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Wie Gauck In Der Armenien-Frage Durchregierte

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    WIE GAUCK IN DER ARMENIEN-FRAGE DURCHREGIERTE

    Vom "Massaker" an Armeniern sprach Außenminister Steinmeier noch
    am Freitag. Dann setzte sich Prasident Gauck mit der Bezeichnung
    "Volkermord" durch - zusammen mit vielen Abgeordneten der Koalition.

    Von Robin Alexander Robin AlexanderBiografie und alle Artikel des
    Autors Facebook Twitter , Claudia Kade Claudia KadeBiografie und
    alle Artikel des Autors Twitter , Daniel Friedrich Sturm Daniel
    Friedrich SturmBiografie und alle Artikel des Autors Facebook Twitter
    Bundesprasident Joachim Gauck drangte in der Debatte uber Armenien
    auf den Begriff "Volkermord", Kanzlerin Angela Merkel zogerte. Nun
    gibt es einen Antrag, der das Wort - im Plural - verwendet und in
    einen Kontext stellt Foto: dpa

    In zweifacher Hinsicht handelte es sich um Diplomatie auf hochster
    Ebene. Es ging um nichts weniger als die Frage, ob Deutschland
    die Verbrechen des Osmanischen Reichs an den Armeniern vor 100
    Jahren nunmehr als "Volkermord" bezeichnen soll. Das ware immerhin
    ein diplomatisches Novum. Am Wochenende berieten Vertreter des
    Bundesprasidialamts, des Bundeskanzleramts, des Auswartigen Amts (AA)
    und der Spitzen der beiden Regierungsfraktionen uber das heikle Thema -
    immer wieder, in unterschiedlichen Konstellationen.

    Schon zuvor habe Bundesprasident Joachim Gauck uber einen Vertreter
    darauf hingewirkt, dass das Massaker an den Armeniern in der Resolution
    der schwarz-roten Koalition fur die Bundestagsdebatte am Freitag als
    Beispiel fur Volkermord anerkannt werde, hieß es. Gauck selbst will
    in einer Ansprache am kommenden Donnerstag eine ahnliche Einschatzung
    formulieren.

    Von einem Austausch zwischen Regierung und Bundesprasidialamt "genau
    in dieser Frage" und "Impulsen aus dem Bundesprasidialamt" berichtete
    der Sprecher des Auswartigen Amtes, Martin Schafer. Gaucks Leute
    hatten durchblicken lassen, der Prasident werde sich am Donnerstag
    zumindest in Richtung des Begriffs "Volkermord" bewegen, hieß es
    am Montag an anderer Stelle. Das liege nahe bei einem Gottesdienst,
    in dessen Rahmen des Volkermords gedacht werden soll.

    Also habe die Gefahr bestanden, dass sich eine Kluft bilden konnte
    zwischen den Verfassungsorganen Bundesprasident, Bundesregierung und
    Bundestag. Daher also die diversen Beratungen, jener "vertrauensvolle
    Austausch" am Wochenende. Deshalb die Bemuhungen, die drei Pole
    Prasident, Exekutive und Legislative auf eine Linie zu bringen. Auf
    eine Linie mit unterschiedlichen Intonierungen, versteht sich.

    ... beklagt die Taten der damaligen turkischen Regierung, die zur
    fast vollstandigen Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich
    gefuhrt haben

    Aus dem Antrag der Koalitionsfraktionen

    "Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker
    an den Armeniern vor 100 Jahren" - so ist der Antrag der
    Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD uberschrieben. An diesem
    Freitag soll er verabschiedet werden. Bereits am Montag sagte
    Regierungssprecher Steffen Seibert: "Hinter diesem Antrag steht
    die Bundesregierung." Der Begriff "Volkermord" - in seinem Plural
    - ist Teil des zweieinhalbseitigen Textes; bisher hatten deutsche
    Regierungen ihn gemieden. Nun wird er in einem großeren historischen
    Kontext eingebettet. Mit der Erwahnung des Worts vermeidet die
    konzertierte Aktion von Staatsoberhaupt, Exekutive und Legislative
    allzu offenkundige Differenzen in ihrer Geschichtsauslegung.

    In dem Antrag, der nach einer entsprechenden Debatte am Freitag im
    Plenum des Bundestags beschlossen werden soll, heißt es, der Bundestag
    "beklagt die Taten der damaligen turkischen Regierung, die zur fast
    vollstandigen Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich gefuhrt
    haben". Er betont ferner: "Er bedauert die unruhmliche Rolle des
    Deutschen Reiches."

    Die bis zuletzt umstrittene Formulierung findet sich in seinem zweiten
    Absatz. Die planmaßige Vertreibung und Vernichtung von uber einer
    Million ethnischer Armenier stehe "beispielhaft fur die Geschichte der
    Massenvernichtungen, der ethnischen Sauberungen, der Vertreibungen,
    ja der Volkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche
    Weise gezeichnet ist. Dabei wissen wir um die Einzigartigkeit des
    Holocaust, fur den Deutschland Schuld und Verantwortung tragt."

    Intensive Debatte im Auswartigen Amt

    In den vergangenen Tagen war der Druck innerhalb der Fraktionen
    von Union und SPD gestiegen, die Bezeichnung "Volkermord" zu
    verwenden. Zu parteipolitisch eher ungewohnlichen Konstellationen
    kam es. Stark fur das V-Wort etwa machten sich Erika Steinbach (CDU)
    und Dietmar Nietan (SPD), die eine vom rechten Flugel ihrer Fraktion,
    der andere ein linker Sozialdemokrat. Der Druck stieg. Einzelne
    Abgeordnete riefen nach Verwendung des Begriffs "Volkermord", zum
    Teil per Pressemitteilung. Noch am Freitag aber signalisierten die
    Fraktionsvorsitzenden von Union und SPD, Volker Kauder (CDU) und
    Thomas Oppermann, in der Resolution werde der Begriff fehlen. Es
    sollte nicht das letzte Wort bleiben.

    Bereits am Sonntag hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD),
    von dem der Begriff bis dato vermieden worden war, eine Tur geoffnet.

    Man konne das, was damals geschehen sei, "in dem Begriff des
    Volkermords zusammenfassen wollen", sagte Steinmeier der "Suddeutschen
    Zeitung". Im Auswartigen Amt hatte es in den vergangenen Wochen eine
    intensive interne Debatte gegeben. Von einer schwierigen Abwagungsfrage
    war die Rede. Niemand bestreite die Brutalitat, mit der das Osmanische
    Reich gegen die Armenier vorgegangen sei, hieß es. Die Alternative
    dazu, vom "Volkermord" zu sprechen, sei nicht, uber das geschehene
    Unrecht zu schweigen oder es schonzureden.

    Das Massaker an den Armeniern

    Im April 1915 begannen die Armeniermassaker im Osmanischen Reich. Das
    Bild zeigt hingerichtete Armenier in Istanbul.

    1/9 Foto: Reuters/REUTERS

    Armenische Waisenkinder. Das Bild entstand 1919.

    1/9 Foto: REUTERS

    Diese beiden armenischen Jungen verhungerten in der syrischen Wuste.

    1/9 Foto: REUTERS

    Der deutsche Theologe Johannes Lepsius (1858-1926) machte gegen den
    Willen der kaiserlichen Regierung mit seinem "Bericht zur Lage des
    armenischen Volkes in der Turkei" (1916) auf die Massaker aufmerksam.

    Noch am Freitag, wahrend eines Besuchs in Estland, sprach Steinmeier
    von einem "Massaker". Fur die Bundesregierung gebe es mehrere
    Argumente, den Begriff "Genozid" nicht zu verwenden, hieß es im
    Auswartigen Amt. In der SPD-Fraktion indes war zu diesem Zeitpunkt
    jedoch der Druck so groß, dass Zweifel bestanden, ob es bei Steinmeiers
    Sprachregelung bleiben konne.

    Schon vor langer Zeit hatte die Bundesregierung entschieden,
    AA-Staatsminister Michael Roth (SPD) am 24. April zum Gedenken nach
    Armenien zu entsenden. Frankreich ist mit Staatsprasident Francois
    Hollande in Eriwan prasent, Russland mit Prasident Wladimir Putin.

    Bereits am Vorabend laden die Kirchen zu einer Gedenkveranstaltung in
    den Berliner Dom. Bundesprasident Gauck redet hier; er durfte dabei
    das Wort Volkermord verwenden.

    Neue Spannungen mit der Turkei sind programmiert

    Der am Wochenende vereinbarte Konsensantrag werde wahrend der
    SPD-Fraktionssitzung auf breite Zustimmung stoßen, hieß es unter
    Abgeordneten. Doch der eine oder andere Parlamentarier aus der großen
    Koalition wird sein Plazet nur zahneknirschend erteilen. Akzeptabel,
    aber nicht uberzeugend sei der Text, war in SPD-Fraktionskreisen zu
    horen. Eine rationale Debatte zu diesem emotional besetzten Thema
    sei in den vergangenen Tagen nicht gelungen.

    Die Gegenuberstellung derjenigen, die fur und die gegen das Wort
    "Volkermord" argumentierten - als "Gut gegen Bose" - werde komplexen
    historischen und außenpolitischen Fragen nicht gerecht. "Der Verweis
    auf die Volkermorde im 20. Jahrhundert bringt die Debatte voran",
    sagte hingegen SPD-Fraktionsvize Rolf Mutzenich der "Welt". Man durfe
    nicht vergessen: "Die Vertreibung und Ermordung der Armenier war kein
    singulares Ereignis."

    Berlin stellt sich derweil auf neue Spannungen mit der Regierung
    in Ankara ein. "Naturlich ist die Haltung der Turkei mit Blick auf
    Armenien inakzeptabel", sagt ein Außenpolitiker aus der Koalition.

    "Nun sind erneut harsche Worte von Herrn Erdogan absehbar." Offiziell
    halt sich die Koalition indes bedeckt. Auf die Frage, ob sich die
    Bundesregierung nun auf Spannungen mit Ankara einstellen musse,
    sagte AA-Sprecher Schafer: "Das warten wir jetzt mal ab."

    Groß ist im Auswartigen Amt die Verstimmung uber Ankara - nicht
    zuletzt uber die jungsten Attacken von Prasident Erdogan und seinem
    Außenminister gegen Papst Franziskus, der von einem Volkermord an den
    Armeniern gesprochen hatte. Die turkische Regierung sei nicht in der
    Lage, sich kritisch mit der eigenen Geschichte zu befassen, heißt es
    in Steinmeiers Haus. Damit verstoße Ankara klar gegen die Werte und
    "eminente Klubregeln" der EU.

    http://www.welt.de/politik/deutschland/article139839161/Wie-Gauck-in-der-Armenien-Frage-durchregierte.html

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