. Die EU
konnte nur deshalb Druck auf die Türkei ausüben, weil die
türkische Regie-rung die Sensibilitäten des
nordzypriotischen Volkes nicht verstanden habe.
Die Weichen für eine Lösung der Zypernfrage scheinen auf der
nordzypriotischen und türkischen Seite gestellt. Nun hängt
vieles von dem Verhalten der griechischen Zyprio-ten ab.
Info-Mail
Aktueller Stand der Sitzverteilung in der GroÃen türkischen
Nationalversammlung (Stand 25. März 2005): AKP 361 Sitze, CHP 168
Sitze, Unabhängige 9 Sitze, DYP 6 Sitze, ANAP 4 Sitze, HYP 1
Sitz. +++ Das Buch Hitlers `Mein Kampf`, dessen Druck und Verkauf in der
Türkei nicht verboten ist, wird auf allen Bestsellerlisten in der
Türkei ganz oben geführt. Mittlerweile sollen 13
verschiedene Verlagshäuser das Buch auf den Markt gebracht
ha-ben. In den letzten Monaten sollen nach Aussagen von Verlegern 100.000
Exemplare von `Mein Kampf` landesweit abgesetzt worden sein. Dies ist eine
unglaublich hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass Romane des erfolgreichsten
zeitgenössischen türkischen Schriftstellers Orhan Pamuk in
der Erstauflage meist nur in 50.000 Exemplaren gedruckt werden. Politische
Beobachter glauben in der Ursachenforschung als erstes den Buch-preis
dafür verantwortlich zumachen. Er liegt mit ca. drei Euro weit
unter dem normalen Preis für Bücher in der Türkei.
Dahinter vermuten einige tiefer gehende Ursachen. Als Re-aktion auf die
ständigen Zugeständnisse der Regierung an die EU sei ein
gewisser Unmut und Ruck nach Rechts auszumachen, der die Menschen zur
Lektüre dieses Buches trei-be. So sollen insbesondere
Türken mit guter Ausbildung, die ein Gefühl des
Hintergan-genseins verspürten, unter den Lesern sein. +++ Der
šGrüne Mond' und der `Verein zum Kampf gegen Tabakkonsum` haben
gemeinsam auf einer Pressekonferenz Angaben zum Tabakkonsum in der
Türkei gemacht. Demnach seien in der Türkei im Jahre 2004
rund 5,5 Mrd. Zigarettenpackungen verkauft worden, was 8,3 Mrd. US-Dollar
entspreche. Nach Aussagen beider NRO würden 20-25 Millionen
Türken rauchen, 60% der Männer und 20% der Frauen. 13% der
Kinder zwischen 7-13 Jahren würden dies ebenfalls tun. Im Jahr
2004 seien an den Folgen des Tabakkonsums 110.000 Türken
verstorben und der volkswirtschaftliche Gesamtschaden belaufe sich auf
insgesamt 20 Mrd. US-Dollar. +++
Ausländer, die in der Türkei arbeiten wollen, sen ihren
Antrag auf Arbeitserlaubnis seit Oktober 2003 beim türkischen
Ministerium für Arbeit und Soziale Sicherheit stellen. Bisher
gingen beim Ministerium 15.825 Anträge ein, von denen 2.470
abgelehnt wurden. Mehr als 300 Anträge seien auf Grund von
Sicherheitsbedenken nicht genehmigt worden, wobei nach Presseberichten
der Verdacht auf Missionarstätigkeit der Grund dafür
gewesen sein
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Politischer Bericht/KAS/Türkei/04/05 7 soll.
+++ Die Lufthansa konnte ihren Umsatz mit Flügen aus und in die
Türkei im Jahre 2004 auf 45 Mio. Euro erhöhen. Im
vergangenen Jahr habe die Lufthansa 640.000 Flug-gäste aus und in
die Türkei geflogen. +++ Zur Vorbereitung der am 03. Oktober 2005
be-ginnenden EU-Beitrittsverhandlungen hat das türkische
Landwirtschaftsministerium den ehemaligen stellv. polnischen
Landwirtschaftsminister Jerzy Plewa, der auch Polens
Ver-handlungsführer im Agrarsektor war, wiederholt in die
Türkei eingeladen. Der türkische Agrarminister Sami
Güçlü hat in einer Pressekonferenz der Landwirtschaft
der Türkei und Polens sehr ähnliche Strukturen und Probleme
attestiert. Die Türkei wolle von Plewas Er-fahrungen lernen und
denke eine ähnliche Strategie wie Polen bei den EU-Verhandlungen zu
verfolgen. +++ Nach Aussagen der Untersuchungskommission für
Finanzverbrechen (MASAK) des türkischen Finanzministeriums sei der
Kampf gegen die Geldwäsche in der Türkei nach wie vor sehr
problematisch. Zum
einen fehle es noch immer an der notwendi-gen Infrastruktur und auch an
den gesetzlichen Rahmenbedingungen. Zudem gebe es zwischen verschiedenen
Einheiten des Finanzministeriums ein Kompetenzgerangel. Fer-ner
würden von Banken und Finanzinstitutionen nur sehr wenige
verdächtige Finanztrans-fers mitgeteilt. Im Jahr 2004 sei die
Behörde nur über 283 Vorfälle informiert
worden. Die-se Zahl müsste jährlich zwischen 3.000 und
5.000 liegen, zumal in westeuropäischen Staaten jährlich
stellenweise bis zu 20.000 Vorfälle den zuständigen
Behörden gemeldet würden, so ein Sprecher. +++ Das
türkische Justizministerium hat Statistiken zu Strafde-likten
vorgelegt. Demnach sind von 67 Millionen türkischen
Staatsbürgern acht Millionen, also ca. 11.7%, vorbestraft. Mit
Datum vom 31. Oktober 2004 säÃen in allen 444
türki-schen Straf- und Besserungsanstalten insgesamt 67.633
Häftlinge ein. Das Ministerium bemängelte auch, dass bei
den Strafvollzuganstalten ausgebildetes Personal
wie Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter fehlten und
etwa 2.500 Planstellen unbesetzt seien. Pro Jahr wachse zudem die Zahl
der Häftlinge um durchschnittlich 5.000, weshalb die
Kapazi-täten erhöht werden müssten. +++ Eine Umfrage
von Eurobarometer ergab, dass die Mehrheit der Türken ein
positives Bild von der EU hat. Während über 60% einen
EU-Beitritt befürworten, lehnen diesen nur 12% ab. Von einem
Beitritt erhoffen sich die meis-ten Türken sowohl einen Aufschwung
der Wirtschaft als auch Arbeits- und Reisefreiheit innerhalb der
EU. Jedoch fühlen sich lediglich 25% der Türken gut
über die EU informiert, während 73% angeben, sie haben kein
oder nur ein geringes Wissen über die EU. +++
Ankara, den 24. März 2005 Frank Spengler/ Dirk Tröndle