Der Spiegel
05.04.2010
Armeniens Präsident Sargsjan, 55, über historische Gerechtigkeit und
die von Ankara vorgeschlagene Kommission zur Untersuchung des
Völkermordes von 1915
1. Teil: "Wir wollten die Feindschaft durchbrechen"
Eine Annäherung zwischen Türken und Armeniern lässt weiter auf sich
warten. Armeniens Staatschef Sargsjan erklärt im Interview mit SPIEGEL
ONLINE, warum die Anerkennung des Völkermords an seinen Landsleuten so
wichtig ist - und warum ihn die Feindseligkeiten türkischer Politiker
nicht überraschen.
SPIEGEL ONLINE: Herr Präsident, 2008 haben Sie gemeinsam mit ihrem
türkischen Amtskollegen ein Fußballspiel Ihrer beiden Länder
besucht. Das galt seinerzeit als Sensation. Bereuen Sie die damalige
Einladung des Türken in Ihre Hauptstadt?
Sersch Sargsjan: Nein. Ich bin überzeugt, dass Zusammenarbeit für
Türken und Armenier alternativlos ist. Wir wollten die Jahrhunderte
währende Feindschaft durchbrechen. Mir war von Anfang an klar, dass
dies kein leichter Prozess wird.
SPIEGEL ONLINE: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat über den
Genozid während des Ersten Weltkriegs im SPIEGEL gesagt, von einem
"Völkermord an den Armeniern" könne "keine Rede sein". Warum tut sich
ihr Nachbar so schwer mit seiner Vergangenheit?
Sargsjan: Herr Erdogan hat auch mal gesagt, Türken seien nicht fähig,
einen Völkermord zu begehen, die türkische Geschichte sei "klar wie
die Sonne". Die Türken wehren sich dagegen, die Massaker als
Völkermord zu klassifizieren. Doch wie groß auch der türkische
Widerstand sein mag: Das ist keine Frage, die Ankara zu entscheiden
hat.
SPIEGEL ONLINE: Erdogan droht nun sogar mit der Ausweisung Tausender
illegal in der Türkei lebender Armenier.
Sargsjan: Solche inakzeptablen Äußerungen rufen in meinem Volk
Erinnerungen an den Völkermord wach. Leider überraschen sie mich aus
dem Mund eines türkischen Politikers nicht. Wir müssen auch in der
Geschichte nicht so weit zurückdenken, um vergleichbare Erklärungen zu
finden. 1988 wurden im heutigen Aserbaidschan ähnliche Stimmen
laut. In der Folge kam es zu Pogromen in aserbaidschanischen Städten
wie Sumgait und Baku, Dutzende Armenier starben.
SPIEGEL ONLINE: Wie sollte sich die internationale Gemeinschaft in
dieser Frage verhalten?
Sargsjan: Die Welt muss entschlossen reagieren. Amerika, Europa - auch
Deutschland - alle Staaten, die in diesen Prozess der
türkisch-armenischen Annäherung involviert waren, sollten öffentlich
Position beziehen. Hätten alle Länder den Völkermord bereits
anerkannt, würden die Türken sich nicht so äußern. Hoffnung macht,
dass es auch in der Türkei Proteste vieler junger Menschen gegen diese
Tiraden gegeben hat. Dort wächst eine neue Generation heran, deren
Meinung die politische Führung berücksichtigen muss.
SPIEGEL ONLINE: Die Türkei wirft Ihnen ebenfalls eine Blockadehaltung
vor, Sie verhinderten - so heißt es in Ankara - eine gemeinsame
Historiker-Kommission. Warum wenden Sie sich gegen diese Idee?
Sargsjan: Wie könnte eine solche Kommission objektiv arbeiten, wenn in
der Türkei gleichzeitig verfolgt und bestraft wird, wer den Begriff
Genozid verwendet? Ankara geht es nur darum, Entscheidungen zu
verschleppen. Wann immer sich ausländische Parlamente und Regierungen
mit der Bitte an die Türkei wenden würden, den Völkermord
anzuerkennen, würde es heißen: Wartet erst die Ergebnisse der
Kommission ab. Ein solches Gremium zu schaffen würde bedeuten, das
Faktum des Genozids an unserem Volk anzuzweifeln. Dazu sind wir nicht
bereit. Eine Kommission wäre dann sinnvoll, wenn die Türkei zu ihrer
Schuld stehen würde. Dann könnten Wissenschaftler gemeinsam die
Ursachen ergründen, die zu dieser Tragödie führten.
SPIEGEL ONLINE: Der Völkermord liegt 95 Jahre zurück, warum ist seine
Anerkennung für Armenien heute so bedeutend?
Sargsjan: Es ist eine Frage der historischen Gerechtigkeit und unserer
nationalen Sicherheit. Der beste Weg, einer Wiederholung solcher
Gräuel vorzubeugen ist, sie klar zu verurteilen.
2. Teil: Warum den Armeniern niemand den Ararat nehmen kann
SPIEGEL ONLINE: Von den Fenstern Ihrer Residenz kann man den Berg
Ararat sehen, Armeniens Nationalsymbol. Heute liegt er unerreichbar
jenseits der Grenze. Die Türkei fürchtet Gebiets- und
Kompensationsforderungen. Wollen Sie den Ararat zurück?
Sargsjan: Den Ararat kann uns niemand nehmen, wir bewahren ihn in
unseren Herzen. Wo immer auf dem Globus heute Armenier wohnen, werden
Sie in ihren Wohnungen ein Bild des Ararat finden. Und ich bin mir
sicher, dass eine Zeit kommen wird, wo der Ararat nicht mehr das
Symbol der Trennung zwischen unseren Völkern sein wird, sondern das
Zeichen der Verständigung. Lassen Sie mich aber klarstellen: Niemals
hat ein Repräsentant Armeniens territoriale Ansprüche erhoben. Die
Türken unterstellen uns das, vielleicht aus schlechtem Gewissen?
SPIEGEL ONLINE: Ihre Grenzen zur Türkei und Aserbaidschan sind
geschlossen, Iran und Georgien schwierige Nachbarn. Wäre es nicht
wichtiger, diese Isolation zu durchbrechen, statt mit der Türkei
endlos über den Völkermord zu streiten?
Sargsjan: Wir verknüpfen die Grenzöffnung nicht mit der Anerkennung
des Genozids; es ist nicht unsere Schuld, wenn die Annäherung
scheitert.
SPIEGEL ONLINE: Die Türkei will die Grenzöffnung von Fortschritten in
der Frage Berg-Karabach abhängig machen. Armenien hat einen Krieg um
dieses Gebiet geführt, das nach dem Zerfall der Sowjetunion von
Aserbaidschan beansprucht, aber mehrheitlich von christlichen
Armeniern bewohnt wird.
Sargsjan: Die Türkei will stets Zugeständnisse von unserer Seite. Das
aber ist unmöglich. Die wichtigste Frage ist die Verwirklichung des
Rechts der Bevölkerung von Berg-Karabach auf Selbstbestimmung. Wenn
Aserbaidschan die Unabhängigkeit von Berg-Karabach anerkennen würde,
könnte die Frage meiner Meinung nach innerhalb weniger Stunden gelöst
werden. Leider hat es den Anschein, dass Aserbaidschan das Problem
militärisch lösen will. Die Aserbaidschaner sind noch der Meinung,
dass sie Berg-Karabach an Aserbaidschan anschließen könnten. Das aber
hieße, dass innerhalb kürzester Zeit den Armeniern in Berg-Karabach
ein Verbleiben unmöglich gemacht würde.
SPIEGEL ONLINE: Welche Lösung schlagen Sie vor?
Sargsjan: Wenn Aserbaidschan aber die Unabhängigkeit von Berg-Karabach
anerkennen würde, könnte das Problem meiner Meinung nach binnen
weniger Stunden gelöst werden. Warum konnten die Staaten des
ehemaligen Jugoslawien Unabhängigkeit erlangen? Soll Karabach etwa
nicht die gleichen Rechte haben - nur weil Aserbaidschan über
Rohstoffe wie Öl und Gas verfügt und mit der Türkei über einen
Schutzpatron? Das halten wir nicht für gerecht.
SPIEGEL ONLINE: Wäre Armenien mit einer umfassenden Autonomie
Berg-Karabachs innerhalb Aserbaidschans einverstanden, etwa wie zu
Sowjetzeiten?
Sargsjan: Natürlich nicht. Karabach an Aserbaidschan zurückzugeben,
würde bedeuten, dass es in kürzester Frist zu Vertreibungen der
armenischen Bevölkerung kommen würde. Berg-Karabach war nie Teil des
unabhängigen Aserbaidschan. Die Region wurde erst 1923 auf Beschluss
des Kaukasischen Büros der Kommunistischen Partei an Aserbaidschan
angeschlossen, auf Druck Stalins. Wenn Karabach Teil Aserbaidschans
werden sollte, müsste man mindestens die Sowjetunion restaurieren. Ich
glaube nicht, dass das jemand ernsthaft möchte.
SPIEGEL ONLINE: Die Türkei strebt schon seit Jahrzehnten in die
Europäische Union. Ist eine Mitgliedschaft auch für Armenien ein Ziel?
Sargsjan: Europas Werte sind attraktiv für uns. Darum reformieren wir
derzeit auch unsere Verwaltung, nach europäischem Vorbild,
natürlich. Wir wissen wohl, dass wir, wenn wir ein vollwertiges
Mitglied eines Systems werden wollen, Probleme lösen müssen. Wie lange
dieser Prozess dauern wird, hängt von uns ab - aber auch von der
Europäischen Union.
SPIEGEL ONLINE: Ihr Land grenzt an Iran. Wie Beurteilen sie den
Konflikt der Weltgemeinschaft mit Teheran?
Sargsjan: Wir sehen dies mit Sorge. Iran ist einer von nur zwei
Landwegen, die uns mit der Außenwelt verbinden. Jedermann in Armenien
weiß: Wenn Iran nicht während des Krieges seine Grenze offengehalten
hätte, wäre es zu Engpässen bei der Versorgung unserer Bürger
gekommen. Ähnlich war es während des Fünf-Tage-Krieges 2008, als die
Eisenbahnverbindung über Georgien unterbrochen war. Wir bauen
gemeinsam mit Iran gerade eine Pipeline und eine Gleisverbindung.
Das Interview führte Benjamin Bidder in Eriwan
--
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From: Emil Lazarian | Ararat NewsPress
05.04.2010
Armeniens Präsident Sargsjan, 55, über historische Gerechtigkeit und
die von Ankara vorgeschlagene Kommission zur Untersuchung des
Völkermordes von 1915
1. Teil: "Wir wollten die Feindschaft durchbrechen"
Eine Annäherung zwischen Türken und Armeniern lässt weiter auf sich
warten. Armeniens Staatschef Sargsjan erklärt im Interview mit SPIEGEL
ONLINE, warum die Anerkennung des Völkermords an seinen Landsleuten so
wichtig ist - und warum ihn die Feindseligkeiten türkischer Politiker
nicht überraschen.
SPIEGEL ONLINE: Herr Präsident, 2008 haben Sie gemeinsam mit ihrem
türkischen Amtskollegen ein Fußballspiel Ihrer beiden Länder
besucht. Das galt seinerzeit als Sensation. Bereuen Sie die damalige
Einladung des Türken in Ihre Hauptstadt?
Sersch Sargsjan: Nein. Ich bin überzeugt, dass Zusammenarbeit für
Türken und Armenier alternativlos ist. Wir wollten die Jahrhunderte
währende Feindschaft durchbrechen. Mir war von Anfang an klar, dass
dies kein leichter Prozess wird.
SPIEGEL ONLINE: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat über den
Genozid während des Ersten Weltkriegs im SPIEGEL gesagt, von einem
"Völkermord an den Armeniern" könne "keine Rede sein". Warum tut sich
ihr Nachbar so schwer mit seiner Vergangenheit?
Sargsjan: Herr Erdogan hat auch mal gesagt, Türken seien nicht fähig,
einen Völkermord zu begehen, die türkische Geschichte sei "klar wie
die Sonne". Die Türken wehren sich dagegen, die Massaker als
Völkermord zu klassifizieren. Doch wie groß auch der türkische
Widerstand sein mag: Das ist keine Frage, die Ankara zu entscheiden
hat.
SPIEGEL ONLINE: Erdogan droht nun sogar mit der Ausweisung Tausender
illegal in der Türkei lebender Armenier.
Sargsjan: Solche inakzeptablen Äußerungen rufen in meinem Volk
Erinnerungen an den Völkermord wach. Leider überraschen sie mich aus
dem Mund eines türkischen Politikers nicht. Wir müssen auch in der
Geschichte nicht so weit zurückdenken, um vergleichbare Erklärungen zu
finden. 1988 wurden im heutigen Aserbaidschan ähnliche Stimmen
laut. In der Folge kam es zu Pogromen in aserbaidschanischen Städten
wie Sumgait und Baku, Dutzende Armenier starben.
SPIEGEL ONLINE: Wie sollte sich die internationale Gemeinschaft in
dieser Frage verhalten?
Sargsjan: Die Welt muss entschlossen reagieren. Amerika, Europa - auch
Deutschland - alle Staaten, die in diesen Prozess der
türkisch-armenischen Annäherung involviert waren, sollten öffentlich
Position beziehen. Hätten alle Länder den Völkermord bereits
anerkannt, würden die Türken sich nicht so äußern. Hoffnung macht,
dass es auch in der Türkei Proteste vieler junger Menschen gegen diese
Tiraden gegeben hat. Dort wächst eine neue Generation heran, deren
Meinung die politische Führung berücksichtigen muss.
SPIEGEL ONLINE: Die Türkei wirft Ihnen ebenfalls eine Blockadehaltung
vor, Sie verhinderten - so heißt es in Ankara - eine gemeinsame
Historiker-Kommission. Warum wenden Sie sich gegen diese Idee?
Sargsjan: Wie könnte eine solche Kommission objektiv arbeiten, wenn in
der Türkei gleichzeitig verfolgt und bestraft wird, wer den Begriff
Genozid verwendet? Ankara geht es nur darum, Entscheidungen zu
verschleppen. Wann immer sich ausländische Parlamente und Regierungen
mit der Bitte an die Türkei wenden würden, den Völkermord
anzuerkennen, würde es heißen: Wartet erst die Ergebnisse der
Kommission ab. Ein solches Gremium zu schaffen würde bedeuten, das
Faktum des Genozids an unserem Volk anzuzweifeln. Dazu sind wir nicht
bereit. Eine Kommission wäre dann sinnvoll, wenn die Türkei zu ihrer
Schuld stehen würde. Dann könnten Wissenschaftler gemeinsam die
Ursachen ergründen, die zu dieser Tragödie führten.
SPIEGEL ONLINE: Der Völkermord liegt 95 Jahre zurück, warum ist seine
Anerkennung für Armenien heute so bedeutend?
Sargsjan: Es ist eine Frage der historischen Gerechtigkeit und unserer
nationalen Sicherheit. Der beste Weg, einer Wiederholung solcher
Gräuel vorzubeugen ist, sie klar zu verurteilen.
2. Teil: Warum den Armeniern niemand den Ararat nehmen kann
SPIEGEL ONLINE: Von den Fenstern Ihrer Residenz kann man den Berg
Ararat sehen, Armeniens Nationalsymbol. Heute liegt er unerreichbar
jenseits der Grenze. Die Türkei fürchtet Gebiets- und
Kompensationsforderungen. Wollen Sie den Ararat zurück?
Sargsjan: Den Ararat kann uns niemand nehmen, wir bewahren ihn in
unseren Herzen. Wo immer auf dem Globus heute Armenier wohnen, werden
Sie in ihren Wohnungen ein Bild des Ararat finden. Und ich bin mir
sicher, dass eine Zeit kommen wird, wo der Ararat nicht mehr das
Symbol der Trennung zwischen unseren Völkern sein wird, sondern das
Zeichen der Verständigung. Lassen Sie mich aber klarstellen: Niemals
hat ein Repräsentant Armeniens territoriale Ansprüche erhoben. Die
Türken unterstellen uns das, vielleicht aus schlechtem Gewissen?
SPIEGEL ONLINE: Ihre Grenzen zur Türkei und Aserbaidschan sind
geschlossen, Iran und Georgien schwierige Nachbarn. Wäre es nicht
wichtiger, diese Isolation zu durchbrechen, statt mit der Türkei
endlos über den Völkermord zu streiten?
Sargsjan: Wir verknüpfen die Grenzöffnung nicht mit der Anerkennung
des Genozids; es ist nicht unsere Schuld, wenn die Annäherung
scheitert.
SPIEGEL ONLINE: Die Türkei will die Grenzöffnung von Fortschritten in
der Frage Berg-Karabach abhängig machen. Armenien hat einen Krieg um
dieses Gebiet geführt, das nach dem Zerfall der Sowjetunion von
Aserbaidschan beansprucht, aber mehrheitlich von christlichen
Armeniern bewohnt wird.
Sargsjan: Die Türkei will stets Zugeständnisse von unserer Seite. Das
aber ist unmöglich. Die wichtigste Frage ist die Verwirklichung des
Rechts der Bevölkerung von Berg-Karabach auf Selbstbestimmung. Wenn
Aserbaidschan die Unabhängigkeit von Berg-Karabach anerkennen würde,
könnte die Frage meiner Meinung nach innerhalb weniger Stunden gelöst
werden. Leider hat es den Anschein, dass Aserbaidschan das Problem
militärisch lösen will. Die Aserbaidschaner sind noch der Meinung,
dass sie Berg-Karabach an Aserbaidschan anschließen könnten. Das aber
hieße, dass innerhalb kürzester Zeit den Armeniern in Berg-Karabach
ein Verbleiben unmöglich gemacht würde.
SPIEGEL ONLINE: Welche Lösung schlagen Sie vor?
Sargsjan: Wenn Aserbaidschan aber die Unabhängigkeit von Berg-Karabach
anerkennen würde, könnte das Problem meiner Meinung nach binnen
weniger Stunden gelöst werden. Warum konnten die Staaten des
ehemaligen Jugoslawien Unabhängigkeit erlangen? Soll Karabach etwa
nicht die gleichen Rechte haben - nur weil Aserbaidschan über
Rohstoffe wie Öl und Gas verfügt und mit der Türkei über einen
Schutzpatron? Das halten wir nicht für gerecht.
SPIEGEL ONLINE: Wäre Armenien mit einer umfassenden Autonomie
Berg-Karabachs innerhalb Aserbaidschans einverstanden, etwa wie zu
Sowjetzeiten?
Sargsjan: Natürlich nicht. Karabach an Aserbaidschan zurückzugeben,
würde bedeuten, dass es in kürzester Frist zu Vertreibungen der
armenischen Bevölkerung kommen würde. Berg-Karabach war nie Teil des
unabhängigen Aserbaidschan. Die Region wurde erst 1923 auf Beschluss
des Kaukasischen Büros der Kommunistischen Partei an Aserbaidschan
angeschlossen, auf Druck Stalins. Wenn Karabach Teil Aserbaidschans
werden sollte, müsste man mindestens die Sowjetunion restaurieren. Ich
glaube nicht, dass das jemand ernsthaft möchte.
SPIEGEL ONLINE: Die Türkei strebt schon seit Jahrzehnten in die
Europäische Union. Ist eine Mitgliedschaft auch für Armenien ein Ziel?
Sargsjan: Europas Werte sind attraktiv für uns. Darum reformieren wir
derzeit auch unsere Verwaltung, nach europäischem Vorbild,
natürlich. Wir wissen wohl, dass wir, wenn wir ein vollwertiges
Mitglied eines Systems werden wollen, Probleme lösen müssen. Wie lange
dieser Prozess dauern wird, hängt von uns ab - aber auch von der
Europäischen Union.
SPIEGEL ONLINE: Ihr Land grenzt an Iran. Wie Beurteilen sie den
Konflikt der Weltgemeinschaft mit Teheran?
Sargsjan: Wir sehen dies mit Sorge. Iran ist einer von nur zwei
Landwegen, die uns mit der Außenwelt verbinden. Jedermann in Armenien
weiß: Wenn Iran nicht während des Krieges seine Grenze offengehalten
hätte, wäre es zu Engpässen bei der Versorgung unserer Bürger
gekommen. Ähnlich war es während des Fünf-Tage-Krieges 2008, als die
Eisenbahnverbindung über Georgien unterbrochen war. Wir bauen
gemeinsam mit Iran gerade eine Pipeline und eine Gleisverbindung.
Das Interview führte Benjamin Bidder in Eriwan
--
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From: Emil Lazarian | Ararat NewsPress