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"Turken und Armenier mussen die Herzen Offnen"; Aznavour Interview

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  • "Turken und Armenier mussen die Herzen Offnen"; Aznavour Interview

    Stuttgarter Nachrichten
    09. Mai 2005

    "Türken und Armenier müssen die Herzen öffnen";
    Interview mit dem Sänger Charles Aznavour

    Istanbul - Shahnour Varenagh Aznavourian alias Charles Aznavour 90
    Jahre nach dem Völkermord an den Armeniern


    ist 1924 als Sohn armenischer Eltern in Paris geboren worden. Der
    Sänger und Schauspieler gehört zu den wichtigsten Stimmen der
    armenischen Diaspora.

    90 Jahre nach dem Völkermord an den Armeniern

    ist er optimistisch, dass die Versöhnung zwischen Türken und
    Armeniern gelingt.

    Herr Aznavour, Bob Dylan, dessen armenische Vorfahren ebenfalls aus
    der Türkei geflüchtet sind, hat gesagt, dass "In a Turkish Town" von
    Richie Valens das Lieblingslied seiner Jugend war. Was bedeutet Ihnen
    die "türkische Stadt"?

    Meine Mutter ist in Izmit geboren. Istanbul war eine Legende, eine
    wunderbare Stadt. Ich war zweimal dort. Das erste Mal habe ich dort
    gesungen, das zweite Mal habe ich einen türkischen Freund besucht.

    Wann haben Sie Ihr Konzert in Istanbul gegeben?

    Das war Anfang der 50er Jahre. Ich war nicht so bekannt. Ich habe in
    einem Kabarett gesungen und war glücklich, in Istanbul zu sein. Ich
    bedaure, später nicht mehr die Stadt der Legenden besucht zu haben.

    Sie haben das Gedicht "Lettre à un ami turc" (Brief an einen
    türkischen Freund) geschrieben. An wen ist dieser Brief gerichtet?

    Ich habe ihn für das ganze türkische Volk geschrieben. Der "türkische
    Freund", das ist die ganze Türkei.

    In diesem Gedicht sagen Sie: "Wenn Du ihn herauszögest/den Stachel in
    meinem Herzen/dann verschwände auch der andere/den Du in Deinem Fuß
    hast/und wir wären, Du und ich/befreit/und Brüder . . ."

    Seit meiner Kindheit denke ich so. Ich habe eine besondere, geteilte
    Kindheit erlebt. Ich habe zwischen meiner Mutter und meinem Vater
    gelebt. Meine Mutter hat ihre ganze Familie verloren. Mein Vater hat
    nie in der Türkei gelebt. Er hat meine Mutter auf einer Reise in
    Istanbul kennen gelernt. Ich gehöre so zu zwei Arten von Armeniern.
    Ich kann daher alles besser verstehen als andere.

    Was muss getan werden, um diesen Stachel herauszuholen?

    Die vernünftigen Menschen beider Seiten müssen zusammenkommen. Die
    Türkei will der EU beitreten. Wenn in Frankreich (wie Präsident
    Chirac angekündigt hat, d. Red.) darüber abgestimmt wird, dann haben
    auch die 400 000 armenischen Franzosen dazu etwas zu sagen.
    Vielleicht wird mindestens die Hälfte Ja sagen, weil sie das Land
    ihrer Großeltern besuchen und kennen lernen will. Ich glaube, die
    Armenier in Frankreich sind für die Türkei ein großer Trumpf. Auch
    ich bin ein großer Trumpf für die Türkei. Denn ich bin die wichtigste
    armenische Stimme in der Welt. Beide Seiten müssen ihre Haltung
    ändern. Wir müssen die Grenze zwischen der Türkei und Armenien
    öffnen. Und wir müssen auch unsere Herzen öffnen.

    Sind Sie 90 Jahre nach dem Völkermord wieder optimistisch?

    Ich war immer optimistisch. Eines Tages wird der Völkermord anerkannt
    sein. Und an diesem Tag werden wir ein großes Fest organisieren, nur
    ein Fest, auch in der Türkei.

    Das Leben mit diesem Stachel ist nicht leicht, wie es in Ihrem
    Gedicht heißt . . .

    Ich habe bewusst von einer Rose geschrieben. Die Rose ist für die
    Türken und die Armenier eine mythische Blume. Wer sind die Türken?
    Sie sind eine wunderbare Mischung. Sie sind aus vielen anderen
    Völkern entstanden, so wie wir, die Armenier in Frankreich, immer
    französischer werden.

    Was hat Ihre Mutter über die Türkei und die Türken erzählt, als Sie
    klein waren?

    Nichts. In unserem Haus wurde nicht viel über den Völkermord
    gesprochen. Mein Vater hatte nicht dort gelebt. Meine Mutter sagte
    nichts, aber manchmal weinte sie allein in einem Zimmer. Es gibt
    keine schlechten Völker. Nur einige schlechte Menschen und Politiker.
    Welches Land hat keinen Völkermord begangen? Alle Nationen haben die
    gleiche Schuld. Zum Beispiel die Franzosen: Sie haben einen
    Völkermord in Algerien begangen. Heute hat die ganze Welt Blut an
    ihren Händen. Das Wichtigste ist, solche Schuld zu akzeptieren.

    Der Völkermord ist in der Zeit des Osmanischen Reichs organisiert
    worden. Einige Jahre später, 1923, wurde die moderne Türkei
    gegründet. Wurde damals eine Chance zur Versöhnung vertan?

    1926 wurden Verantwortliche des Völkermords von einem Gericht in der
    Türkei verurteilt. Das heißt, Atatürk (der Gründer der Türkischen
    Republik, d. Red.) hat den Völkermord anerkannt. Die Armenier haben
    nichts gegen ihn, sondern gegen Sultan Abdülhamit (den osmanischen
    Sultan zur Zeit des Völkermords, d. Red.).

    Ihre Biografie wurde auch in der Türkei herausgegeben. Was bedeutet
    das für Sie?

    Ich bin glücklich. Denn meine Biografie ist in beide Sprachen,
    Türkisch und Armenisch, übersetzt worden. Ich wünsche mir, in
    Istanbul spazieren zu gehen, am Strand, in den Restaurants zu essen.
    Istanbul ist meine Quelle. Meine Quelle ist nicht Armenien. Aber für
    diese Reise will ich eine offizielle Einladung bekommen. Die
    Regierung in Ankara muss das entscheiden, da ich einen diplomatischen
    Pass Armeniens habe. Ich bin zum Filmfestival nach Istanbul
    eingeladen. Aber ich warte auf die staatliche Einladung. Diese
    Einladung wäre wunderbar für die Armenier in der Diaspora.

    Fragen von Serkan Seymen
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