DiePresse.com, Deutschland
21 Januar 2012
"Meine Vorfahren nannten es 'Schlächterei'"
20.01.2012 | 18:22 | von Anne-Catherine Simon (Die Presse)
Vor fünf Jahren wurde in Istanbul der Journalist Hrant Dink ermordet.
Er kämpfte gegen die Verleugnung des Völkermords an den Armeniern.
Gesetze gegen dessen Leugnung lehnte er ab.
Vermutlich wird 2007 ein noch schwierigeres Jahr werden als das
vergangene. Wer weiß, welchen Ungerechtigkeiten ich ausgesetzt sein
werde?", stand im letzten Tagebucheintrag von Hrant Dink am 12. Jänner
2007. Eine Woche später starb er auf offener Straße in Istanbul, von
Kugeln durchlöchert.
Mit seiner Zeitung ?Agos" hat der armenisch-türkische Journalist für
eine Versöhnung zwischen Armeniern und Türken gearbeitet und den
türkischen Staat immer wieder dazu aufgerufen, sich dem schwärzesten
Kapitel seiner Geschichte zu stellen, dem Völkermord an den Armeniern.
Dafür erhielt er Morddrohungen, wurde wiederholt angeklagt, einmal
inhaftiert, schließlich ermordet. Der 17-jährige Täter wurde im August
vergangenen Jahres zu 22 Jahren, am Dienstag sein
rechtsnationalistischer Anstifter zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
Doch die eigentlichen Drahtzieher in Polizei und Militär blieben
verschont, obwohl es so viele Hinweise auf ihre Beteiligung gibt und
die Vorgänge rund um Ermordung und Prozess von Ungereimtheiten
strotzen.
Aber nicht nur deswegen sind die Internetblogs fünf Jahre nach dem
Mord wieder voll von Erinnerungen an den ?armenischen Martin Luther
King", wie er bereits tituliert wurde. Ein weiterer Grund dafür liegt
in Frankreich. Dort hat das Parlament am 22. Dezember eine
Gesetzesvorlage verabschiedet, die die Leugnung des Genozids unter
Strafe stellt; am Montag kommt sie im französischen Senat zur
Abstimmung. Man könnte glauben, dass Hrant Dink ein Gewährsmann für
die Nützlichkeit eines solchen Gesetzes ist. Genau das Gegenteil ist
der Fall.
Genozidleugnungsgesetz ...
Drei Monate vor seinem Tod, als das französische Parlament zum ersten
Mal ein Genozidleugnungsgesetz verabschiedete (das dann nicht in Kraft
trat), hat Dink sich im französischen Nachrichtenmagazin ?L'Express"
dazu geäußert. Er stellte das Gesetz auf eine Stufe mit dem türkischen
Verbot, von Genozid zu sprechen, und kündigte an: ?Wenn es
verabschiedet wird, komme ich zu euch und werde dagegen verstoßen,
indem ich den armenischen Genozid leugne."
Er berief sich dabei nicht nur auf das Prinzip der Meinungsfreiheit.
Dink sprach auch deshalb von einem ?idiotischen" Gesetz, weil sich so
die Türkei als Opfer statt als Täter fühlen könnte. Vor allem aber war
er der Meinung, dass das Beharren auf einem ?Genozid" eine Versöhnung
zwischen Armeniern und Türken verhindere. In der von ihm gegründeten
armenisch-türkischen Zeitung ?Agos" rief er immer wieder dazu auf,
sich nicht auf dieses Wort zu versteifen - wer das tue, wolle keine
Lösung des Konfliktes. ?Ich weiß, was meinen Vorfahren widerfahren
ist. Einige mögen es Massaker nennen, einige Völkermord, einige
Vertreibung, einige Katastrophe. Meine Vorfahren haben es nach
anatolischer Art und Weise ,Schlächterei` genannt. Ich nenne es
Verwüstung."
In der armenischen Diaspora war Hrant Dink für seine Position nicht
nur beliebt. Er lebe mit den Türken von heute, die Diaspora mit den
Türken von 1915, sagte er einmal. Die Anerkennung des durch die
Verbrechen von 1915 erlittenen Schmerzes müsse aus dem Herzen der
türkischen Gesellschaft kommen und nicht durch ausländische
Resolutionen. Und die Türkei sei einfach noch nicht so weit.
So wie er argumentieren heute auch viele Menschen in der Türkei, das
armenische Patriarchat ebenso wie kritische Türken. Immer wieder wird
darauf hingewiesen, dass es seit einigen Jahren in diesem Land eine
nie da gewesene freie Debatte über die offizielle Geschichte gebe,
ganz besonders seit der Ermordung von Hrant Dink. Das französische
Gesetz sei Wasser auf die Mühlen der Nationalisten, sagt etwa der in
Straßburg lehrende Historiker Samim Akgönül. Denn diese hätten
kritischen Geistern immer schon gern unterstellt, im Sold feindlicher
Mächte zu stehen.
... idiotisch und heuchlerisch
Zu all diesen Argumenten gegen das französische Genozidgesetz kommt
noch ein moralisches. Hrant Dink warf europäischen Ländern wie
Deutschland und Frankreich Arroganz und Heuchelei vor. Sie würden die
Geschichte benutzen, um der Türkei den Weg in die EU zu versperren,
und damit den Tod von (je nach Schätzung) 300.000 bis eineinhalb
Millionen Armeniern instrumentalisieren. (Heute hat der französische
Präsident Nicolas Sarkozy noch einen anderen Grund. Er will sich für
die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen die wichtige Unterstützung
der in Frankreich lebenden Armenier sichern.)
Europa blieb untätig
Und zu guter Letzt: Die Türkei sei nicht als einziges Land
verantwortlich für die Massaker von 1915, erinnerte Dink. Die
europäischen Mächte hätten Bescheid gewusst, aber nicht eingegriffen.
Heute könne die EU das nicht durch Genozidgesetze wiedergutmachen,
sondern indem sie die Demokratisierung der Türkei und - etwa durch
wirtschaftliche Projekte im Grenzbereich - deren Annäherung an den
armenischen Nachbarstaat fördere.
Auch wenn weder die Türkei noch die EU derzeit am Vermächtnis Hrant
Dinks interessiert zu sein scheint: Die Zivilgesellschaft hat ihn
nicht vergessen. Über 100.000 Menschen marschierten seinerzeit beim
Begräbnis mit, Zehntausende demonstrierten diese Woche in der Türkei
gegen den empörenden Prozessausgang.
Nicht nur die Bürger der Bewegung ?Friends of Hrant Dink" halten die
Erinnerung an ihn wach, sondern Menschen in der ganzen Welt, die sich
um eine Versöhnung von Türken und Armeniern bemühen. Texte von Dink in
deutscher Übersetzung gibt es nur wenige, der Journalist Günter
Seufert hat einige in einem Buch versammelt mit dem hoffnungsvollen
Titel: ?Von der Saat der Worte".
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2012)
http://diepresse.com/home/kultur/news/725609/Meine-Vorfahren-nannten-es-Schlaechterei?_vl_backlink=/home/kultur/news/index.do
21 Januar 2012
"Meine Vorfahren nannten es 'Schlächterei'"
20.01.2012 | 18:22 | von Anne-Catherine Simon (Die Presse)
Vor fünf Jahren wurde in Istanbul der Journalist Hrant Dink ermordet.
Er kämpfte gegen die Verleugnung des Völkermords an den Armeniern.
Gesetze gegen dessen Leugnung lehnte er ab.
Vermutlich wird 2007 ein noch schwierigeres Jahr werden als das
vergangene. Wer weiß, welchen Ungerechtigkeiten ich ausgesetzt sein
werde?", stand im letzten Tagebucheintrag von Hrant Dink am 12. Jänner
2007. Eine Woche später starb er auf offener Straße in Istanbul, von
Kugeln durchlöchert.
Mit seiner Zeitung ?Agos" hat der armenisch-türkische Journalist für
eine Versöhnung zwischen Armeniern und Türken gearbeitet und den
türkischen Staat immer wieder dazu aufgerufen, sich dem schwärzesten
Kapitel seiner Geschichte zu stellen, dem Völkermord an den Armeniern.
Dafür erhielt er Morddrohungen, wurde wiederholt angeklagt, einmal
inhaftiert, schließlich ermordet. Der 17-jährige Täter wurde im August
vergangenen Jahres zu 22 Jahren, am Dienstag sein
rechtsnationalistischer Anstifter zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
Doch die eigentlichen Drahtzieher in Polizei und Militär blieben
verschont, obwohl es so viele Hinweise auf ihre Beteiligung gibt und
die Vorgänge rund um Ermordung und Prozess von Ungereimtheiten
strotzen.
Aber nicht nur deswegen sind die Internetblogs fünf Jahre nach dem
Mord wieder voll von Erinnerungen an den ?armenischen Martin Luther
King", wie er bereits tituliert wurde. Ein weiterer Grund dafür liegt
in Frankreich. Dort hat das Parlament am 22. Dezember eine
Gesetzesvorlage verabschiedet, die die Leugnung des Genozids unter
Strafe stellt; am Montag kommt sie im französischen Senat zur
Abstimmung. Man könnte glauben, dass Hrant Dink ein Gewährsmann für
die Nützlichkeit eines solchen Gesetzes ist. Genau das Gegenteil ist
der Fall.
Genozidleugnungsgesetz ...
Drei Monate vor seinem Tod, als das französische Parlament zum ersten
Mal ein Genozidleugnungsgesetz verabschiedete (das dann nicht in Kraft
trat), hat Dink sich im französischen Nachrichtenmagazin ?L'Express"
dazu geäußert. Er stellte das Gesetz auf eine Stufe mit dem türkischen
Verbot, von Genozid zu sprechen, und kündigte an: ?Wenn es
verabschiedet wird, komme ich zu euch und werde dagegen verstoßen,
indem ich den armenischen Genozid leugne."
Er berief sich dabei nicht nur auf das Prinzip der Meinungsfreiheit.
Dink sprach auch deshalb von einem ?idiotischen" Gesetz, weil sich so
die Türkei als Opfer statt als Täter fühlen könnte. Vor allem aber war
er der Meinung, dass das Beharren auf einem ?Genozid" eine Versöhnung
zwischen Armeniern und Türken verhindere. In der von ihm gegründeten
armenisch-türkischen Zeitung ?Agos" rief er immer wieder dazu auf,
sich nicht auf dieses Wort zu versteifen - wer das tue, wolle keine
Lösung des Konfliktes. ?Ich weiß, was meinen Vorfahren widerfahren
ist. Einige mögen es Massaker nennen, einige Völkermord, einige
Vertreibung, einige Katastrophe. Meine Vorfahren haben es nach
anatolischer Art und Weise ,Schlächterei` genannt. Ich nenne es
Verwüstung."
In der armenischen Diaspora war Hrant Dink für seine Position nicht
nur beliebt. Er lebe mit den Türken von heute, die Diaspora mit den
Türken von 1915, sagte er einmal. Die Anerkennung des durch die
Verbrechen von 1915 erlittenen Schmerzes müsse aus dem Herzen der
türkischen Gesellschaft kommen und nicht durch ausländische
Resolutionen. Und die Türkei sei einfach noch nicht so weit.
So wie er argumentieren heute auch viele Menschen in der Türkei, das
armenische Patriarchat ebenso wie kritische Türken. Immer wieder wird
darauf hingewiesen, dass es seit einigen Jahren in diesem Land eine
nie da gewesene freie Debatte über die offizielle Geschichte gebe,
ganz besonders seit der Ermordung von Hrant Dink. Das französische
Gesetz sei Wasser auf die Mühlen der Nationalisten, sagt etwa der in
Straßburg lehrende Historiker Samim Akgönül. Denn diese hätten
kritischen Geistern immer schon gern unterstellt, im Sold feindlicher
Mächte zu stehen.
... idiotisch und heuchlerisch
Zu all diesen Argumenten gegen das französische Genozidgesetz kommt
noch ein moralisches. Hrant Dink warf europäischen Ländern wie
Deutschland und Frankreich Arroganz und Heuchelei vor. Sie würden die
Geschichte benutzen, um der Türkei den Weg in die EU zu versperren,
und damit den Tod von (je nach Schätzung) 300.000 bis eineinhalb
Millionen Armeniern instrumentalisieren. (Heute hat der französische
Präsident Nicolas Sarkozy noch einen anderen Grund. Er will sich für
die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen die wichtige Unterstützung
der in Frankreich lebenden Armenier sichern.)
Europa blieb untätig
Und zu guter Letzt: Die Türkei sei nicht als einziges Land
verantwortlich für die Massaker von 1915, erinnerte Dink. Die
europäischen Mächte hätten Bescheid gewusst, aber nicht eingegriffen.
Heute könne die EU das nicht durch Genozidgesetze wiedergutmachen,
sondern indem sie die Demokratisierung der Türkei und - etwa durch
wirtschaftliche Projekte im Grenzbereich - deren Annäherung an den
armenischen Nachbarstaat fördere.
Auch wenn weder die Türkei noch die EU derzeit am Vermächtnis Hrant
Dinks interessiert zu sein scheint: Die Zivilgesellschaft hat ihn
nicht vergessen. Über 100.000 Menschen marschierten seinerzeit beim
Begräbnis mit, Zehntausende demonstrierten diese Woche in der Türkei
gegen den empörenden Prozessausgang.
Nicht nur die Bürger der Bewegung ?Friends of Hrant Dink" halten die
Erinnerung an ihn wach, sondern Menschen in der ganzen Welt, die sich
um eine Versöhnung von Türken und Armeniern bemühen. Texte von Dink in
deutscher Übersetzung gibt es nur wenige, der Journalist Günter
Seufert hat einige in einem Buch versammelt mit dem hoffnungsvollen
Titel: ?Von der Saat der Worte".
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2012)
http://diepresse.com/home/kultur/news/725609/Meine-Vorfahren-nannten-es-Schlaechterei?_vl_backlink=/home/kultur/news/index.do