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Turkischer Minister verhindert Konferenz zu Mord an Armeniern

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  • Turkischer Minister verhindert Konferenz zu Mord an Armeniern

    Süddeutsche Zeitung
    27. Mai 2005

    Dolchstoß gegen Demokratie;
    Türkischer Minister verhindert Konferenz zu Mord an Armeniern



    Selbst die Reporterin des Staatsradios TRT erfuhr die Blamage erst am
    Ort. Statt quirliger Konferenzatmosphäre fand sie gähnend leere
    Gänge. Bis zum heutigen Freitag wollten in Istanbul 60 türkische
    Akademiker auf zehn Podien drei Tage lang zeigen, dass es in ihrem
    Land zur Armenier-Frage Ansichten gibt, die von der offiziellen
    Staatslinie abweichen. Sie wollten herausfinden, "was die Welt weiß,
    wir aber nicht wissen". Aber die renommierte staatliche
    Bosporus-Universität hat die Premiere in letzter Minute auf ungewisse
    Zeit "verschoben". Vorausgegangen war ein beispielloser Auftritt von
    Justizminister Cemil Cicek im Parlament.

    Cicek, der auch Regierungssprecher ist sagte, manche meinten, in der
    Türkei "gebe es keine Freiheit. Doch es gibt die Freiheit, das Volk
    von hinten zu erdolchen und Lügen zu erzählen". Dies war auf die
    Konferenz-Macher von drei angesehenen Universitäten (Bosporus, Bilgi,
    Sabanci) gemünzt. "Verrat" und "Propaganda gegen die Nation" hielt
    Cicek ihnen vor. EU-Diplomaten in Ankara reagierten entsetzt. Einer
    meinte, "das war das Schlimmste, was ich in drei Jahren gehört habe".
    Der Literaturwissenschaftler Murat Belge, einer der
    Kongress-Initiatoren, sagte der Süddeutschen Zeitung: "Die Türkei
    muss sich entscheiden, ob sie die alte bleibt oder sich ändert.
    Leider zeigt dies die Kräfte der alten Türkei."

    Erst jüngst hatte Premier Tayyip Erdogan zugesagt, eine international
    besetzte Kommission werde die Massenmorde an den Armeniern 1915/16
    untersuchen - offenbar ein leeres Versprechen. Die türkische Empörung
    immerhin zeigt, dass sich Intellektuelle und Medien auch vom
    Justizminister nicht mehr den Mund verbieten lassen. Viele
    Professoren verurteilten den "Anschlag" auf die akademische Freiheit.
    "Es entsteht der Eindruck, dass die türkische politische Kultur ins
    Totalitäre abrutscht", warnte die Zeitung Sabah. "Die Türkei hat sich
    selbst in den Fuß geschossen", sagte Zaman-Kolumnist Sahin Alpay.
    "Null Toleranz für die Freiheit" titelte die liberale Radikal und
    verwies dazu auf eine aktuelle Entscheidung des Kassationsgerichts,
    das die linke Erziehungsgewerkschaft Egitim Sen schließen will, weil
    sie sich für Schulunterricht in Kurdisch ausspricht.

    Hrant Dink, ein prominenter türkischer Armenier, hatte zuvor
    öffentlich frohlockt, die Konferenz werde "ein unglaublicher Gewinn"
    sein, weil sie "der ganzen Welt zeigt, dass es bei uns freie
    Historiker gibt". Enttäuscht sagte Dink nun, "die Türkei ist nicht
    demokratisch genug, die armenische Frage zu diskutieren". Der
    türkische Tumult kommt zum unpassenden Zeitpunkt. Am Sonntag
    entscheidet Frankreich - wo es eine große armenische Diaspora gibt -
    über die EU-Verfassung, wobei Gegner argumentieren, ein Nein könne
    einen EU-Beitritt der Türkei aufhalten. Deutschland, bisher stärkster
    Befürworter der EU-Verankerung Ankaras, steht vor einer Neuwahl. Die
    favorisierten Unionsparteien wollen die Türkei nicht in der EU.

    Das gefällt Nationalisten in der Türkei. "Patrioten"-Vereine
    protestierten vor der Bosporus-Universität und forderten die
    endgültige Absage der geplatzten Konferenz. Mitorganisator Belge hat
    noch nicht aufgegeben. "Wir diskutieren, ob sie später stattfindet."
    Das könnte zu einer demokratischen Nagelprobe für Ankara werden.

    From: Emil Lazarian | Ararat NewsPress
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