Neue Zürcher Zeitung
31. August 2005
Leugnung des Armeniermords ist rassistisch
Entgegnung zum Charakter des türkischen Nationalismus
Von Rupen Boyadjian*
Georg Kreis, Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen
Rassismus, hat die Ansicht vertreten, die Leugnung des Genozids an
den Armeniern sei nicht rassistisch wie die Verneinung des Holocaust
(NZZ 11. 8. 05). In der folgenden Entgegnung wird der diffamierende
Charakter der Leugnung des Armeniermords hervorgehoben. Die
ideologische und faktische Diskriminierung sei zudem immer noch von
politischer Relevanz.
In einem Diskussionsbeitrag hat Georg Kreis festgehalten, die
Leugnung des Völkermords an den Armeniern sei nicht diffamierend wie
die Leugnung des Holocaust mit ihrer "stereotypen antisemitischen
Zuschreibung von Macht- und Geldgier und Ausbeutung anderer". Es gebe
keine Ideologie, welche über die Leugnung dieses Genozids genährt
würde, und ihre Beurteilung im Hinblick auf die Wiederholungsgefahr
sei nicht "derart wichtig". Der Präsident der Eidgenössischen
Kommission gegen Rassismus verkennt damit die Natur des Negationismus
in diesem Fall.
Armenierhass und Verschwörungstheorien
Georg Kreis räumt zwar ein, dass es für die Armenier beleidigend ist,
der Lüge bezichtigt zu werden, sieht aber keine Diffamierung. Der
suggerierte Unterschied ist hier irreführend. Wer sich mit dem
Armenier-Diskurs in der Türkei vertraut macht, sieht zudem, dass die
angeführten Stereotype auch auf Armenier angewandt werden. Die
Genozid-Leugnung ist, wie es Dominique Exquis und Marcel Niggli
formuliert haben, "der Versuch, das für den Völkermord
verantwortliche Regime und seine Täter weisszuwaschen, auf dass deren
verbrecherische Ideologie akzeptabler oder gar akzeptabel erscheine.
Im gleichen Zug werden die Opfer als Lügner qualifiziert. (. . .) Die
Leugnung bestärkt mithin jene, die die Opfer ohnehin ablehnen, und
wirbt für ihre Diskriminierung bei den anderen." Die Bemühungen um
die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern schürten nur den
"Hass unter den Türken", stand selbst in der Petition, mit der die
Koordinationsstelle der türkischen Verbände in der Schweiz die
Anerkennung dieses Verbrechens im Nationalrat verhindern wollte.
Dass die Armenier aufgrund der Leugnung des Völkermords in der Türkei
verhasst sind, zeigt sich schon darin, dass die umfassend staatlich
kontrollierten Medien immer wieder verbreitet haben, Armenier stünden
hinter der kurdischen PKK. In einer 1999 in Deutschland unter
türkischen Einwandererkindern durchgeführten Studie nannten 76
Prozent die Armenier ein unbeliebtes Volk. "Intrigieren wie ein
Armenier" oder "armenische Krankheit", als Umschreibung für Geiz,
waren bereits im Osmanischen Reich Redensarten, welche die Stereotype
verdeutlichen. Selbst dort tätige Ausländer übernahmen zuweilen
antiarmenisches Gedankengut. Fritz Bronsart von Schellendorf, der
deutsche Generalstabschef der osmanischen Armee im Ersten Weltkrieg,
schrieb etwa: "Der Armenier ist, wie der Jude, ausserhalb seiner
Heimat ein Parasit, der die Gesundheit eines anderen Landes, in dem
er sich niedergelassen hat, aufsaugt."
Durch staatliche Propaganda genährt, ist auch heute das Bild der
sinistre Pläne verfolgenden Armenier virulent, die mit dem von den
"Imperialisten" unterstützten "Völkermordvorwurf" einen geheimen Plan
zur Zerstörung der Türkei verfolgten. Das Erziehungsministerium
ordnete im April 2003 an, Wettbewerbe abzuhalten, in denen alle
türkischen Schüler, auch Angehörige der Minderheiten, schriftlich die
"Völkermordlüge" widerlegen müssen. Diese Massnahme sei rassistisch,
stellte die türkische Lehrergewerkschaft fest.
Ideologie und Wiederholungsgefahr
Der Teil der jüngtürkischen Partei, der sich 1913 gegen den
demokratisch-osmanistischen Flügel durchsetzte und eine diktatorische
Regierung bildete, war vom Türkismus ergriffen. Diese rassistische
Ideologie hat einen ethnisch homogenen türkischen Staat zum Ziel. Die
1923 gemäss Lausanner Friedensvertrag gegründete Republik Türkei
übernahm wesentliche Teile des jungtürkischen Programms wie auch des
Personals. "Die Türkei den Türken" prangt auf jeder Ausgabe der
Tageszeitung "Hürriyet". Massnahmen zur "Türkifizierung" ziehen eine
ununterbrochene Spur durch die Geschichte der Republik bis heute.
Bereits in den 1920er und 1930er Jahren kamen die Kurden ins Visier.
Zahlreiche Deportationen von nun vorwiegend muslimischen
Minderheitsgruppen dienten der Ideologie des ethnisch homogenen
Staates ebenso wie Vertreibungen von restlichen Christen in den
frühen Jahren der Republik (auf deren Gebiet waren vor dem Ersten
Weltkrieg 25 Prozent der Bevölkerung Christen gewesen; heute sind es
wenige Promille). Pogrome gegen die thrakischen Juden 1934 trugen
dazu bei, die 100"000 Angehörigen, welche die jüdische Gemeinde 1920
noch umfasste, auf gegenwärtig 15"000 bis 20"000 zu reduzieren. 1942
wurde eine fast ausschliesslich bei armenischen, griechischen und
jüdischen Minderheiten erhobene "Reichtumssteuer" eingeführt, welche
Tausende in Ruin und Emigration trieb. Selbst der für die Steuer
zuständige leitende Beamte, Faik Ökte, nannte diese Politik später
rassistisch.
Die offiziell propagierte Leugnung des Völkermords an den Armeniern
ist darauf angelegt, alles Armenische schlechtzumachen. Das
gesellschaftliche Umfeld, das so geschaffen wird, begünstigt verbale
und tätliche Angriffe. Steinwürfe auf armenische Kirchen,
Grabschändungen oder Aufrufe zum Boykott armenischer Geschäfte kommen
regelmässig vor. Die Täter werden ebenso regelmässig nicht ermittelt,
wobei sich die Behörden nicht nur in Zurückhaltung üben. Sie
betreiben diverse diskriminatorische Praktiken, die auf eine
Verhinderung von Gemeindeleben zielen. Das Verwaltungsgericht
Braunschweig lehnte deshalb die Rückführung zweier abgewiesener
armenischer Asylbewerber in die Türkei 1995 ab, denn es sah "die
erhöhte Gefahr erneuter pogromartiger Ausschreitungen gegen die
armenische Minderheit in der Türkei".
Im Osmanischen Reich waren die Armenier Bürger zweiter Klasse und
galten als minderwertig. Um ihnen in der absehbaren Demokratisierung
keine gleichen Rechte gewähren zu müssen, hat man sie umgebracht,
denn nur Türken sollten in einem auf "Türkentum" basierenden Staat
eine Rechtsgemeinschaft bilden. Die Leugnung des Völkermords
schliesst die Armenier heute weiterhin von rechtlich-ethischer
Verbundenheit aus. Der rassistische Kern dieser Minderberechtigung
hat sich nicht einfach aufgelöst, auch nach 90 Jahren nicht. Wäre der
Rassismus überwunden, dann gäbe es dieser Tage weder die
Genozid-Leugnung noch andere Diskriminierungen der Armenier.
*"Der Autor war Leiter der Arbeitsgruppe der Gesellschaft
Schweiz-Armenien im ersten Prozess wegen Leugnung des Völkermords an
den Armeniern und Mitherausgeber von "Enteignet - Vertrieben -
Ermordet. Beiträge zur Genozidforschung" (Chronos-Verlag 2004).
--Boundary_(ID_yOIfWprqiJZxZxlKH8lP1A)--
From: Emil Lazarian | Ararat NewsPress
31. August 2005
Leugnung des Armeniermords ist rassistisch
Entgegnung zum Charakter des türkischen Nationalismus
Von Rupen Boyadjian*
Georg Kreis, Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen
Rassismus, hat die Ansicht vertreten, die Leugnung des Genozids an
den Armeniern sei nicht rassistisch wie die Verneinung des Holocaust
(NZZ 11. 8. 05). In der folgenden Entgegnung wird der diffamierende
Charakter der Leugnung des Armeniermords hervorgehoben. Die
ideologische und faktische Diskriminierung sei zudem immer noch von
politischer Relevanz.
In einem Diskussionsbeitrag hat Georg Kreis festgehalten, die
Leugnung des Völkermords an den Armeniern sei nicht diffamierend wie
die Leugnung des Holocaust mit ihrer "stereotypen antisemitischen
Zuschreibung von Macht- und Geldgier und Ausbeutung anderer". Es gebe
keine Ideologie, welche über die Leugnung dieses Genozids genährt
würde, und ihre Beurteilung im Hinblick auf die Wiederholungsgefahr
sei nicht "derart wichtig". Der Präsident der Eidgenössischen
Kommission gegen Rassismus verkennt damit die Natur des Negationismus
in diesem Fall.
Armenierhass und Verschwörungstheorien
Georg Kreis räumt zwar ein, dass es für die Armenier beleidigend ist,
der Lüge bezichtigt zu werden, sieht aber keine Diffamierung. Der
suggerierte Unterschied ist hier irreführend. Wer sich mit dem
Armenier-Diskurs in der Türkei vertraut macht, sieht zudem, dass die
angeführten Stereotype auch auf Armenier angewandt werden. Die
Genozid-Leugnung ist, wie es Dominique Exquis und Marcel Niggli
formuliert haben, "der Versuch, das für den Völkermord
verantwortliche Regime und seine Täter weisszuwaschen, auf dass deren
verbrecherische Ideologie akzeptabler oder gar akzeptabel erscheine.
Im gleichen Zug werden die Opfer als Lügner qualifiziert. (. . .) Die
Leugnung bestärkt mithin jene, die die Opfer ohnehin ablehnen, und
wirbt für ihre Diskriminierung bei den anderen." Die Bemühungen um
die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern schürten nur den
"Hass unter den Türken", stand selbst in der Petition, mit der die
Koordinationsstelle der türkischen Verbände in der Schweiz die
Anerkennung dieses Verbrechens im Nationalrat verhindern wollte.
Dass die Armenier aufgrund der Leugnung des Völkermords in der Türkei
verhasst sind, zeigt sich schon darin, dass die umfassend staatlich
kontrollierten Medien immer wieder verbreitet haben, Armenier stünden
hinter der kurdischen PKK. In einer 1999 in Deutschland unter
türkischen Einwandererkindern durchgeführten Studie nannten 76
Prozent die Armenier ein unbeliebtes Volk. "Intrigieren wie ein
Armenier" oder "armenische Krankheit", als Umschreibung für Geiz,
waren bereits im Osmanischen Reich Redensarten, welche die Stereotype
verdeutlichen. Selbst dort tätige Ausländer übernahmen zuweilen
antiarmenisches Gedankengut. Fritz Bronsart von Schellendorf, der
deutsche Generalstabschef der osmanischen Armee im Ersten Weltkrieg,
schrieb etwa: "Der Armenier ist, wie der Jude, ausserhalb seiner
Heimat ein Parasit, der die Gesundheit eines anderen Landes, in dem
er sich niedergelassen hat, aufsaugt."
Durch staatliche Propaganda genährt, ist auch heute das Bild der
sinistre Pläne verfolgenden Armenier virulent, die mit dem von den
"Imperialisten" unterstützten "Völkermordvorwurf" einen geheimen Plan
zur Zerstörung der Türkei verfolgten. Das Erziehungsministerium
ordnete im April 2003 an, Wettbewerbe abzuhalten, in denen alle
türkischen Schüler, auch Angehörige der Minderheiten, schriftlich die
"Völkermordlüge" widerlegen müssen. Diese Massnahme sei rassistisch,
stellte die türkische Lehrergewerkschaft fest.
Ideologie und Wiederholungsgefahr
Der Teil der jüngtürkischen Partei, der sich 1913 gegen den
demokratisch-osmanistischen Flügel durchsetzte und eine diktatorische
Regierung bildete, war vom Türkismus ergriffen. Diese rassistische
Ideologie hat einen ethnisch homogenen türkischen Staat zum Ziel. Die
1923 gemäss Lausanner Friedensvertrag gegründete Republik Türkei
übernahm wesentliche Teile des jungtürkischen Programms wie auch des
Personals. "Die Türkei den Türken" prangt auf jeder Ausgabe der
Tageszeitung "Hürriyet". Massnahmen zur "Türkifizierung" ziehen eine
ununterbrochene Spur durch die Geschichte der Republik bis heute.
Bereits in den 1920er und 1930er Jahren kamen die Kurden ins Visier.
Zahlreiche Deportationen von nun vorwiegend muslimischen
Minderheitsgruppen dienten der Ideologie des ethnisch homogenen
Staates ebenso wie Vertreibungen von restlichen Christen in den
frühen Jahren der Republik (auf deren Gebiet waren vor dem Ersten
Weltkrieg 25 Prozent der Bevölkerung Christen gewesen; heute sind es
wenige Promille). Pogrome gegen die thrakischen Juden 1934 trugen
dazu bei, die 100"000 Angehörigen, welche die jüdische Gemeinde 1920
noch umfasste, auf gegenwärtig 15"000 bis 20"000 zu reduzieren. 1942
wurde eine fast ausschliesslich bei armenischen, griechischen und
jüdischen Minderheiten erhobene "Reichtumssteuer" eingeführt, welche
Tausende in Ruin und Emigration trieb. Selbst der für die Steuer
zuständige leitende Beamte, Faik Ökte, nannte diese Politik später
rassistisch.
Die offiziell propagierte Leugnung des Völkermords an den Armeniern
ist darauf angelegt, alles Armenische schlechtzumachen. Das
gesellschaftliche Umfeld, das so geschaffen wird, begünstigt verbale
und tätliche Angriffe. Steinwürfe auf armenische Kirchen,
Grabschändungen oder Aufrufe zum Boykott armenischer Geschäfte kommen
regelmässig vor. Die Täter werden ebenso regelmässig nicht ermittelt,
wobei sich die Behörden nicht nur in Zurückhaltung üben. Sie
betreiben diverse diskriminatorische Praktiken, die auf eine
Verhinderung von Gemeindeleben zielen. Das Verwaltungsgericht
Braunschweig lehnte deshalb die Rückführung zweier abgewiesener
armenischer Asylbewerber in die Türkei 1995 ab, denn es sah "die
erhöhte Gefahr erneuter pogromartiger Ausschreitungen gegen die
armenische Minderheit in der Türkei".
Im Osmanischen Reich waren die Armenier Bürger zweiter Klasse und
galten als minderwertig. Um ihnen in der absehbaren Demokratisierung
keine gleichen Rechte gewähren zu müssen, hat man sie umgebracht,
denn nur Türken sollten in einem auf "Türkentum" basierenden Staat
eine Rechtsgemeinschaft bilden. Die Leugnung des Völkermords
schliesst die Armenier heute weiterhin von rechtlich-ethischer
Verbundenheit aus. Der rassistische Kern dieser Minderberechtigung
hat sich nicht einfach aufgelöst, auch nach 90 Jahren nicht. Wäre der
Rassismus überwunden, dann gäbe es dieser Tage weder die
Genozid-Leugnung noch andere Diskriminierungen der Armenier.
*"Der Autor war Leiter der Arbeitsgruppe der Gesellschaft
Schweiz-Armenien im ersten Prozess wegen Leugnung des Völkermords an
den Armeniern und Mitherausgeber von "Enteignet - Vertrieben -
Ermordet. Beiträge zur Genozidforschung" (Chronos-Verlag 2004).
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From: Emil Lazarian | Ararat NewsPress