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Turken sehen eine "Kriegserklarung"

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    Turken sehen eine "Kriegserklarung"

    http://www.espace.ch/ artikel_268671.html

    Der Vorwurf des Volkermordes an den Armeniern und das franzosische
    Genozid-Gesetz versetzen die Turkei in Rage
    Auch fast ein Jahrhundert nach den Ereignissen lost der Vorwurf des
    Volkermords an den Armeniern in der Turkei noch heftige Reaktionen aus. Denn
    die Turken sehen keinen geplanten Genozid, sondern sprechen von Opfern der
    Kriegswirren.

    Massiver diplomatischer Druck fruchtete so wenig wie die offene Drohung des
    turkischen Premiers Erdogan, die Turken wurden nichts, aber Frankreich werde
    die Turkei verlieren. Die franzosische Nationalversammlung stellte gestern
    die Behauptung unter Strafe, die Massaker an den Armeniern durch die
    osmanischen Turken vor 90 Jahren seien kein "Volkermord" gewesen (vgl. Text
    unten). Turkische Politiker, unterstutzt von Medien und der Bevolkerung,
    sind emport. Kein franzosischer Geschaftsmann, so droht ein Sprecher der
    Istanbuler Industriellenkammer, soll kunftig in der Turkei Vertrage
    abschliessen konnen. Wahrend turkische Politiker von einer "Kriegserklarung"
    Frankreichs gegen ihre Heimat sprechen, ruft der Industriellenverband nach
    einem nationalen Aktionsplan, mit dem die Turkei der Welt klar machen soll,
    dass sich Frankreich geirrt habe.

    Turkische Medien sehen die Entscheidung Frankreichs im Zusammenhang mit
    einer wachsenden anti-turkischen Stimmung in Europa. "Die Opposition gegen
    die Turkei in der EU beginnt ihr hassliches Gesicht zu zeigen", schreibt der
    Kommentator Cengiz Candar. Erdogan erinnert Frankreich an seine koloniale
    Vergangenheit, betont jedoch, er wolle nicht Vergeltung uben. "Wir saubern
    Schmutz nicht mit Schmutz." Selbst Mitglieder der winzigen armenischen
    Gemeinde der Turkei (kaum mehr als hunderttausend Menschen) schliessen sich
    der Kritik an. Sie furchten nun noch starkeren Druck durch eine
    nationalistisch aufgeheizte Stimmung im Land.

    Die Entscheidung zeige, "dass jene, die die Meinungsfreiheit in der Turkei
    einschranken, und jene, die dies in Frankreich tun, dieselbe Mentalitat
    haben", bemerkt der turkisch-armenische Journalist Hrant Dink. Er war im
    Vorjahr wegen "Beleidigung des Turkentums" zu sechs Monaten Gefangnis
    verurteilt worden. Die Strafe, die er sich wegen eines Artikels uber die
    Massaker an den Armeniern zugezogen hatte, wurde unterdessen suspendiert.
    "In der Turkei stehe ich vor Gericht, weil ich gesagt habe, es sei Genozid
    gewesen." Er wolle nun nach Frankreich gehen und dort - entgegen seiner
    Uberzeugung - sagen, es sei nicht Genozid gewesen. Denn die Meinungsfreiheit
    habe Vorrang. "Die beiden Staaten konnen dann wetteifern, wer mich ins
    Gefangnis wirft."

    3000 Jahre alte Gemeinde

    Auch fast ein Jahrhundert nach den dramatischen Ereignissen im
    zusammenbrechenden Osmanischen Reich lost der Vorwurf des Genozids in der
    Turkei immer noch heftige Emotionen aus. Bis heute ist eine objektive
    wissenschaftliche Diskussion uber dieses Thema undenkbar. Autoren, die sich
    zum Volkermord bekennen oder sich nur vage kritisch mit der offiziellen
    turkischen Position auseinander setzen, werden mit Gefangnis bedroht, von
    turkischen Nationalisten sogar mit dem Tod. Eine derartige Kampagne musste
    auch der Schriftsteller Orhan Pamuk durchstehen. Seine Auszeichnung mit dem
    Literatur-Nobelpreis (vgl. Seite 33) ist zweifellos ein zusatzlicher Schlag
    fur die radikalen turkischen Nationalisten.

    3000 Jahre lang lebte eine bluhende armenische Gemeinde in der Region, die
    sich vom Schwarzen Meer und dem Mittelmeer bis zum Kaspischen Meer
    erstreckte. Im Gebiet um den Berg Ararat grundeten die Armenier den ersten
    christlichen Staat der Welt, der schliesslich Teil des Osmanischen Reiches
    wurde. Obschon als christliche Minderheit in diesem riesigen Reich
    diskriminiert, erreichten die Armenier einen hohen Bildungstandard.
    Beeinflusst von den Idealen der Franzosischen Revolution, drangten sie im
    ausgehenden 19. Jahrhundert nach politischen Reformen, nach Demokratie und
    Mitbestimmung.

    Armenier als interner Feind

    Mit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs wuchs ihre Hoffnung auf einen
    unabhangigen Staat. Doch als die Jungturken das Reich zu retten und alle
    Turk-Volker bis zum Kaukasus und Zentralasien zu vereinen suchten, standen
    ihnen die christlichen Armenier als grosstes Hindernis im Wege. Im Ersten
    Weltkrieg schlug sich die Turkei auf die Seite Osterreich-Ungarns und
    Deutschlands, wahrend die Armenier mit Russland kollaborierten. So wurden
    sie fur die turkischen Nationalisten zu einem internen Feind.

    Die Kriegswirren boten die willkommene Moglichkeit, die armenische Frage "zu
    losen". Armenische und viele unabhangige internationale Historiker hegen
    keine Zweifel, dass die osmanischen Turken 1915 bis 1917 einen Genozid
    geplant und mehr als eine Million Armenier getotet und den Rest vertrieben
    haben, so dass heute in ihrer ost-anatolischen Urheimat fast keine Armenier
    mehr leben. Fast alle turkischen Historiker geben zu, dass viele Armenier
    wahrend dieser Konflikte ums Leben kamen. Doch sie schliessen sich der
    offiziellen Position an, dass es sich nicht um einen vom Staat geplanten
    Genozid gehandelt habe. Offiziell beharrt Ankara auf dem Standpunkt, dass in
    den Kriegswirren rund 300 000 Armenier und ebenso viele Turken ums Leben
    gekommen sind.
    Die Anerkennung des Genozids wurden turkische Nationalisten nicht nur als
    schwere nationale Demutigung werten. Diese Frage ist auch mit tief
    verwurzelten Ängsten verknupft. Ankara befurchtet, die Armenier konnten
    Kompensationsforderungen oder gar territoriale Anspruche auf ihre
    sudostanatolische Heimat stellen. Im turkischen Nationalbewusstsein bleibt
    deshalb bis heute der Armenier ein Feind. Und in der Haltung Frankreichs
    sieht Ankara eine neue internationale Verschworung gegen die Heimat.
    Blochers Mission

    Auch die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Turkei sind wegen der
    Leugnung des Volkermords an den Armeniern angespannt. Die
    Anti-Rassismus-Strafnorm stellt die Leugnung des Genozids in der Schweiz
    unter Strafe. Aufgrund dieses Gesetzes laufen zwei Strafuntersuchungen gegen
    prominente Turken, die den Volkermord an den Armeniern offentlich geleugnet
    haben. Justizminister Christoph Blocher nutzte vergangene Woche seinen
    Turkei-Besuch, um die Strafnorm zu kritisieren. Blochers Provokation sorgte
    in der Heimat fur Emporung. Der Justizminister strebt eine Änderung des
    Antirassismusgesetzes an.

    Der Bundesrat wird sich bereits an seiner Sitzung von kommender Woche mit
    Blochers Vorschlag befassen. Der Antrag durfte jedoch keine Chance haben.
    Der Bundesrat hat bereits - in praktisch gleicher Zusammensetzung - mehrere
    Anlaufe zur Änderung oder Streichung der Strafnorm abgelehnt. Auch das
    Parlament liegt in dieser Frage auf der Linie des Bundesrats. (for)

    "Im Namen der Gerechtigkeit"
    Wer den Volkermord an den Armeniern von 1915 in Abrede stellt, soll in
    Frankreich mit Gefangnis oder Busse bestraft werden. Das umstrittene Gesetz
    muss nach dem Ja der Nationalversammlung noch vom Senat genehmigt werden.

    "Im Namen der Gerechtigkeit, der Ehre und des politischen Mutes" forderte
    gestern der sozialistische Antragsteller Rene Rouquet seine
    Parlamentskollegen auf, fur das Gesetz zu stimmen, das die Leugnung des
    Armenier-Volkermords zu einem Delikt erklart. Fur Rouquet ist die
    Strafandrohung nur logisch. Am 29. Januar 2001 hatte namlich das
    franzosische Parlament einstimmig den Genozidcharakter der Massaker an der
    armenischen Bevolkerung von 1915 bis 1917 anerkannt, denen laut (fast)
    einhelliger Schatzung der Historiker mehr als eine Million Menschen zum
    Opfer fielen.

    Die Notwendigkeit, jeden strafrechtlich zu verfolgen, der diesen Volkermord
    in Abrede stellt oder verharmlost, blieb indes umstritten. Im Mai hatte die
    Nationalversammlung den Antrag der Opposition bereits debattiert, aus
    Zeitgrunden wurde das Votum verschoben. Weniger offen ausgesprochen wurden
    damals und auch jetzt eher opportunistische Rucksichten auf politische und
    wirtschaftliche Interessen in der Turkei. Dieses Mal stimmte nach einer
    kurzen Diskussion eine Mehrheit der anwesenden Abgeordneten (mit 106 Stimmen
    gegen 19) dem Gesetzesantrag zu.

    Gesetz noch nicht in Kraft

    Die Regierungspartei UMP hatte beschlossen, an der Abstimmung nicht
    teilzunehmen; trotzdem sprachen sich mehrere ihrer Volksvertreter fur das
    Gesetz aus, unter ihnen auch der fruhere Minister und UMP-Abgeordnete
    Patrick Devedjian, der selber armenischer Abstammung ist. Er versuchte, die
    Tragweite des Parlamentsentscheids etwas abzuschwachen: Historiker und
    Forscher sollten seiner Meinung nach von der Strafandrohung ausgenommen
    werden. Sein Vorschlag wurde aber zuruckgewiesen. Auf der Zuhorertribune
    begrussten Vertreter der armenischen Gemeinschaft, die in Frankreich rund
    500 000 Menschen zahlt, das Abstimmungsergebnis erleichtert mit Applaus.

    Damit ist diese Gesetzesvorlage aber noch nicht in Kraft. Nun liegt es an
    der Regierung, die Debatte zum gegebenen Zeitpunkt auf die Tagesordnung des
    Senats, der zweiten Parlamentskammer, zu setzen. Und nichts deutet darauf
    hin, dass sie es dabei besonders eilig hat. Ohne die turkischen Einwande und
    Drohungen zu erwahnen, hatte bei der gestrigen Debatte Europaministerin
    Catherine Colonna die Skepsis der Regierung zum Ausdruck gebracht: "Es ist
    Aufgabe der Historiker und nicht des Gesetzgebers, die Geschichte zu
    schreiben." Die Linke warf der Regierung vor, sie beuge sich den Pressionen
    aus Ankara. Die Turkei droht Frankreich mit wirtschaftlichen
    Vergeltungsmassnahmen. Laut turkischen Zeitungen konnten sich die Einbussen
    fur die franzosischen Unternehmen auf 20 Milliarden Dollar belaufen, wenn
    sie systematisch bei Vertragen ausgeschlossen wurden.

    Kritisch hatten sich die meisten franzosischen Zeitungen zum Thema
    geaussert. "Le Figaro" halt die Debatte fur zwecklos und riskant: "Die
    (Leugnung) ist in Frankreich nicht so verbreitet, dass es unbedingt ein
    Gesetz dafur braucht. Da gabe es andere Angelegenheiten, die mit grosserer
    Dringlichkeit dem weisen Schluss unserer Abgeordneten zu unterbreiten waren.
    Die politische Ausschlachtung der Schrecken, welche das armenische Volk
    erlitten hat, kann nur kontraproduktiv sein. (...) Frankreich ist gross,
    wenn es als Botschafter des Friedens und der Zivilisation auftritt, aber
    lacherlich, wenn es sich als Staatsanwalt aufspielt."

    "Unnotige Polemik"

    Als "unnotige Polemik" hatte Staatsprasident Jacques Chirac die
    Kriminalisierung der Volkermordleugnung bezeichnet. Noch Ende September
    hatte er bei seinem Besuch in Armenien die offizielle Anerkennung des
    Armenier-Genozids durch den turkischen Staat zu einer Voraussetzung fur
    einen eventuellen EU-Beitritt der Turkei erklart.
    Fur Genozid braucht es Absicht

    Den Tatbestand des Volkermords (Genozid) gibt es im Volkerrecht seit
    Dezember 1948, als die Vereinten Nationen die "Konvention uber die Verhutung
    und Bestrafung des Volkermords" verabschiedeten. Die Konvention, die 1951 in
    Kraft trat, entstand in erster Linie als Reaktion auf den Holocaust unter
    den Nazis im Zweiten Weltkrieg. Sie beschreibt Volkermord als Handlungen,
    die in der expliziten Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische,
    rassische oder religiose Gruppe ganz oder teilweise zu zerstoren.

    An diesem Punkt setzt die Kritik der Turkei an. Sie sieht die Massaker an
    den Armeniern und die Todesmarsche nicht als bewusst rassistisch motivierte
    Gewalt, sondern als Folge kriegerischer Ereignisse. Die meisten
    internationalen Historiker und Juristen argumentieren indes, dies sei
    unerheblich; die Armenier seien getotet worden, weil sie eben dieser
    Volksgruppe angehorten. Ob Rassenwahn wie bei den Nazis oder andere Motive
    die Graueltaten ausgelost hatten, spiele letztlich keine Rolle. (lkr)

    Der Bund, Birgit Cerha, Beirut [13.10.06]

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    From: Emil Lazarian | Ararat NewsPress
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