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Armenien - Erinnerung und Leugnung

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    Ressort: Meinung

    DAS politische BUCH
    Armenien - Erinnerung und Leugnung

    Von Wolfgang G. Schwanitz

    Die politische Elite Deutschlands verhalte sich zuruckhaltend zum Volkermord
    des turkischen Regimes an Armeniern vor 90 Jahren. Das behauptet Annette
    Schaefgen. Wie ist das moglich, wo man selbst die Erfahrung mit kollektiver
    Verantwortung und kritischer Aufarbeitung erkannt hat? Dem stellt sich die
    Berliner Historikerin am Zentrum fur Antisemitismusforschung und sucht in
    ihrem Buch Grunde, warum der Genozid zunachst schwach rezipiert wurde.

    Engagiert stellt die Autorin dar, wie Deutsche den Volkermord aufgenommen
    haben, von seinem Beginn am 24. April 1915, uber das Buchverbot von Johannes
    Lepsius' "Der Todesgang des armenischen Volkes" im Folgejahr bis zum Mord am
    ehemaligen turkischen Innenminister in Berlin 1921. Dann kam die große
    Stille, gegen die Literaten wie Franz Werfel angingen.

    In der Bonner Republik erhielten die Beziehungen zum Nato-Mitglied Turkei
    Vorrang. Ähnlich verhielt es sich mit der Sowjetunion und ihrer
    Sowjetrepublik Armenien. Wie Schaefgen herausfindet, liefen die Armenier
    unter Innenpolitik und in der Kategorie "Minoritaten". Botschafter Fritz
    Oellers, der die Ostturkei bereiste, berichtete, Turken hatten die
    Armenierfrage "restlos gelost". Diejenigen, so Oellers 1957 weiter, die die
    Pogrome im Ersten Weltkrieg uberlebt hatten, waren danach verzogen.

    Das anderte sich kaum ab 1961. Sowohl Turken als auch Armenier zogen nach
    Westdeutschland. Armenier kamen auch 20 Jahre spater in die Berliner
    Republik, die 2003 mit Robert Kotscharian erstmals einen Prasidenten
    Armeniens in Berlin begrußte. Am Rande kam die Frage auf, ob der Bundestag -
    wie das Pariser Parlament - eine Resolution beschließe, die den Genozid an
    Armeniern anerkennt. Die Standardformel lautete: Regierung und Parlament
    nehmen nicht zu historischen Ereignissen in anderen Landern Stellung. Eine
    Petition von 2000 beforderte die Erklarung des Bundestages vom Vorjahr uber
    die Vertreibung und die Massaker an Armeniern.

    Drei Viertel der in Deutschland lebenden Armenier stammen aus der Turkei.
    Insbesondere fur sie, sagt Schaefgen, sei das hier fehlende Wissen uber ihre
    Geschichte verletzend. Oft herrsche die Sichtweise der turkischen Regierung
    vor, die den Volkermord als "kriegsbedingte Maßnahme" rechtfertige. Die
    Provokationsthese werde angefuhrt, wonach sich Armenier gegen Osmanen
    erhoben oder zuvor Massaker an Turken und Kurden begangen hatten. Die Zahl
    der Opfer werde meist relativiert oder die Vorsatzlichkeit der
    systematischen Tat geleugnet. Dies sei die Staatsdoktrin. Wer davon abweiche
    und in Rede oder Schrift feststelle, der Volkermord an Armeniern fand statt,
    konne nach turkischem Recht wegen Herabsetzung des Turkentums belangt
    werden.

    Zu Recht betont Annette Schaefgen, dass viel zu erforschen ist, trotz der
    unzuganglichen turkischen Archive. Dabei ware auch der Plan des deutschen
    Diplomaten Max von Oppenheim zu erhellen, der die islamische Bevolkerung
    1914 gegen England mobilisieren wollte und so Ol in das Kriegsfeuer goss.



    An diesem Samstag demonstrieren turkische Nationalisten in Berlin zum
    zweiten Mal gegen den Vorwurf des Volkermordes an den Armeniern. Die Polizei
    wollte die Aufmarsche verbieten, das Berliner Verwaltungsgericht gab dem
    Eilantrag gegen das Verbot statt.

    - Annette Schaefgen: Schwieriges Erinnern: Der Volkermord an den Armeniern.
    Metropol Verlag, Berlin 2006. 200 S., 18 eur. Das Buch erscheint am 24. 3.

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