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ADK - The Journal of German-Armenian Society - 03/31/2013 (in German

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  • ADK - The Journal of German-Armenian Society - 03/31/2013 (in German

    PRESS RELEASE
    Editorial Office of ADK
    Contact: Dr. Raffi Kantian
    Tel: 0049-511-624733
    Mail: [email protected]
    Web: http://www.deutscharmenischegesellschaft.de/
    http://www.deutscharmenischegesellschaft.de/?page_id=3827
    https://www.facebook.com/deutscharmenischegesellschaft

    1. DER "ARABISCHE FRUEHLING" ALS HERAUSFORDERUNG FUER DIE CHRISTLICHEN MINDERHEITEN IM NAHEN OSTEN

    http://www.deutscharmenischegesellschaft.de/wp-content/uploads/2013/03/ADK158-Thomas-Scheffler-Der-%E2%80%9EArabische-Fr%C3%BChling%E2%80%9C-als-Herausforderung-f%C3%BCr-die-christlichen-Minderheiten-im-Nahen-Osten.pdf

    VON THOMAS SCHEFFLER (1)

    Die 2011 noch haeufig als "Arabischer Fruehling" begruessten
    Massenerhebungen in der arabischen Welt stellen die christlichen
    Minderheiten dieser Region vor Herausforderungen besonderer Art: Die
    scheinbar einfache Entscheidung zwischen "Diktatur" und "Demokratie"
    wird fuer sie durch die Furcht ueberlagert, die Demokratisierung des
    Nahen Ostens koenne die Macht islamistischer Kraefte staerken und der
    Versuch, die alten Diktaturen gewaltsam zu stuerzen, koenne
    unkalkulierbare blutige Wirren heraufbeschwoeren, unter denen
    religioese Minderheiten, ihrer zahlenmaessigen Schwaeche und
    exponierten Stellung wegen, noch mehr leiden koennten als der Rest der
    Gesellschaft.

    Die massive, teilweise militaerische, Unterstuetzung westlicher und
    prowestlicher Maechte fuer den Arabischen Fruehling war kaum geeignet,
    solche Befuerchtungen zu beschwichtigen. Zu frisch ist die Erfahrung,
    dass sich die Zahl der irakischen Christen in den zehn Jahren nach der
    amerikanischen Invasion des Irak 2003 fast halbiert hat. Auch die
    Erinnerung an das Schicksal der Armenier und Assyrer im Ersten
    Weltkrieg beguenstigt Vermutungen, dass fuer die Aussenpolitik des
    Westens im 21. Jahrhundert die "islamische Karte" aus geopolitischen
    und weltwirtschaftlichen Gruenden wichtiger sein duerfte als die
    Solidaritaet mit den relativ kleinen christlichen Gemeinschaften im
    Nahen Osten.

    Die Menschenrechtspolitik der Europaeischen Union haelt fuer solche
    Befuerchtungen nur relativ schwachen Trost bereit: Die EU-Kommissarin
    fuer humanitaere Hilfe und Krisenschutz, Kristalina Georgieva, wurde
    im Dezember 2012 in der libanesischen Presse mit den Worten zitiert,
    die Europaeische Union werde syrische Christen aufnehmen, die ihr Land
    zu verlassen wuenschten, aber nicht, weil sie Christen seien, sondern
    weil sie eine "Minderheit" darstellten - eine Erklaerung, die zu
    signalisieren schien, dass die EU, erstens, den orientalischen
    Christen eher beim Verlassen ihrer Heimat helfen werde als beim
    Bleiben, und dass sie sich, zweitens, in ihrer Politik nicht den
    christlichen Gemeinschaften verpflichtet sehe, sondern den Werten
    einer individualistischen Menschenrechtsethik, die bestenfalls
    Mitgliedern von "Minderheiten" eine besondere Schutzwuerdigkeit
    zubillige, gleichgueltig worauf der jeweilige Minderheitenstatus
    beruht. Die naive Erwartung, dass "westliche" bzw. "europaeische"
    Interessen sich prinzipiell mit "christlichen" decken muessten, ist
    durch die Ereignisse der letzten Jahre jedenfalls erneut in Frage
    gestellt worden.

    Kirchliche Wuerdentraeger im Nahen Osten haben sich zum "Arabischen
    Fruehling" daher von Anfang an auffallend zurueckhaltend
    geaeussert. Ihre Reaktionen schwankten zwischen beredtem Schweigen,
    vorsichtiger Unterstuetzung der alten Regimes, offener Kritik an den
    Aufstaendischen, Warnungen vor der islamistischen Gefahr und
    allgemeinen Aufrufen zu Dialog, Gewaltverzicht und Versoehnung. Die
    erdrutschartigen Wahlsiege islamistischer Parteien in Tunesien und
    AEgypten sowie das Erstarken bewaffneter Islamisten in Libyen und im
    syrischen Buergerkrieg scheinen ihre Befuerchtungen inzwischen
    bestaetigt zu haben.

    Auch wenn - einem Wort des chaldaeischen Bischofs von Aleppo, Antoine
    Audo, vom Februar 2013 zufolge - die christlichen Gemeinschaften in
    Syrien heute zwar gefaehrdet, aber nicht direkte Zielscheibe
    politischer Gewalt seien, sehen sie sich heute, ebenso wie ihre
    Glaubensbrueder in der ganzen Region, in einem tragischen
    Entscheidungsdilemma: unterstuetzt man den "Fruehling" der
    Demokratisierung, verhilft man Islamisten zur Macht; unterstuetzt man
    autoritaere Regimes, ist man als Gegner des mutmasslichen
    geschichtlichen "Fortschritts" diskreditiert. Eine von mehreren
    Moeglichkeiten, in diesem Dilemma Handlungsfaehigkeit fuer Christen zu
    bewahren, ist der Versuch, Buendnisse mit anderen Minderheiten der
    Region zu suchen. So werden z. B. im Libanon die Buendnisse des
    christlichen Generals Michel Aoun mit der schiitischen Hizballah und
    dem alawitisch dominierten Baath-Regime in Damaskus bisweilen mit der
    These gerechtfertigt, nur eine "Koalition der Minderheiten" im Nahen
    Osten koenne die erwachende sunnitische Mehrheit der Region zaehmen.

    Eine weitere Moeglichkeit besteht darin, im Interesse eines stabilen
    Transformationsprozesses die Chancen fuer eine innere Reform der alten
    autoritaeren Regimes offenzuhalten. So kritisierte z. B. der neue
    Patriarch der maronitischen Kirche, Bishara Rahi, mehrfach die
    Waffenlieferungen Saudi-Arabiens und Qatars an die syrischen
    Aufstaendischen und erklaerte im Maerz 2012 in einem
    Reuters-Interview, das syrische Regime sei diejenige Diktatur des
    Nahen Ostens, die der Demokratie am naechsten stehe. Am 9. Februar
    2013 nahm der Patriarch sogar in Anwesenheit hoher syrischer
    Funktionaere in Damaskus an der feierlichen Inthronisation des neuen
    Patriarchen der Griechisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien, Youhanna
    X. Yazigi, teil. Dass Rahi trotz der bedrueckenden
    Menschenrechtsbilanz der syrischen Regierung 2013 nach Syrien reiste,
    signalisiert eine Wende in der Politik der maronitischen Kirche: Im
    Mai 2001 hatte noch nicht einmal der Besuch Papst Johannes-Paul II. im
    damals noch friedlichen Damaskus Rahis Vorgaenger, Patriarch Sfeir,
    bewegen koennen, ebenfalls dort zu erscheinen. Dass Rahi seiner
    Damaskus-Reise noch im gleichen Monat einen viertaegigen Moskau-Besuch
    beim Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche, Kyrill I., folgen
    liess, zeigt die politischen Dimensionen seiner religioesen
    Reisetaetigkeit: Russland ist neben China und Iran einer der letzten
    Staaten, die offen die syrische Baath-Regierung
    unterstuetzen. Aufgrund der vielen muslimischen Bevoelkerungsgruppen
    in seinem Machtbereich und an seinen asiatischen Grenzen ist es
    prinzipiell besorgt ueber die Staerkung islamistischer Bewegungen im
    Gefolge des "Arabischen Fruehlings".

    Rahis Versuch, das syrische Regime und seine internationalen Stuetzen
    im Dialog zu halten, ist selbst unter libanesischen Christen
    umstritten. Allerdings duerfte der Patriarch dabei kaum auf eigene
    Faust, sondern mit Rueckendeckung des Vatikans gehandelt haben. Rom
    hatte zuvor nichts unversucht gelassen, die Stellung des Patriarchen
    unter den orientalischen Kirchenfuehrern zu staerken: Rahi, erst am
    15. Maerz 2011 zum Oberhaupt der maronitischen Kirche von Antiochien
    gewaehlt, hatte schon im September 2012 Papst Benedikt XVI. zu einem
    Pastoralbesuch im Libanon empfangen duerfen. Am 24. November 2012
    wurde er zum Kardinal der Katholischen Kirche ernannt, eine
    Auszeichnung, auf die sein Vorgaenger, Mar Nasrallah Butrus Sfeir
    (Patriarch 1986-2011, Kardinal seit 1994), seinerzeit acht Jahre lang
    hatte warten muessen. Am 31. Januar 2013 wurde Rahi darueber hinaus
    Mitglied mehrerer hochrangiger Kommissionen des Heiligen Stuhls: der
    Kongregation fuer die Orientalischen Kirchen, des Obersten
    Gerichtshofs der Apostolischen Signatur, des Paepstlichen Rats der
    Seelsorge fuer die Migranten und Menschen unterwegs, sowie des
    Paepstlichen Rats fuer sie sozialen Kommunikationsmittel. Zugleich
    wurde er vom Papst beauftragt, mit zwei jungen Maroniten die
    Meditationstexte fuer die vierzehn Stationen der diesjaehrigen Via
    Crucis beim Kolosseum zu Rom auszuarbeiten.

    In der diskreten Unterstuetzung des Vatikans fuer Rahis Politik
    spiegelt sich nicht zuletzt die Sorge, dass die fortschreitende
    Dezimierung der christlichen Kirchen in der Geburtsregion des
    Christentums langfristig verheerende Folgen fuer die Einheit der
    christlichen Kirche im Ganzen haben koenne. Ob und inwieweit sich im
    Zuge einer Demokratisierung der arabischen Welt letztlich
    "gemaessigte", dialogbereite Islamisten durchsetzen werden, muss sich
    erst noch herausstellen. Gewiss ist es moeglich, dass islamistische
    Regierungen mit Ruecksicht auf die internationale OEffentlichkeit oder
    aus anderen taktischen Gruenden pragmatische Abstriche von ihren
    Maximalzielen machen. Zu bedenken ist aber auch, dass in Laendern wie
    AEgypten und Tunesien der soziale und wirtschaftliche Problemdruck
    ebenso immens ist wie der Erwartungsdruck der Bevoelkerung auf die
    neuen Regimes ?¬` Regimes, denen, im Gegensatz zur Tuerkei, der
    reformfoerdernde Anreiz des Beitritts zur Europaeischen Union derzeit
    nicht offen steht und die, im Gegensatz zu den arabischen
    Golfmonarchien, ueber keine groesseren Erdoelrenten verfuegen, um
    soziale Frustrationen im Innern durch staatliche Wohlfahrtsmassnahmen
    auszugleichen. Unter solchen Bedingungen koennten selbst demokratisch
    gewaehlte Islamisten versucht sein, politische Rivalitaeten auf dem
    Ruecken nicht-muslimischer ?¬Å¡Suendenboecke?¬Ë`
    auszutragen und den AErger enttaeuschter Waehler von sich selbst auf
    ?¬Å¡auslaendische?¬Ë` Maechte und
    ethno-religioese Minderheiten abzulenken.

    Trotz aller Bedenken duerfte freilich kein Weg an der Einsicht
    vorbeifuehren, dass sich die Demokratisierung des arabischen Raums
    zwar verzoegern, aber nicht dauerhaft aufhalten laesst und dass sich
    die Existenz christlicher Gemeinschaften in der Region nur dann
    nachhaltig sichern laesst, wenn sie gemeinsam mit ihren muslimischen
    Nachbarn einen friedlichen Modus Vivendi entwickeln. Aber wie koennte
    eine "minderheitenvertraegliche" Form der Demokratisierung der Region
    aussehen? Wie schon die europaeische Geschichte des 20. Jahrhunderts
    zeigt, ist die Einfuehrung formaldemokratischer politischer Strukturen
    noch keine Garantie gegen den Aufstieg totalitaerer
    Bewegungen. Benoetigt wird eher eine Art "Demokratie plus X", wobei
    "X" hier zusaetzliche Faktoren bezeichnen soll, die eine Demokratie
    auch minderheitenvertraeglich machen koennen. Solche Faktoren waeren
    z. B. die Trennung von Religion und Politik, der Minderheitenschutz in
    Form kultureller und/oder politischer Autonomie, die umfassende
    Garantie der Menschenrechte sowie die Dezentralisierung von Staat und
    Verwaltung.

    Die historisch wichtigste Loesungsidee, naemlich die Trennung von
    Staat und Religion (Saekularismus), ist im Nahen Osten freilich
    vorerst durch deren jahrzehntelange Verbindung mit Militaerdiktaturen
    diskreditiert. Es wird noch langwieriger Diskussionen beduerfen, bevor
    die islamistischen Gewinner des "Arabischen Fruehlings" aus innerer
    UEberzeugung der Trennung von Staat und Religion oder der voelligen
    politischen Gleichstellung von "Glaeubigen" und "Unglaeubigen"
    zustimmen. Und angesichts der sozialen Abhaengigkeit vieler arabischer
    Buerger von religioesen Wohlfahrtsorganisationen duerfte es noch viel
    laenger dauern, bis die Grundsaetze saekularistischer Politik auch von
    den Waehlern angenommen werden. So lange duerften Angehoerige
    diskriminierter Minderheiten oft nicht warten wollen. Fuer sie koennte
    die Auswanderung eine kurzfristig einfachere Alternative darstellen,
    um die Karrierechancen ihrer Kinder und die eigene physische
    Sicherheit zu sichern.

    Eine Alternative zur Saekularisierung des Staatswesens waere die
    Ausdehnung des autonomen Gestaltungsspielraums religioeser
    Gemeinschaften. So wurde z. B. am 19. Februar 2013 in einer Kommission
    des libanesischen Parlaments der Entwurf eines neuen Wahlgesetzes
    angenommen, das vorsieht, dass kuenftig christliche Abgeordnete nur
    noch von christlichen Waehlern und muslimische Abgeordnete nur noch
    von muslimischen Waehlern gewaehlt werden duerfen. De facto handelt es
    sich hier um eine konfessionelle Aufspaltung der Waehlerschaft, die
    entfernt an das osmanische Millet-System erinnert.

    Die Gefahren einer solchen Regelung liegen auf der Hand: Auf allen
    Seiten wuerden unter einem solchen System Vorkaempfer konfessioneller
    Partikularinteressen siegen; die Christen wuerden sich politisch auf
    sich selbst zurueckziehen und das Projekt eines saekularen,
    multireligioesen Nationalstaats zugunsten einer kulturellen
    Balkanisierung aufgeben, die sie entweder in langwierige
    Verteilungskriege oder zurueck in den Dhimmi-Status fuehren wuerde. In
    der Islamischen Republik Iran wird ein vergleichbares Wahlrecht
    bereits seit 1979 praktiziert.

    Zur Person: Dr. Thomas Scheffler ist der Stellvertretende Direktor des
    Deutschen Orient Instituts in Beirut und koordiniert dort das
    akademische Programm.

    (1) Dies ist die ueberarbeitete und aktualisierte Fassung eines
    Vortrages, den der Autor im September 2012 im Lepsiushaus Potsdam
    gehalten hat.



    2. GANZ EINFACH:"1915 - VOELKERMORD AN DEN ARMENIERN"

    http://www.deutscharmenischegesellschaft.de/wp-content/uploads/2013/03/ADK158-Hasan-Cemal_1915_V%C3%B6lkermord-an-den-Armeniern.pdf


    VON RAFFI KANTIAN

    Hasan Cemal ist einer der bekanntesten und prominentesten Journalisten
    der Tuerkei. Nach dem Studium der Politikwissenschaften in Ankara
    arbeitete er lange Jahre in verantwortlicher Position bei der
    Tageszeitung Cumhuriyet, Flagschiff der Kemalisten, wechselte 1994 als
    Kolumnist zur liberalen Milliyet. Er ist Autor mehrerer Buecher zur
    politischen Rolle des Militaers und der Kurdischen Frage. Grosse
    mediale Aufmerksamkeit erregte seine mehrteilige Reportage mit einem
    hochrangigen PKK-Fuehrer.

    Hasan Cemal ist aber auch der Enkel von Cemal Pascha, Mitglied des
    jungtuerkischen Triumvirats bestehend als Talat, Enver und eben
    Cemal. Alle drei wurden nach den Istanbuler Prozessen ab 1919 in
    Abwesenheit zum Tode verurteilt. Cemal selbst wurde 1922 in Tiflis von
    einem armenischen Kommando ermordet.

    Beides zusammen, Hasan Cemal als bekannter Journalist und Enkel von
    Cemal Pascha, bedingen seine Faszination, auch des vorliegenden
    Buches.

    Als ich das erste Mal die Titelseite sah, fiel mir spontan Folgendes
    ein: "Der Enkel eines der Hauptverantwortlichen von 1915 bezeichnet
    die damaligen Vorgaenge als Voelkermord, waehrend die heutigen
    Machthaber einen Eiertanz um diesen Begriff machen."

    Das allein weckt die Neugierde fuer dieses Buch und animiert zur
    Lektuere. Gleich zu Beginn sei gesagt: Sie ist lohnend.

    Zwei Mottos deuten an, wohin die Reise gehen soll: "Der Kampf des
    Menschen gegen die Macht ist der Kampf des Gedaechtnisses gegen das
    Vergessen" (Milan Kundera) und "Falls Freiheit ueberhaupt etwas
    bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen,
    was sie nicht hoeren wollen" (George Orwell).

    Wie jeder junge Mensch, der in der Tuerkei zur Schule geht
    bzw. studiert, hat auch Hasan Cemal in all den Jahren nichts vom
    Voelkermord gehoert, auch nach dem Studium der
    Politikwissenschaften. In der Familie wurde nicht viel darueber
    gesprochen, allenfalls in Andeutungen und eher verharmlosend im Sinne
    der offiziellen Geschichte.

    Anstoesse von aussen mussten her. Die Attentate gegen tuerkische
    Diplomaten waren solche. UEbrigens: Sein Freund Bahadir Demir, damals
    Konsul in Los Angeles, wurde von Gurgen (Karekin) Yanikiyan 1973
    erschossen. Hasan Cemal trug seinen Sarg nach der UEberfuehrung in die
    Tuerkei mit. Auch das ASALA-Attentat von Orly 1983 war ein solcher
    Anstoss. Da war er bereits als Journalist taetig und kommentierte den
    Vorfall ganz entlang der offiziellen Regierungslinie, wie er im Buch
    anmerkt. Dass mit der offiziellen Geschichte etwas nicht stimmen
    konnte, wurde nicht nur ihm klar. Informationen von aussen waren
    gefragt. Diese konnten fuer jene, die im Geiste der offiziellen
    Geschichte erzogen worden waren - eigentlich fuer alle im Lande -
    durchaus schmerzlich sein. So berichtet Hasan Cemal von den
    "Lektuereeindruecken" von Ali Bayramoglu. Dieser habe, als er des
    Nachts ein Buch des armenisch-amerikanischen Historikers Vahakn
    Dadrian las, es gegen die Wand geschleudert. So schwer verdaulich
    waren fuer ihn die Fakten.

    Hasan Cemals "Wegweiser" waren Taner Akcam und Hrant Dink, ganz
    besonders nach seiner Ermordung im Januar 2007. Ihm ist auch das Buch
    gewidmet: "Lieber Hrant, deine Schmerzen haben mich dieses Buch
    schreiben lassen."

    Seine eigentliche Hinwendung zum "armenischen Thema" setzt Anfang des
    Jahrtausends an. Die ersten Schritte sind zaghaft. Er meint, dass
    Historiker das Problem loesen werden, bis er Zweifel bekommt, ob
    offizielle tuerkische Historiker dafuer ueberhaupt geeignet sind. Bald
    formuliert er sehr deutlich. Da heisst es: "Wir wurden gezwungen, mit
    der Luege zu leben"¦ Eine Elite aus Militaers und Zivilisten, die
    sich mit der Republik gleichsetzte, hat die historischen Fakten
    staendig verfaelscht, um ihre Herrschaft ueber das System, ihre
    Privilegien zu perpetuieren." Trotz dieser Einsichten ist der Weg zum
    "G-Wort" fuer Hasan Cemal ein schmerzvoller. Im Fruehjahr 2011 ist es
    so weit - nach vielen Selbstzweifeln - im Alter von 67 Jahren: "Der
    Makel des Vaterlandsverraeters"¦ Ich verteidige seit Jahren die
    Demokratie, die Meinungsfreiheit. Soll ich einige meiner Gedanken fuer
    mich behalten? Soll ich noch unantastbare Tabus haben??`
    Zuvor besucht er im September 2008 das Genozidmahnmal in Jerewan, legt
    Blumen nieder.

    Der Leser wird fortwaehrend Zeuge seiner Entwicklung, die er als
    "intellektuelle Reise" umschreibt. Das ist eine der Staerken dieses
    Buches. Und indirekt wird auch der Grossvater Cemal Pascha
    eingebunden, wird Objekt der Kritik, so z.B. wenn er feststellt:
    "Richtig ist es, die Diktatur der Jungtuerken und ihr Verbrechen gegen
    die Menschlichkeit in 1916 zu verurteilen, sich bei den Armeniern zu
    entschuldigen."

    Hasan Cemals Reise setzt im reifen Alter ein und zieht sich ueber
    mehrere Jahre hin - kein Wunder in einem Staat, dessen Fuehrung, trotz
    der Fortschritte in Teilen der Zivilgesellschaft, eisern an der
    offiziellen Geschichte festhaelt.

    An wen richtet sich Hasan Cemals Buch? Diese Frage ist legitim und
    kann mit einigen moeglichen Antworten versehen werden. Da ist zum
    einen das heimische tuerkische Publikum, das ihn als bedeutenden
    Journalisten mit einem landesweit bekannten Grossvater schaetzt und
    bewundert. Sein Beispiel kann fuer jene, die sich noch nicht trauen,
    ein Vorbild sein, ihm gleichzutun. Denkbar ist auch das armenische
    Publikum, besonders in der Diaspora. Ein moeglicher Fingerzeig
    hierfuer ist, dass Hasan Cemal sein Buch erstmalig in Deutschland (in
    Berlin und Koeln), Sitz der zweitgroessten armenischen Diaspora in
    Westeuropa, vorstellte, nicht daheim. UEberhaupt scheinen die Armenier
    fuer ihn wichtig zu sein. Die ostarmenische Version des Buches sei in
    Arbeit, auch eine westarmenische. Die Tuerkei wandelt sich, diesen
    Satz hat Hasan Cemal in Berlin und in Koeln mehrfach wiederholt. Mal
    schauen, ob und wann der Staat Teil dieses Wandels wird.

    Hasan Cemal: 1915 - Ermeni Soykirimi (1915 - Voelkermord an den
    Armeniern)

    - 230 S., Istanbul (Everest Yayinlari) 2012. ISBN:
    978-605-141-513-0. Preis: 18 TL (ca. 8 EUR)



    From: Emil Lazarian | Ararat NewsPress
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