ARTHUR BAGHDASARJAN UBER ARMENIEN UND BUNTE REVOLUTIONEN
Frankfurter Allgemeine Zeitung
19. April 2006
"Nach Europa oder zuruck?"
Arthur Baghdasarjan ist Fuhrer der Partei Orinats Yerguir ("Land des
Rechts"), welche die zweitstarkste Kraft im armenischen Parlament
und nach eigenen Angaben mit etwa 60 000 Mitgliedern die weitaus
großte Partei in Armenien ist. Der 1968 geborene Politiker ist seit
2003 Parlamentsprasident und gilt als einer der aussichtsreichsten
Anwarter auf die Nachfolge von Prasident Robert Kotscharjan, der nach
zwei Amtszeiten zur Prasidentenwahl 2008 nicht mehr antreten darf.
Mit Arthur Baghdasarjan sprach in Eriwan Reinhard Veser.
Um die Demokratie steht es in Armenien nicht besonders gut. Sie gehoren
zur Regierungskoalition, doch mit Ihrer Forderung nach fairen Wahlen,
nach Rechtsstaatlichkeit und Demokratie horen Sie sich an wie ein
Oppositionspolitiker. Wie ist das zu erklaren?
In der Regierung zu sein heißt nicht, daß man nicht fur die Reformen
kampfen darf. Wir konnen nicht unsere Augen schließen und sagen, daß
wir nicht sehen, was im Land schlecht ist. In der Regierung zu sein,
heißt fur uns in erster Linie Verantwortung zu ubernehmen. Das ist
eine Verpflichtung und keine Lust fur uns. Die Demokratie in Armenien
ist noch sehr jung und sehr schwach. Wir mussen sie starken, denn
sie bedeutet Freiheit und Frieden fur die Region.
Sie werden mit der Äußerung zitiert, in Armenien finde ein Kampf
zwischen alten und neuen Kraften statt. Wer sind die alten, wer die
neuen Krafte?
Es ist ein Kampf zwischen Gestern und Heute. Die alten Krafte sind
diejenigen, die in ihren Kopfen noch die siebzig Jahre der sowjetischen
Ideologie haben. Sie sind bis zu dem Punkt fur Veranderungen, an dem
sie davon betroffen sind. Und sie sind eine starke Kraft in Armenien.
Sind diese Krafte in der Regierung?
Naturlich gibt es sie auch in der Regierung. Unsere Koalition ist so
eine Ehe, in der es mehr Streit als Liebe gibt.
In Georgien war Micheil Saakaschwili und in der Ukraine Viktor
Juschtschenko schon einmal fruher in der Regierung. Als sie gesehen
haben, daß mit den herrschenden Kraften Reformen nicht zu machen
sind, sind sie ausgeschieden und zu Fuhrern bunter Revolutionen
geworden. Werden Sie der Fuhrer einer bunten Revolution 2008 bei der
Prasidentenwahl in Armenien?
(lacht) Ich bin fur Reformen. Alle diejenigen, die gegen friedliche
Reformen sind, tragen dazu bei, daß es Revolutionen gibt. Aber eine
Revolution ist im 21. Jahrhundert nicht der richtige Weg. Wir kampfen
dafur, daß es mit den Reformen weitergeht, und dazu brauchen wir freie
Wahlen in Armenien. Die Parlamentswahl 2007 und die Prasidentenwahl
2008 sind sehr wichtig fur unser Land, sie mussen zeigen, wohin
wir gehen: nach Europa oder zuruck? Die Leute, die noch denken,
daß sie Wahlen falschen konnen, mussen sich daruber klarwerden,
daß diese Zeiten in Armenien voruber sind. Wenn es nochmals solche
Falschungen wie bei den fruheren Wahlen gibt, wird das zu sehr großen
Veranderungen fuhren. Im Lande und außerhalb des Landes kann man solche
Wahlen nicht noch einmal akzeptieren. Was in der Zukunft sein wird,
wird das Leben zeigen.
Sie haben gesagt, Demokratie bringe der Region Frieden. Zu welchen
Kompromissen waren Sie im Konflikt mit Aserbaidschan uber Nagornyj
Karabach bereit?
Die Verhandlungen uber Nagornyj Karabach sind in einer sehr aktiven
Phase. Sie werden vom armenischen Staatsprasidenten gefuhrt,
und Armenien verhalt sich sehr konstruktiv. Unser Prasident Robert
Kotscharian war fruher Prasident von Nagornyj Karabach und kennt das
Problem sehr gut. Nach meiner Meinung mussen beide, die armenische
und die aserbaidschanische Seite, etwas geben, damit der Konflikt
gelost werden kann. Es muß einen Konsens geben.
Glauben Sie, daß die armenische Gesellschaft zu einem Kompromiß bereit
ist, oder wird es dann zu großen Protesten kommen?
Wir Politiker mussen dafur Verantwortung tragen. Unser Volk will
Frieden haben. Naturlich werden sehr viele dagegen sein, etwas
aufzugeben, aber das ist der Weg zur Zukunft. 2006 offnet sich
ein Fenster fur den Frieden, weil es weder in Armenien noch in
Aserbaidschan Wahlen gibt, und 2007 offnet sich mit den Wahlen
ein Fenster fur die Demokratie. Wir mussen das nutzen. Armenien
verhalt sich sehr konstruktiv. Wenn Sie daruber mit jemandem in
Aserbaidschan sprechen, wird er uber die Armenier klagen und sagen:
Die machen es nicht, die wollen es nicht. Ich will so etwas uber die
aserbaidschanische Seite nicht sagen. Wenn ich so rede, werden viele
in Armenien mich nicht verteidigen, aber das ist die Wahrheit.
Ebenso schwierig wie die Beziehungen zu Aserbaidschan sind die
Beziehungen zur Turkei.
Wir konnen nicht den Volkermord an 1,5 Millionen Armeniern vergessen,
aber wir durfen unsere Zukunft nicht durch unsere Vergangenheit
verbauen. Fur mich personlich ist die reale Hoffnung auf einen
Fortschritt viel wichtiger als die traurige Erinnerung an die
Vergangenheit. Das heißt, wir mussen offen und frei mit der Turkei
reden, und diesen Dialog braucht auch die Turkei. Wir mussen an einem
Tisch sitzen und unsere Probleme losen. Diese Meinung wird naturlich
nicht von allen in Armenien geteilt.
Bisher gibt es eine sehr enge Partnerschaft Armeniens mit Rußland.
Ändert sich das, auch unter dem Eindruck des jetzigen Streits uber
den Gaspreis?
Die armenisch-russischen Beziehungen mussen auf ein anderes Niveau
kommen. Wir haben sehr freundliche Beziehungen zu Rußland, aber uber
die Inhalte dieser Beziehungen muß weiter gesprochen werden. Ist diese
Freundschaft nur außerlich, oder hat sie auch einen Inhalt? Es gibt
viele Fragen, die gelost werden mussen. Fur meine Partei kann ich
sagen, daß wir fur eine Diversifizierung der Energiequellen sind.
Energieressourcen durfen keine politischen Waffen werden. Ich bin
einmal gefragt worden, warum Armenien kein Geld fur die russischen
Militarstutzpunkte in Armenien verlangt. Ich sagte, daß diese Frage
sehr schwer zu beantworten ist. Ich bin auch einmal gefragt worden,
warum Rußland Algerien einfach so vier Milliarden Dollar Schulden
erlassen habe, wahrend es von Armenien, das nur hundert Millionen
Schulden hatte, zu deren Begleichung viele Industriebetriebe an sich
genommen hat - und diese Firmen funktionieren jetzt nicht.
Heißt das, daß Sie mit dem derzeitigen Zustand der armenisch-russischen
Beziehungen nicht zufrieden sind?
In vielerlei Hinsicht sind unsere Beziehungen sehr gut. Aber
die Zukunft Armeniens liegt nicht in der Union von Rußland und
Weißrußland. Die Zukunft Armeniens sind die Europaische Union und die
Nato. Auf dem Weg dorthin konnen wir Freunde mit Rußland bleiben,
nicht so wie Georgien, dessen Beziehungen zu Rußland sehr gespannt
sind. Aber Rußland darf unseren Weg nach Europa nicht verstellen.
Haben Sie Hoffnung, daß die EU irgendwann bereit sein wird, Armenien
aufzunehmen?
Ich bin davon uberzeugt, dazu gibt es keine Alternative. Nicht nur
Armenien, sondern auch Georgien - und warum nicht auch Aserbaidschan.
Wir sind kleine Lander, fur uns wird das die beste Struktur fur die
Zusammenarbeit und den Frieden sein. Europa braucht einen sicheren,
konfliktfreien Kaukasus und demokratische Nachbarn.
--Boundary_(ID_U+pZEZvibf5t2cA0gpjRQw)- -
Frankfurter Allgemeine Zeitung
19. April 2006
"Nach Europa oder zuruck?"
Arthur Baghdasarjan ist Fuhrer der Partei Orinats Yerguir ("Land des
Rechts"), welche die zweitstarkste Kraft im armenischen Parlament
und nach eigenen Angaben mit etwa 60 000 Mitgliedern die weitaus
großte Partei in Armenien ist. Der 1968 geborene Politiker ist seit
2003 Parlamentsprasident und gilt als einer der aussichtsreichsten
Anwarter auf die Nachfolge von Prasident Robert Kotscharjan, der nach
zwei Amtszeiten zur Prasidentenwahl 2008 nicht mehr antreten darf.
Mit Arthur Baghdasarjan sprach in Eriwan Reinhard Veser.
Um die Demokratie steht es in Armenien nicht besonders gut. Sie gehoren
zur Regierungskoalition, doch mit Ihrer Forderung nach fairen Wahlen,
nach Rechtsstaatlichkeit und Demokratie horen Sie sich an wie ein
Oppositionspolitiker. Wie ist das zu erklaren?
In der Regierung zu sein heißt nicht, daß man nicht fur die Reformen
kampfen darf. Wir konnen nicht unsere Augen schließen und sagen, daß
wir nicht sehen, was im Land schlecht ist. In der Regierung zu sein,
heißt fur uns in erster Linie Verantwortung zu ubernehmen. Das ist
eine Verpflichtung und keine Lust fur uns. Die Demokratie in Armenien
ist noch sehr jung und sehr schwach. Wir mussen sie starken, denn
sie bedeutet Freiheit und Frieden fur die Region.
Sie werden mit der Äußerung zitiert, in Armenien finde ein Kampf
zwischen alten und neuen Kraften statt. Wer sind die alten, wer die
neuen Krafte?
Es ist ein Kampf zwischen Gestern und Heute. Die alten Krafte sind
diejenigen, die in ihren Kopfen noch die siebzig Jahre der sowjetischen
Ideologie haben. Sie sind bis zu dem Punkt fur Veranderungen, an dem
sie davon betroffen sind. Und sie sind eine starke Kraft in Armenien.
Sind diese Krafte in der Regierung?
Naturlich gibt es sie auch in der Regierung. Unsere Koalition ist so
eine Ehe, in der es mehr Streit als Liebe gibt.
In Georgien war Micheil Saakaschwili und in der Ukraine Viktor
Juschtschenko schon einmal fruher in der Regierung. Als sie gesehen
haben, daß mit den herrschenden Kraften Reformen nicht zu machen
sind, sind sie ausgeschieden und zu Fuhrern bunter Revolutionen
geworden. Werden Sie der Fuhrer einer bunten Revolution 2008 bei der
Prasidentenwahl in Armenien?
(lacht) Ich bin fur Reformen. Alle diejenigen, die gegen friedliche
Reformen sind, tragen dazu bei, daß es Revolutionen gibt. Aber eine
Revolution ist im 21. Jahrhundert nicht der richtige Weg. Wir kampfen
dafur, daß es mit den Reformen weitergeht, und dazu brauchen wir freie
Wahlen in Armenien. Die Parlamentswahl 2007 und die Prasidentenwahl
2008 sind sehr wichtig fur unser Land, sie mussen zeigen, wohin
wir gehen: nach Europa oder zuruck? Die Leute, die noch denken,
daß sie Wahlen falschen konnen, mussen sich daruber klarwerden,
daß diese Zeiten in Armenien voruber sind. Wenn es nochmals solche
Falschungen wie bei den fruheren Wahlen gibt, wird das zu sehr großen
Veranderungen fuhren. Im Lande und außerhalb des Landes kann man solche
Wahlen nicht noch einmal akzeptieren. Was in der Zukunft sein wird,
wird das Leben zeigen.
Sie haben gesagt, Demokratie bringe der Region Frieden. Zu welchen
Kompromissen waren Sie im Konflikt mit Aserbaidschan uber Nagornyj
Karabach bereit?
Die Verhandlungen uber Nagornyj Karabach sind in einer sehr aktiven
Phase. Sie werden vom armenischen Staatsprasidenten gefuhrt,
und Armenien verhalt sich sehr konstruktiv. Unser Prasident Robert
Kotscharian war fruher Prasident von Nagornyj Karabach und kennt das
Problem sehr gut. Nach meiner Meinung mussen beide, die armenische
und die aserbaidschanische Seite, etwas geben, damit der Konflikt
gelost werden kann. Es muß einen Konsens geben.
Glauben Sie, daß die armenische Gesellschaft zu einem Kompromiß bereit
ist, oder wird es dann zu großen Protesten kommen?
Wir Politiker mussen dafur Verantwortung tragen. Unser Volk will
Frieden haben. Naturlich werden sehr viele dagegen sein, etwas
aufzugeben, aber das ist der Weg zur Zukunft. 2006 offnet sich
ein Fenster fur den Frieden, weil es weder in Armenien noch in
Aserbaidschan Wahlen gibt, und 2007 offnet sich mit den Wahlen
ein Fenster fur die Demokratie. Wir mussen das nutzen. Armenien
verhalt sich sehr konstruktiv. Wenn Sie daruber mit jemandem in
Aserbaidschan sprechen, wird er uber die Armenier klagen und sagen:
Die machen es nicht, die wollen es nicht. Ich will so etwas uber die
aserbaidschanische Seite nicht sagen. Wenn ich so rede, werden viele
in Armenien mich nicht verteidigen, aber das ist die Wahrheit.
Ebenso schwierig wie die Beziehungen zu Aserbaidschan sind die
Beziehungen zur Turkei.
Wir konnen nicht den Volkermord an 1,5 Millionen Armeniern vergessen,
aber wir durfen unsere Zukunft nicht durch unsere Vergangenheit
verbauen. Fur mich personlich ist die reale Hoffnung auf einen
Fortschritt viel wichtiger als die traurige Erinnerung an die
Vergangenheit. Das heißt, wir mussen offen und frei mit der Turkei
reden, und diesen Dialog braucht auch die Turkei. Wir mussen an einem
Tisch sitzen und unsere Probleme losen. Diese Meinung wird naturlich
nicht von allen in Armenien geteilt.
Bisher gibt es eine sehr enge Partnerschaft Armeniens mit Rußland.
Ändert sich das, auch unter dem Eindruck des jetzigen Streits uber
den Gaspreis?
Die armenisch-russischen Beziehungen mussen auf ein anderes Niveau
kommen. Wir haben sehr freundliche Beziehungen zu Rußland, aber uber
die Inhalte dieser Beziehungen muß weiter gesprochen werden. Ist diese
Freundschaft nur außerlich, oder hat sie auch einen Inhalt? Es gibt
viele Fragen, die gelost werden mussen. Fur meine Partei kann ich
sagen, daß wir fur eine Diversifizierung der Energiequellen sind.
Energieressourcen durfen keine politischen Waffen werden. Ich bin
einmal gefragt worden, warum Armenien kein Geld fur die russischen
Militarstutzpunkte in Armenien verlangt. Ich sagte, daß diese Frage
sehr schwer zu beantworten ist. Ich bin auch einmal gefragt worden,
warum Rußland Algerien einfach so vier Milliarden Dollar Schulden
erlassen habe, wahrend es von Armenien, das nur hundert Millionen
Schulden hatte, zu deren Begleichung viele Industriebetriebe an sich
genommen hat - und diese Firmen funktionieren jetzt nicht.
Heißt das, daß Sie mit dem derzeitigen Zustand der armenisch-russischen
Beziehungen nicht zufrieden sind?
In vielerlei Hinsicht sind unsere Beziehungen sehr gut. Aber
die Zukunft Armeniens liegt nicht in der Union von Rußland und
Weißrußland. Die Zukunft Armeniens sind die Europaische Union und die
Nato. Auf dem Weg dorthin konnen wir Freunde mit Rußland bleiben,
nicht so wie Georgien, dessen Beziehungen zu Rußland sehr gespannt
sind. Aber Rußland darf unseren Weg nach Europa nicht verstellen.
Haben Sie Hoffnung, daß die EU irgendwann bereit sein wird, Armenien
aufzunehmen?
Ich bin davon uberzeugt, dazu gibt es keine Alternative. Nicht nur
Armenien, sondern auch Georgien - und warum nicht auch Aserbaidschan.
Wir sind kleine Lander, fur uns wird das die beste Struktur fur die
Zusammenarbeit und den Frieden sein. Europa braucht einen sicheren,
konfliktfreien Kaukasus und demokratische Nachbarn.
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